Reerdigung: Neue Variante der Beerdigung polarisiert in NRW

Düsseldorf. Wie wollen Sie bestattet werden? Auf dem Friedhof? In einer Urne? Oder auf hoher See? Auch wenn viele Menschen diese Frage scheuen: Irgendwann müssen sie sich damit befassen. Die Auswahlmöglichkeiten werden größer; Bestattungsformen befinden sich im Wandel. Den gesetzlichen Rahmen schafft das Land NRW. Die Politik befasst sich dort jetzt mit einer neuen Art der Bestattung, die gerade für reichlich Aufregung sorgt. Es handelt sich um die sogenannte Reerdigung. Sie stellt keine eigenständige Bestattungsform dar, sondern ist eine Variante der klassischen Erdbestattung. Dabei wird der Leichnam durch Bakterien und durch ein pflanzliches Substrat zu Humuserde umgewandelt. Nach 40 Tagen sind die Knochen frei von Weichgewebe. Die Überreste des Skeletts werden danach von einer Mühle zermahlen. Die &bdquo;neue Erde“ - ungefähr in der Größenordnung eines vollen Sargs - habe eine humusartige Struktur und sei mit nährstoffreichem Mulchboden vergleichbar, sagt Jan Dreßler von der Universität Leipzig. Das dort ansässige Institut für Rechtsmedizin spricht sich dafür aus, diese alternativen Bestattungsformen wissenschaftlich zu begleiten und über einen längeren Zeitraum zu evaluieren - unter Aufsicht einer Ethikkommission. Das Institut hat in der Vergangenheit bereits 22 Reerdigungen untersucht. In NRW ist sie rechtlich nicht zugelassen. Kritiker sehen in der Reerdigung eine Verletzung der Totenwürde So wie Dreßler sehen auch weitere Experten Chancen in dieser Variante der Bestattung. Die Verbraucherinitiative Bestattungskultur begrüßt die Reerdigung grundsätzlich, pocht aber auf eine rechtliche Grundlage, um die Form wissenschaftlich zu evaluieren. Auch Bestatter David Roth aus Bergisch Gladbach spricht sich klar für die Zulassung der Reerdigung aus, weil sie eine umweltfreundliche und CO2-sparende Methode und somit sanfte Alternative zur Feuerbestattung darstelle. Roth plädiert dafür, die Reerdigung ohne eine lange Experimentierphase als dritte Bestattungsoption ins Bestattungsgesetz aufzunehmen. Doch das sehen längst nicht alle so. Dass es nur eine zweistellige Anzahl an Reerdigungen gäbe, belege die mangelnde Nachfrage, sagt Bestattermeister Christian Fritz. Gesetzesänderungen sollten auf gesellschaftlichem Interesse oder fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen – beides fehle. Die Reerdigung verletze mitunter die Totenwürde durch mechanische Bearbeitung der Knochen und längere Wartezeiten, die den Trauerprozess der Angehörigen erheblich verzögere. Auch gesundheitliche Risiken durch medikamentöse Rückstände in der Humusmasse seien unzureichend erforscht. Kritisch äußert sich auch Andreas Niehaus vom Bestatterverband NRW. Die in Schleswig-Holstein erprobte Methode der Humankompostierung sei in der Fachwelt &bdquo;stark umstritten“. Fachleute und Bestatter seien &bdquo;besorgt“ über die mangelnde wissenschaftliche Begleitung und die fehlende Aufklärung der Öffentlichkeit. Die ethische Frage, ob eine derartige Bestattungsform die Würde der Verstorbenen wahre, bleibe unbeantwortet, und daher werde die Fortführung der Erprobung nur unter umfassender wissenschaftlicher Überprüfung befürwortet. Feuerbestattungen in NRW nehmen zu; Erdbestattungen nehmen ab Auch Kirchenvertreter und der Städtetag lehnen die Reerdigung ab beziehungsweise sehen zumindest derzeit offene Fragen. Sie alle waren am Mittwoch zu einer Expertenanhörung im Landtag geladen, um über Bestattungsformen zu sprechen. Entstanden ist die Idee für die Anhörung in OWL. Der SPD-Landtagsabgeordnete Thorsten Klute aus Versmold habe in den vergangenen Monaten immer wieder Zuschriften bekommen von Menschen, die sich andere Bestattungsformen wünschten. &bdquo;Ich hatte vor einem Jahr in meinem Wahlkreis eine Veranstaltung dazu gemacht. Ich war erstaunt, wie viele Menschen zu dem Thema gekommen sind“, sagt Klute. Die Expertenanhörung im Landtag brachte auch zutage, dass Feuerbestattungen inzwischen zu mehr als 70 Prozent dominieren. Christliche Bestattungen nehmen derweil stark ab und machten 2022 nur noch 46,5 Prozent aus. Auch auf den evangelischen Friedhöfen steige der Anteil der Urnenbestattungen und der pflegefreien Wahlgemeinschaftsgräber. Bestattungen unter Bäumen und in Kolumbarien würden ebenfalls zunehmen, sagt Oberkirchenrat Martin Engels vom Evangelischen Büro in NRW. Einige Experten äußerten den Wunsch, den Friedhofszwang zu lockern - und mehr individuelle Trauerformen zuzulassen. Dazu zählt zum Beispiel der Wunsch, Urnen zu Hause aufzubewahren oder die Asche in der Natur zu verstreuen. Burkhard Kämper vom Katholischen Büro NRW sieht Urnenbestattungen im privaten Bereich jedoch kritisch, da diese die postmortale Würde des Verstorbenen gefährde. Die Kirche lehne Urnenbestattungen zu Hause ab, da die Asche einen festen, unveränderbaren Ort der Erinnerung benötige. Trotz der Tendenz zu Feuerbestattungen halte die Kirche an der Erdbestattung fest, da sie als Ausdruck größerer Wertschätzung für den Verstorbenen und als würdiger angesehen werde. SPD-Politiker Klute ist mit dem Verlauf der Anhörung sehr zufrieden. &bdquo;Ich denke, es gibt im Landtag eine Offenheit, über diese neue Form der Bestattung nachzudenken“, sagt Klute mit Blick auf die Reerdigung. Kritisch sieht er persönlich derweil Forderungen, Urnen auch zu Hause aufbewahren zu dürfen. Grundsätzlich gebe es unter den demokratischen Fraktionen die Bereitschaft, gemeinsam an möglichen Veränderungen des Bestattungswesens zu arbeiten. &bdquo;Darüber werden wir nun parteiübergreifend sprechen.“

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