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"Under the Waves" im Test: Ein Geheimtipp aus den Tiefen der Nordsee

In dem poetischen Unterwasser-Abenteuer säubern wir nicht nur die Weltmeere, sondern erleben auch eine zu Herzen gehende Geschichte über Verlust und Trauer.

In "Under the Waves" sind wir in einem Ein-Mann-U-Boot in den Untiefen der Nordsee unterwegs. | © Quantic Dream

Christian Lund
02.10.2023 | 02.10.2023, 16:43

Auf Tauchstation gehen. Menschen, die trauern, verspüren manchmal diesen Impuls, sich zurückzuziehen. So ergeht es Stan im neuen Unterwasser-Abenteuer des französischen Videospiel-Entwicklers Parallel Studio, das kunstvoll die Einsamkeit der Unterwasserwelt mit Trauerarbeit und den Auswirkungen der menschlich gemachten Umweltverschmutzung verwebt und daraus ein berührendes und kurzweiliges Spiel-Erlebnis macht. Für uns ist es die Spiel-Überraschung des Spätsommers und ein Anwärter auf das Indie-Spiel des Jahres 2023.

Worum geht's?

Um unser U-Boot herum schwimmen ein Rochen und zwei Hundshaie, unten links auf der Karte, die wir natürlich auch vergrößern können, sehen wir die nähere Umgebung und unsere Ziele. - © Quantic Dream
Um unser U-Boot herum schwimmen ein Rochen und zwei Hundshaie, unten links auf der Karte, die wir natürlich auch vergrößern können, sehen wir die nähere Umgebung und unsere Ziele. (© Quantic Dream)

Wir spielen den trauernden Stan, der den Tod seiner Tochter Pearl zu verkraften hat und deshalb in einer retro-futuristischen Version von 1979 als U-Boot-Taucher bei einer Öl-Firma anheuert. Seine Aufgabe: in einer kleinen Tauchstation und in einem Ein-Mann-U-Boot Wartungs- und Erkundungsarbeiten in der Nordsee zu erledigen. Möglicherweise sind Menschen seit dem tödlichen Titanic-U-Boot-Debakel im Sommer 2023 verhalten begeistert, wenn sie sich vorstellen, allein in einem U-Boot durch das Meer zu tingeln, aber "Under the Waves" ist weit entfernt von jeglicher Höllenfahrt.

Das U-Boot, mit dem wir unterwegs sind, ist technisch auf modernem Stand, unser Tauchanzug ist vollgepackt mit Spitzentechnologie, und auch in der Tauchstation sind wir sicher. Dort gibt es sogar eine Dusche, einen Kühlschrank, eine Kaffeemaschine. Aber es ist die Einsamkeit und die Stille unter der Wasseroberfläche, die Stan gesucht hat und hier findet.

Auf seinen Fahrten im U-Boot begegnen ihm die kleinen und großen Tiere dieser verborgenen Welten, er findet alte Wracks und allerlei menschengemachten Müll. Wir tauchen in eine alte Galeere, wir suchen Baupläne und Musikkassetten und können bald schon in der Tauchstation an einem Boxsack unsere Frustration rauslassen und an einer Gitarre sanfte Lieder spielen. Eines Tages aber begegnet Stan einem mysteriösen Phänomen, und damit beginnt der nächtliche Teil des Abenteuers.

Was uns gefallen hat

Was im All der Satellitenmüll ist, ist im Meer der Plastikmüll: Hier fahren wir durch eines der Müllfelder. - © Quantic Dream
Was im All der Satellitenmüll ist, ist im Meer der Plastikmüll: Hier fahren wir durch eines der Müllfelder. (© Quantic Dream)

Man muss sagen: Das Spiel ist bereits seit Ende August auf dem Markt. Wir haben die Rezension allerdings auf einen späteren Zeitpunkt verlegt, weil das Spiel anfangs mit technischen Problemen zu kämpfen hatte, für die die Entwickler einen schnellen Patch versprochen hatten. Den wollten wir abwarten, weil uns trotz der technischen Probleme klar war: Dies ist kein Spiel, das einen Verriss verdient hat, nur weil es vielleicht an einigen Stellen unfertig auf den Markt kam (womit ja einige Spiele in der Vergangenheit zu kämpfen hatten).

Woran wir das gemerkt haben? Wir haben "Under the Waves" auf der PS5 getestet und hatten in der Tauchstation nicht nur mit Tearing (einem Zerreißen des Bildes) zu kämpfen. Das Spiel pfefferte uns nach einiger Zeit auch immer wieder eine Fehlermeldung auf den Bildschirm, dass ein Speicherpunkt nicht gespeichert werden konnte. Die Entwickler erklärten, dass die Fehlermeldung falsch war, das Spiel sehr wohl speicherte – die Meldung tauchte nur immer wieder auf. Das sollte zeitnah behoben werden – wir wollten darauf aber nicht warten. Wir haben die Meldung wieder und wieder weggeklickt. Wir haben das Spiel neu gestartet und hatten dadurch in der Regel gute zwei Stunden Ruhe, bevor der Fehler wieder auftrat. Aber: Wir spielten weiter. Wir haben das verdammte Ding zu Ende gespielt, weil die Story und das Spiel einfach so gut sind, dass die Fehler zwar nervig waren, aber nicht zum Spielabbruch führten.

Rund eine Woche nach Release kam der Patch für den PC, wenige Tage später dann auch die Konsolen-Version. Ein Test zeigte dann: Die empfindlichen Fehler waren wirklich behoben, das Spiel ist jetzt guten Herzens empfehlbar. Und das sind die weiteren Gründe dafür:

Natürlich darf man die melancholische Seite des Spiels nicht außer Acht lassen, die Isolation und die Dämonen der Hauptperson. Wie wir nach und nach seine inneren Wunden aufdecken und seiner Trauer begegnen. Aber es ist auch die ökologische Perspektive, die dieses Spiel so interessant und hervorhebenswert macht. Und: nein, hier werden keine moralischen Botschaften mit der Holzhammer-Methode verabreicht, sondern die offensichtlichen Probleme der Weltmeere subtil mit Stans Arbeit verwoben. Wir kennen alle die Fotos von Schildkröten und Fischen, die sich in Plastikmüll verstricken. Aber für die meisten von uns ist das weit weg.

Wer behauptet, Gitarre spielen könnte jeder, sollte sich mal an diesen Lagerfeuer-Songs versuchen. Glücklicherweise beeinflusst unser Können an der Klampfe nicht den Spielausgang. - © Quantic Dream
Wer behauptet, Gitarre spielen könnte jeder, sollte sich mal an diesen Lagerfeuer-Songs versuchen. Glücklicherweise beeinflusst unser Können an der Klampfe nicht den Spielausgang. (© Quantic Dream)

In "Under the Waves" ist das alles andere als weit weg. Eben noch schwamm ein Buckelwal einträchtig neben unserem U-Boot, bevor er abrupt abbog. Im nächsten Moment fahren wir durch ein immenses Feld aus Plastikmüll. Kaum sind wir durch, meldet unser Bordsystem Ölflecken auf dem Meeresboden. Und die Scheinwerfer unseres U-Boots erfassen ein Autowrack auf einem Felsen, rundherum liegen Ölflaschen, Getränkedosen und noch mehr Müll. Dann ziehen ein paar Quallen vorbei. Und es ist absolut still.

Die meiste Zeit verbringen wir in unserem U-Boot "Moon" (Film-Kennern sollte da was einfallen), während wir versuchen, jeden Winkel der nicht unbedingt riesigen Map zu erkunden. Das Tolle ist: Es macht einfach riesigen Spaß, und es wird nicht langweilig. Die Entwickler haben die Karte so aufgebaut, dass es genügend fordernde Anreize gibt, sie ist zugleich aber nicht so überfüllt, dass wir das Gefühl haben, man wolle das Spiel künstlich in die Länge ziehen. Warum wir allerdings nur neun Lebewesen unter Wasser fotografieren müssen, ist uns schleierhaft. Hier lassen die Entwickler leider weitere Aufklärungsarbeit über die Fauna der Meere liegen. Was uns aber gefällt: Selbst die Haie wollen uns nicht fressen. Es ist also völlig ungefährlich, ein Selfie mit einem Hai zu machen.

Auch optisch weiß das Spiel zu gefallen. Es sieht nicht hyper-realistisch aus, sondern kommt eher in einer Animationsfilm-Optik daher. Dabei ist die Beleuchtung hervorragend gelungen. Hier sieht man wohl auch die Erfahrung von Publisher Quantic Dream, der die Indie-Entwickler von Parallel Studio unterstützte. Wie die Scheinwerfer des U-Bootes nur einen begrenzten Raum ausleuchten. Wie das Meer in den Tiefen das Licht anders schluckt als in den oberen Bereichen. Wie wir die Dunkelheit mit den Augen absuchen und dann nach und nach die Außenbeleuchtung unserer Station uns wie ein ins Fenster gestellte Licht heimwärts lenkt.

Auch die musikalische Untermalung ist stimmig, der Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung kunstvoll in Szene gesetzt. Für Spielerinnen und Spieler ist es immer wieder ein Erlebnis, wenn sich Bild und Ton so harmonisch begegnen. Die Walgesänge, unser Atem und die ungewöhnlichen Explosionsgeräusche, wenn wir Container aufsprengen müssen, um eine weitere Katastrophe zu verhindern.

Was uns nicht gefallen hat

Duschen mit Wollmütze? Machen Sie jetzt mit beim neusten TikTok-Trend! - © Quantic Dream
Duschen mit Wollmütze? Machen Sie jetzt mit beim neusten TikTok-Trend! (© Quantic Dream)

Wir haben jedoch auch Dinge, die uns nicht gefallen haben. Vor allem: das Gehen in der Raumstation. Es gibt keine Möglichkeit, schneller zu gehen, zu laufen, zu rennen gar. Wir gehen gemächlich vom Schlafzimmer durch das Badezimmer in den Hauptraum und von dort in die Küche. So langweilig wie der letzte Satz ist der Gang vom Schlafzimmer in die Küche. Das hätte man besser machen können.

Auch die Steuerung ist manchmal etwas hakelig. Müssen wir mit unserem U-Boot in sehr schmale Gänge eintauchen, ecken wir oft an, weil sich die Dimensionen schlecht abschätzen lassen, egal in welcher Kameraansicht wir das U-Boot bewegen. Sind wir als Taucher in engen Röhren unterwegs, verwirbeln wir uns manchmal. Das ist in der Regel aber verschmerzbar, könnte man aber sicher mit weiteren Einstellungsmöglichkeiten noch besser hinkriegen.

Oben haben wir bereits erwähnt, dass wir boxen und Gitarre spielen können. In beiden Disziplinen können wir eine Trophäe einheimsen – beim Boxen ist das ein Kinderspiel, bei der Gitarre ein furchtbares Glücksspiel. Hier muss man zur richtigen Zeit eine Taste drücken oder halten. Ist man nur eine Millisekunde zu spät, kann man den Rekord nicht mehr brechen. Das ist enorm frustrierend, beeinflusst allerdings den Spielverlauf nicht und ist deshalb nur für Trophäenjäger ein ganz besonderes Ärgernis.

Weniger ärgerlich, dafür um so lustiger ist, dass Stan seine Wollmütze nicht nur im Taucheranzug trägt, sondern auch unter der Dusche. Hier kommt die Bildkomposition etwas an ihre Grenzen, wenn er sich komplett bekleidet wohlig unter der Dusche rekelt. Hier merkt man: Wasser ist einfach sein Element.

Fazit

"Under the Waves" ist ein faszinierendes, originelles, völlig gewaltfreies und bedeutungsvolles Spiel, das uns rund 19 Stunden an den Bildschirm gefesselt hat – viel länger, als die von den Entwicklern angegebene Spielzeit von 10 Stunden. Ob man sich danach bei Greenpeace anmeldet, beim nächsten Strandbesuch fremden Müll aufsammelt oder einfach weiterlebt wie bisher: Einige Szenen aus diesem Spiel wird man nicht vergessen. Vielleicht wirken sie auch erst nach einiger Zeit. Aber sie wirken. Was kann ein Spiel besser machen, als das?

Wer allerdings ein action-lastiges Unterwasserspiel sucht, sollte sich eher an "Subnautica" wagen. "Under the Waves" ist gemächlich, ruhig, entschleunigt und vor allem atmosphärisch dicht. Für das schmale Geld von 30 Euro lohnt sich das Spiel total, denn die wenigen Schwächen sind für uns keine, die uns die Stimmung verderben. Also, nichts wie runter in die Nordsee!

"Under The Waves" ist digital für PC, PlayStation 5, PlayStation 4, Xbox Serie S/X und Xbox One für rund 30 Euro erhältlich. Eine physische Deluxe-Edition mit einem Artbook und exklusiven Stickern ist ebenfalls für PlayStation 5, PlayStation 4, Xbox Series S/X und Xbox One für rund 40 Euro erhältlich. Das Spiel ist ab 12 Jahren freigegeben.