Lippstadt/Bielefeld. Der Bielefelder Gynäkologe Joachim Volz klagt gegen das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen seines Arbeitgebers, dem Klinikum Lippstadt, und wurde vom Arbeitsgericht Hamm abgewiesen. Das Klinikum darf seinem Chefarzt demnach Schwangerschaftsabbrüche untersagen. Die Klage von Volz richtet sich gegen eine Dienstanweisung, die ihm medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche sowohl in der Klinik als auch in seiner Praxis in Bielefeld untersagt. Beides ist nach Auffassung des Gerichts zulässig. Volz zeigt sich davon „überrascht“. „Wir können es kaum glauben“, sagt er nach der Verhandlung. „Wenn der Staat das so sehe, müssen wir möglicherweise den politischen Weg gehen.“
Als Volz im April das erste Mal wegen seiner Klage gegen das Abtreibungsverbot seines Arbeitgebers zum Amtsgericht Lippstadt muss, geht er diesen Weg allein mit seiner Frau Stefanie Volz-Köster. Der Gütetermin endet ohne Ergebnis. Vier Monate später muss Volz für die erste Gerichtsverhandlung erneut ins Gericht, wird dieses Mal aber von 2.000 Unterstützern begleitet, die lautstark klar machen, dass sie Volz im Kampf gegen die Vorgaben der katholischen Kirche als Trägerin der Klinik unterstützen.
„Ich bin so froh über diese überwältigende Unterstützung, die zeigt, dass ich nicht alleine mit meiner Meinung bin. Ihr gebt mir Kraft und Mut diesen Weg zu gehen, egal, wie lange dieser dauern wird“, sagt Volz zu seinen Unterstützern. „Gemeinsam gehen wir gegen dieses Unrecht vor und ich bin mir sicher, dass die Vernunft siegen wird.“
Arzt trifft betroffene Patientin vor dem Klinikum
Mit seinen Unterstützern geht Volz am Freitag eine Strecke von zwei Kilometern entlang des Klinikums bis zum Amtsgericht. Vom Straßenrand und Balkonen jubeln ihm Menschen zu, während die Demonstranten gemeinsam rufen: „Wir sind stolz auf Professor Volz.“ Bei einem Stopp am Klinikum kommen seine Kollegen auf die Balkone und zum Eingang, um ihre Solidarität zu zeigen.
Dort kommt es etwas abseits des Demonstrationszuges auch zu einem ruhigen, emotionalen Moment zwischen Volz und seiner Patientin Kristin, die in der 30. Woche schwanger ist. Die Beiden umarmen sich und tauschen sich kurz aus. Dann erklärt Volz, dass Kristin zu den Frauen gehört, die aufgrund des Abtreibungsverbotes im Klinikum Lippstadt nicht mehr vollumfänglich versorgt werden dürfen.
„Ich habe vor einigen Wochen erfahren, dass unsere Tochter sehr schwere Fehlbildungen hat und deshalb nicht lebensfähig sein wird“, erklärt Kristin. Aktuell spürt sie ihre Tochter. „Wir wissen aber, dass sie jeden Moment sterben kann und das belastet uns sehr.“ Bisher habe sie sich noch nicht zu einer Entscheidung für oder gegen eine Austragung der Schwangerschaft entscheiden können. „Mir ist aber wichtig, dass ich die Wahl habe und weiter im Klinikum versorgt werden kann, weil ich dort sehr gut betreut werden.“

Patientinnen unterstützen den Kampf ihres Arztes
Kristin und ihr Mann Fabian sind wütend darüber, dass sie diese Wahl aufgrund der neuen Vorgaben im Klinikum nun nicht mehr haben. „Wir sind in einer Ausnahmesituation, die mich, meinen Mann und unseren Sohn schwer belastet. Diese zusätzliche Unsicherheit können wir nicht gebrauchen.“
Die Familie unterstützt das Anliegen von Volz bereits seit vielen Monaten. „Ich hätte aber nie gedacht, dass ich nun selber zu den betroffenen Frauen zähle, die nun nicht mehr vollumfänglich im Klinikum versorgt werden“, erklärt Kristin. Darauf weist auch Volz immer wieder hin. „Frauen, die eine Schwangerschaft aufgrund einer medizinische Indikation abbrechen müssen, sind in einer existenziellen Notlage. Meine Aufgabe als Arzt ist es, sie dabei bestmöglich zu beraten, zu unterstützen und zu versorgen und diese Aufgabe möchte ich mir nicht nehmen lassen.“
232.000 Menschen unterstützen die Petition von Joachim Volz
Unterstützung erfährt Volz inzwischen bundesweit. Seine seit dem 15. Juli laufende Petition auf der Plattform „Innn it“ hat inzwischen mehr als 232.000 Unterstützer. Darin fordert Volz ein Ende religiöser Vorschriften in Kliniken und die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. „In der Medizin sollte die Patientin im Austausch mit ihren Ärzten das letzte Wort haben und nicht ein katholischer Moralapparat, der sich über die Betroffenen und die Gesetze hinwegsetzt.“ 2.000 Unterstützer in Lippstadt und mehr als 233.000 Unterstützer der Petition. „Stellt sie euch alle vor: Wir würden bis Gütersloh stehen“, sagt Volz.
Mit mehr als 232.000 Unterstützern ist Petition nach Angaben von „Innn it“-Mitarbeiterin Celina Polz inzwischen die Drittgrößte auf der Plattform.
Das Gerichtsverfahren des Arbeitsgerichts Hamm begann am Freitag um 10.45 Uhr im Amtsgericht Lippstadt. Richter Klaus Griese forderte zunächst beide Parteien, den anwaltlichen Vertreter des Klinikums Lippstadt, Philipp Duvigneau, sowie Volz und seinen Anwalt Till Müller-Heidelberg, dazu auf, die unterschiedlichen Positionen nochmal darzulegen.
Zunächst versuchte Duvigneau auf die minimalen Ausnahmen abzuheben, die ja trotz des grundsätzlichen Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen seit der Klinikfusion noch bestehen. „Wenn Sie damit einverstanden wären, müssten wir uns gar nicht vor Gericht treffen.“ Diese wenigen Ausnahmen wiesen die Kläger jedoch als „völlig unzureichend“ zurück, da hier das Leben des Kindes oder der Schwangeren akut bedroht sein müsse, was praxisfern sei, sagt Müller-Heidelberg. „In Polen ist so ein Fall tatsächlich einmal passiert. Man hat gewartet, bis die Frau in Lebensgefahr war, um zu handeln. Die Frau ist aber gestorben und die Verantwortlichen wurden vor Gericht gestellt“, erklärt Volz.
Klinikvertreter bringt vor Gericht die katholische Morallehre ins Spiel
Streitgegenstand blieb also die Dienstanweisung der Klinik vom 15. Januar 2025, die Volz als „massiven Eingriff in die Freiheit des Arztes“ bezeichnet. Der Gynäkologe wolle auch weiterhin anhand seiner Diagnostik, auf die entsprechende Therapie und einen Abbruch hinweisen dürfen und diesen, wenn es der Wunsch der Frau sei, auch selbst auszuführen. „Diese sogenannte Ausnahme, von der Sie sprechen, ist ein Feigenblatt“, monierte Volz. Die gültige Rechtslage sehe vor, dass der Arzt sich nur aufgrund seiner ärztlichen Erkenntnis frei entscheiden können müsse, der Frau dann aber auch eine entsprechende medizinische Hilfe anbieten können müsse.
Der Klinikvertreter brachte dann die katholische Morallehre ins Gespräch, die Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verbiete, auch bei medizinischer Indikation. „Natürlich sind Sie in Ihrer Diagnostik nicht behindert. Die Therapie, sprich ein Abbruch muss dann eben woanders durchgeführt werden.“ Zur Sprache kam dann, dass das Verbot ja auch auf die Arbeit von Volz in seiner Bielefelder Praxis ausgeweitet wurde. „Weil man fürchtet, dass ich meine Patientinnen dorthin mitnehmen könnte“, mutmaßte Volz.
Nach gut einer Stunde Verhandlung ergab sich ein neuer Gesichtspunkt durch einen Hinweis des Chefarztes. Volz gab zu Protokoll, dass er vor 13 Jahren beim Einstellungsgespräch am Evangelischen Krankenhaus Lippstadt in Absprache mit dem damaligen Geschäftsführer nur unter der Bedingung unterschrieben habe, dass er medizinisch indizierte Abbrüche durchführen dürfe. „Das ist Vertragsgrundlage seit 13 Jahre. Sonst hätte ich in Lippstadt gar nicht angefangen.“ Mit dieser wichtigen Zusatzinformation und dem Verweis von Volz’ Anwalt, den damaligen Geschäftsführer hierzu noch als Zeugen laden zu können, zog sich das Gericht zur Beratung zurück.
Kurz darauf verkündete Richter Griese jedoch, dass das Klinikum als Arbeitgeber dazu berechtigt ist, Volz Schwangerschaftsabbrüche an all seinen Wirkungsstätten zu untersagen. Volz kündigte an, eine Berufung zu prüfen, sobald die Begründung des Gerichts vorliegt.
Erzbistum Paderborn versteht, dass Frauen Verbote als Zumutung empfinden können
Das Erzbistum Paderborn äußert sich nicht zu der arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung zwischen Volz und dem Klinikum, sieht sich aber in der Verantwortung für eine ethische und seelsorgliche Einordnung. Darin heißt es, dass die ethische Haltung keine Einmischung in persönliche Entscheidungen sei, sondern Ausdruck eines Menschenbildes, das jedem Leben, von der Empfängnis an, Würde und Schutz zuspricht. „Uns ist bewusst, dass diese Haltung in Grenzsituationen als Zumutung empfunden werden kann. Umso wichtiger ist es uns, sie nicht aus vermeintlicher moralischer Überlegenheit zu vertreten, sondern aus unserem Glauben – mit Ernsthaftigkeit, Zuwendung und Verantwortung.“
Zudem verweist das Erzbistum auf ihre Schwangerschaftsberatungsstellen, die jährlich mehr als 6.000 Frauen, Paare und Familien begleiten. „In rund 20.000 Gesprächen geht es um Orientierung, materielle Hilfe, seelsorgliche Unterstützung – vor, während und nach einer Geburt. Dafür stehen aktuell rund zwei Millionen Euro jährlich aus kirchlichen und staatlichen Mitteln zur Verfügung.“
Das Erzbistum wisse aber auch, dass sie mit allem, was sie anbieten, nicht immer die Antwort sind, die in diesem Moment gesucht wird. „Es tut uns aufrichtig leid, wenn Frauen uns in solchen Situationen als nicht nah genug, nicht hilfreich oder nicht verständlich erleben. Aber gerade weil es keine einfachen Antworten gibt, können wir auch keine vorgeben.“
Stellung zum Urteil nahmen auch Britta Haßelmann, Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, und Ulle Schauws, Sprecherin für Frauenpolitik, die mit vor Ort war. Haßelmann: „Dies ist kein guter Tag für die Frauen in Lippstadt und in Deutschland.“ Bereits jetzt sei die Versorgungslage für Schwangere immer schlechter geworden. Dass aber Frauen in Notlagen durch die Dienstanweisung eines Bistums nicht mehr versorgt würden, sei „das Gegenteil von christlicher Nächstenliebe“. Schauws kritisierte, dass es „ein überholtes katholisches Arbeitsrecht mit Sonderbefugnissen in unserem Land gibt, statt einer flächendeckend guten, medizinischen Behandlung von Schwangeren“. Beide fordern, Ärzte wie Volz in dieser „unmöglichen“ Situation nicht alleinzulassen: „Sie benötigen Rechtssicherheit und die Unterstützung von Gesellschaft und Politik.“