Volkstrauertag

Skelett im Bombentrichter - Volksbund birgt weiter Soldaten

Moos wächst auf dem Grabstein eines unbekannten Soldaten - er starb vor rund 80 Jahren bei den Kämpfen am Niederrhein. | © Federico Gambarini/dpa

16.11.2025 | 16.11.2025, 05:02

Bei Gleisbauarbeiten nahe der Lippe in Wesel am Niederrhein wird das Skelett des Soldaten gefunden: zwei Meter tief, mit Erde bedeckt, in einem früheren Bombentrichter. «Der Mann wurde wahrscheinlich tot da hereingeworfen. Seinen Namen wissen wir leider nicht. Er hatte keine Erkennungsmarke», sagte Patrick Leidig.

Der 37-Jährige ist als Umbetter des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge für Nordrhein-Westfalen zuständig. Wann immer im Bundesland noch Überreste von getöteten Soldaten gefunden werden, kommt er dazu. Er birgt die Knochen oder Kleidungsreste der Toten und sorgt für eine würdevolle Bestattung in einer der rund 2.100 NRW-Kriegsgräberstätten.

«Den Toten ihre Geschichte zurückgeben»

«Keiner hat es verdient, unbekannt irgendwo draußen zu liegen», sagt Umbetter Patrick Leidig. - © Federico Gambarini/dpa
«Keiner hat es verdient, unbekannt irgendwo draußen zu liegen», sagt Umbetter Patrick Leidig. (© Federico Gambarini/dpa)

«Ich will den Männern ihr Gesicht und ihre Geschichte zurückgeben», sagt Leidig. «Keiner hat es verdient, unbekannt irgendwo draußen zu liegen.» Aktiv nach Kriegsopfern gesucht werde in NRW nicht mehr, aber Zufallsfunde gebe es immer wieder - meist bei Bauarbeiten. Mehr als 30 Soldaten hat Leidig NRW-weit in solchen Fällen schon bestattet.

Kriegstote, zu denen auch Widerstandskämpfer, ausländische Kriegsgefangene und Opfer von Bombenangriffen zählen, haben - anders als Zivilisten - ein dauerhaftes Ruherecht auf den Friedhöfen, wie der Geschäftsführer des Volksbundes NRW, Stefan Schmidt betont. Damit soll die Erinnerung wachgehalten werden.

Leidig ist bei seiner Arbeit die Identifikation der Toten besonders wichtig - damit die Familien mit dem Tod abschließen können und auch als Zeichen an die heutige Generation, gerade am Volkstrauertag, an dem an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft erinnert wird. «Der jüngste Soldat, den ich ausgegraben habe, ist mit 15 gestorben. Schülerkompanie. Er hatte sein ganzes Leben noch vor sich. Und wofür ist er gestorben - für nichts», sagt er.

Eingravierte Namen helfen bei der Identifizierung

Beim Skelett des Soldaten an der Lippe fand Leidig auch Uniformreste, Knöpfe, Schuhe und ein Essbesteck. Aber das half in diesem Fall nicht weiter bei der Identifizierung. Manchmal gebe es Namensgravuren etwa auf Helmen oder Essgeschirren, sagt Leidig.

Der Mann blieb unbekannt. Er wurde auf einem Soldatenfriedhof im Diersfordter Wald nahe Wesel bestattet. Bald bekommt er - wie viele andere auf dem Friedhof - ein schlichtes Grabkreuz mit der Aufschrift «Unbekannter Soldat».

Illegale Sondengänger machen Volksbund die Arbeit schwer

Beigesetzt werden die Toten ohne einstige Ausrüstungsgegenstände aus Metall - auch, um keine Grabräuber anzuziehen. Hunderte illegale Sondengänger seien auf der Suche nach Helmen, Waffen und Munition unterwegs, sagt Leidig. Das sei zu einem gesetzlich verbotenen und zudem gefährlichen Volkssport geworden - gefährlich, weil im Boden oft noch explosive Munition stecke - etwa am einstigen Schlachtfeld im Hürtgenwald bei Aachen.

Wenn die Identifikation gelinge, stoße er oft auf dankbare Familienmitglieder, erzählt der Umbetter. Eine alte Frau aus dem Münsterland habe ihm nach der Todesnachricht bei der Beisetzung den letzten Feldpostbrief ihres Mannes geschenkt. «Nun kann ich in Ruhe sterben», habe die Dame gesagt, und sei Wochen danach tatsächlich tot gewesen.

Einst Kampfzone - heute Soldatenfriedhof

Der Soldatenfriedhof im Diersfordter Wald liegt kurz vor dem Volkstrauertag still und friedlich in der Herbstsonne. Kaum vorstellbar, dass hier im Frühjahr 1945 eine Hauptkampfzone bei der Großoffensive «Operation Plunder» war, mit der Briten und Amerikaner den Übergang über den Rhein erzwingen wollten.

Deutsche Soldaten hätten hier auf landende alliierte Fallschirmjäger geschossen, sagt Leidig. «Die Toten hingen überall in den Bäumen.» Tausende Soldaten starben bei der Offensive auf beiden Seiten.

Schulklassen sollten häufiger die vielfach weitgehend vergessenen Soldatenfriedhöfe besuchen, schlägt Leidig vor. Die Friedhöfe erzählten die Geschichte der Toten und setzten so ein Zeichen für den Frieden. Das könne man etwa mit App-geführten Rundgängen verstärken, die an manchen Friedhöfen schon angeboten werden. «Gerade jetzt, wo wieder so viel über den Krieg geredet wird, muss man den Menschen zeigen, was der Krieg aus einem macht.»