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„Still Wakes the Deep“ im Test: Die Bohrinsel des Grauens

Von unserer Redaktion zunächst unterschätzt, hat sich dieses Videospiel zu unserem persönlichen Geheimtipp für Freunde von unheimlichen Spielen entwickelt.

Was noch ein bisschen romantisch aussieht, ist tatsächlich ein ziemlich spannendes Spielerlebnis: Wir sitzen auf einer Bohrinsel in der Nordsee fest und eine unbekannte Spezies will uns alle ins Chaos stürzen. Dem versuchen wir zu entkommen. Unser Spieltipp! | © The Chinese Room

Christian Lund
29.08.2024 | 29.08.2024, 17:13

Im Jahr 1975 endet der Vietnamkrieg, die britische Band „Iron Maiden“ gründet sich und die Zeugen Jehovas sagen nach ihren Berechnungen das Ende der gesamten Welt voraus. Es ist auch das Jahr, in dem sich Cameron „Caz“ McLeary entscheidet, auf einer Bohrinsel in der Nordsee vor Schottland als Elektriker anzufangen.

Man würde es nicht gerade eine traumhafte Arbeitsstätte nennen – im Gegenteil: Die Bohrinsel wankt und schwankt in der schweren See und hat schon bessere Zeiten gesehen. Man könnte auch sagen: Der Stahlkoloss wird allenfalls noch vom Rost zusammengehalten. Als auch noch eines Tages beim Bohren etwas gehörig schief geht und eine finstere Kreatur nach und nach die Bohrinsel als ihr Nest begreift, bricht die Hölle los.

Die englische Spieleschmiede „The Chinese Room“, die das Spiel entwickelt hat, hat sich beim Setting und den Ideen von einigen Filmen inspirieren lassen, darunter „Das Ding aus einer anderen Welt“ (1982) von John Carpenter, „Auslöschung“ (2018) von Alex Garland sowie von dem großartigen Katastrophenfilm „Die Höllenfahrt der Poseidon“, der mit Gene Hackman in einer Hauptrolle von dem Untergang des kurz vor der Verschrottung stehenden Passagierdampfer „Poseidon“ erzählt. Filmkenner werden diesen Referenzen in „Still Wakes the Deep“ immer wieder begegnen. Und es sei gleich dazu gesagt: Für ängstliche Spielerinnen und Spieler ist diese Tortur der Ängste nichts.

Worum geht’s in „Still Wakes the Deep“?

Das ist kein schlechtes Foto unserer Bohrinsel. Das ist einfach nur schlechtes Wetter. - © The Chinese Room
Das ist kein schlechtes Foto unserer Bohrinsel. Das ist einfach nur schlechtes Wetter. (© The Chinese Room)

Warum wir auf die bescheuerte Idee gekommen sind, auf dieser Bruchbude von Bohrinsel anzuheuern, wird erst nach und nach klar und erinnert ein wenig an die emotionale Geschichte von „Under the Waves“. Schlicht gesagt: Caz muss wegen Vorfällen in seiner Heimat erst mal untertauchen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Sein guter Freund Roy empfiehlt ihm deshalb: Mensch, Bohrinsel... das ist doch das perfekte Versteck! Es kommt aber natürlich raus, dass Caz Dreck am Stecken hat, und so wird er von seinem wenig feinfühligen Chef gefeuert.

Als Caz in den Hubschrauber steigen will, der ihn zurück auf die britische Insel fliegen soll, erzittert die Bohrinsel und ihre mächtigen Aufbauten, und Caz stürzt ins Meer. Seine Kollegen retten ihn, aber ob man da wirklich von Rettung sprechen kann, ist die große Frage. Denn durch einen Bohrunfall hat sich eine Kreatur der Bohrinsel bemächtigt, die sich alles und jeden einverleiben will. Und diese Kreatur, dieses Ding aus einer anderen Welt, ist sehr, sehr hungrig. Einige von Caz’ Kollegen sind ihr schon zum Opfer gefallen. Das Fiese daran: Die ehemaligen Kollegen mutieren ebenfalls zu Monstern und jagen die Überlebenden.

Und Caz? Der sucht jetzt einen Ausweg, einen Fluchtweg, eine Chance, dem ganzen Horror zu entkommen. Und man ahnt es ja: Da gibt es nicht ganz so viele Möglichkeiten. Rettungsboote vielleicht (vom Schwimmen in der eisigen Nordsee ist eher abzuraten), oder vielleicht gibt’s auch irgendwo noch ein Funkgerät, mit dem man Hilfe rufen kann? Aber was ist, wenn die ganze Bohrinsel droht, im Meer zu versinken?

Caz schleicht und rennt durch enge Stahlkanäle, springt über rostige Umläufe, während unter ihm die Nordsee schäumt und hinter ihm die Kreatur brüllt, oder er nutzt Zwischenräume als Versteck und schickt das Monster mit dem Geräusch eines gezielt geworfenen Gegenstands in die falsche Richtung.

Was hat uns an „Still Wakes the Deep“ gefallen?

Hallo? Ist da irgendwer? "Still Wakes the Deep" spielt mit unseren Erwartungen. Keine Musik baut unnötige Spannung auf – dafür sorgen wir schon selbst. - © The Chinese Room
Hallo? Ist da irgendwer? "Still Wakes the Deep" spielt mit unseren Erwartungen. Keine Musik baut unnötige Spannung auf – dafür sorgen wir schon selbst. (© The Chinese Room)

Weil wir uns auf dem begrenzten Areal einer Bohrinsel bewegen, stecken manche Leute „Still Wakes the Deep“ in die Schublade mit den Walking-Simulatoren, mit Spielen also, in denen es nur darum geht, durch eine Spielwelt zu latschen und manchmal ein Rätsel zu lösen. Das Abenteuer auf der Bohrinsel ist aber alles andere als ein entspannter Spaziergang. Im Gegenteil, es ist in manchen Bereichen ziemlich ängstigend.

Wer Ängste hat, kann sich ihnen hier stellen: den Ängsten vor engen Räumen zum Beispiel. Höhenangst. Der Angst, zu ertrinken. Der Angst vor Feuer. Der Angst vor seinen Mitmenschen. Der Angst vor dem Tod. Denn der lauert an jeder Ecke. Ein unbedachter Schritt auf einer rostigen Leiter? Tot. Der nette Kollege aus der Kombüse sieht heute so seltsam aus? Tot. Einmal in die falsche Richtung getaucht? Tot. Und vor allem: einmal zu mutig gedacht, man könne schnell an dem Monster vorbeirennen? Tot. Tot, tot, tot.

Das Schwierigkeitslevel ist nicht so hoch, wie es jetzt klingt, aber man sollte es auch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wir haben es geliebt, dass das Spiel uns kein Kampfsystem zur Verfügung stellt. Unser „Waffenarsenal“ besteht aus Weglaufen, Schleichen und Ablenkung (mit anschließendem Schleichen oder Weglaufen). Wer sich dabei etwas dumm anstellt (jep, wir...), der ist dann eben wieder: tot.

Ein großer Sprung auf die rettende Plattform, ein kleiner Sprung... beendet das Menschsein. - © The Chinese Room
Ein großer Sprung auf die rettende Plattform, ein kleiner Sprung... beendet das Menschsein. (© The Chinese Room)

Auch optisch ist das Spiel ein Augenschmaus. Die Bohrinsel wirkt über die Unreal Engine 5 super authentisch, das Spiel von Licht und Schatten und die kontrastreiche Beleuchtung sorgen für die richtige Stimmung. Manchmal ist es aber auch stockfinster, dann muss man sich sehr auf sein Gehör verlassen. Das Zusammenspiel aus der hervorragenden Optik und den unheimlichen Klängen aus dem Bauch des Stahlungetüms wirken unmittelbar auf das Spielgefühl ein. Wir empfehlen: unbedingt mit Kopfhörern spielen!

Und dieses Monster! Oft hört man es zuerst, das Schimpfen, das Raunen, die Schreie, und wenn man es dann sieht, ist es meist auch schon zu spät. Und: Es gibt keinerlei musikalische Untermalung – das Spiel kann Spannung erzeugen, ohne dass bedrohliche Musik uns darauf vorbereitet. Cineastisch grandios und packend!

Und da wir schon beim Sound sind: Die Sprecher der Figuren braten ein herrliches schottisches Englisch durch die Gischt. Wem das zu schwer ist, der sollte unbedingt die Untertitel anschalten. Es ist schon gut, wenn man die Kollegen verstehen kann. So bekommt man auch die Zwischengespräche mit, wenn etwa einer über den anderen herzieht, der sei doch Fan des nordenglischen FC Barnsley – die Fans seien schließlich das Beten gewöhnt, und so überlebe der auch sicher dieses Bohrinsel-Mysterium. In der letzten Stunde kann Humor noch einen Funken Hoffnung geben.

Was hat uns nicht gefallen?

Die unbekannte Kreatur schlängelt sich nach und nach durch alle Bereiche der Bohrinsel. Gibt es ein Entkommen? - © The Chinese Room
Die unbekannte Kreatur schlängelt sich nach und nach durch alle Bereiche der Bohrinsel. Gibt es ein Entkommen? (© The Chinese Room)

Viel zu meckern haben wir eigentlich nicht. Manch einem könnte das Spiel zu schlauchig sein. Geht unser Entdeckerdrang zu sehr mit uns durch, werden wir an unüberwindbaren Hindernissen aufgehalten und uns klargemacht, dass diese Seite der Bohrinsel für unsere Augen tabu ist. Manchmal allerdings wissen wir trotzdem nicht so richtig, was wir tun sollen. Zwar hängen immer mal wieder Umgebungspläne an den Wänden, aber was nun der richtige und gewollte Weg ist, ist uns ab und zu schleierhaft.

Technisch dagegen haben wir keine Mängel festgestellt, allerdings haben die Entwickler inzwischen auch schon ordentlich nachgepatcht.

Unsicher sind wir uns noch, ob uns das Spiel für knappe 35 Euro zu kurz war, denn der Wiederspielwert ist gering. Schnelle Tester waren in rund sechs Stunden durch, wir haben uns etwas Zeit gelassen, sind mehrere Tode gestorben (dafür gibt’s auch Trophäen), und haben insgesamt 11 Stunden in das Spiel gesteckt. Letztendlich muss man aber sagen: Wir haben eine verdammt gute Zeit gehabt mit dem Spiel, und wir bereuen keine Stunde davon. Führt uns zu was? Richtig, zu unserem Fazit.

Unser Fazit zu „Still Wakes the Deep“

Wir können „Still Wakes the Deep“ uneingeschränkt all jenen empfehlen, die gut erzählte, dramatische Mystery- und Horrorgeschichten mögen. Und all jenen, die die Kinofilme der 1970er Jahre mögen und insbesondere die oben genannten Filme. Es ist ein hervorragendes, kurzweiliges Spielerlebnis, atmosphärisch dicht und aufwühlend erzählt.

Die Tortur, die Strapazen, die Tode, die wir erlebt haben, für all das sind wir am Ende entschädigt worden, denn so wie wir die ganze Zeit mit unserer Hauptfigur mitgefiebert haben, wie sie uns ans Herz gewachsen ist, so hat uns das Ende zu Tränen gerührt, und das wird es jeden, der schon einmal ganz uneigennützig geliebt hat. Poah, was für ein Spiel!

„Still Wakes the Deep“ ist seit dem 18. Juni 2024 für Playstation 5, Xbox Series X/S und PC erhältlich und kostet rund 35 Euro.