Von wegen Ideologen: Warum die NRW-Wirtschaft die Grünen lobt

Düsseldorf. Wer sich auf die erregte Schnelllebigkeit der sozialen Medien einlässt, macht dort prompt einen Hauptgegner aus: die Grünen. Die &bdquo;Öko-Partei“ scheint für viele Bürgerinnen und Bürger an so ziemlich allem schuld zu sein. Teile der CDU und vor allem CSU-Chef Markus Söder geben sich neuerdings alle Mühe, diesen Eindruck zu verfestigen. Doch Akteure, die wirklich und regelmäßig mit den Grünen zu tun haben, sehen das völlig anders. Die Partei ist in NRW immer mal wieder Teil der Regierung. Seit 2,5 Jahren regiert sie am Rhein als Juniorpartner an der Seite der CDU; davor koalierte sie bis 2017 mit der SPD. Damals beäugte die mächtige Wirtschaft die Grünen noch kritisch. Die Rede war hinter vorgehaltener Hand vom &bdquo;grünen Schreckgespenst“, dessen Politik von Ideologie und moralischer Überheblichkeit geprägt gewesen sei. Während Kritiker dies der Partei auf Bundesebene heute noch immer ankreiden, will die Spitze der NRW-Wirtschaft davon nichts mehr wissen. &bdquo;Unsere Zusammenarbeit ist sehr gut“, sagt Unternehmerpräsident Arndt Kirchhoff – und stellt eine neue &bdquo;Kultur“ fest. Die Zusammenarbeit mit den Grünen habe sich &bdquo;positiv verändert“. Vor allem zu NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) pflege der Unternehmerverband, der für rund drei Millionen Beschäftigte spricht, ein &bdquo;vertrauensvolles“ Verhältnis. &bdquo;Wir sitzen manchmal zweimal pro Woche zusammen“, so Kirchhoff. Neubaur binde die Wirtschaft &bdquo;gut ein“. Grünen-Führung in NRW will den ländlichen Raum in den Blick nehmen Auch die junge Grünen-Spitze in NRW um Parteichef Tim Achtermeyer schlägt seit einiger Zeit auffallend gemäßigte Töne an – und versucht die Partei als pragmatische Kraft der Mitte zu verorten, die zum Beispiel die Sorgen der ländlichen Bevölkerung ernst nimmt. Damit versucht Achtermeyer, den Vorwurf auszuräumen, wonach die Grünen vor allem Politik für die Interessen wohlhabender Großstädter mache. Neubaur wiederum zog zu Beginn ihrer Amtszeit Verbitterung und Wut der Klimabewegung auf sich, als sie einem umstrittenen &bdquo;Deal“ mit dem Energieunternehmen RWE zustimmte. Der sah vor, früher als geplant aus der Kohleverstromung auszusteigen – dafür aber den Braunkohleort Lützerath abzubaggern. Die Bilder des Protestes Anfang 2023 gingen um die Welt. Tatsächlich hatten sich CDU und Grüne schon früh nach der erfolgreichen Landtagswahl darauf geeinigt, statt 2038 bereits 2030 aus der Kohle auszusteigen. Den dafür nötigen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien tragen beide Parteien mit. Doch inzwischen ziehen über Düsseldorf erste dunkle Wolken auf. NRW reicht die Kraftwerkstrategie der Bundesregierung nicht aus Die Zweifel an dem ambitionierten Zeitplan mehren sich. Der Ausstieg bis 2030 sei &bdquo;unrealistisch“, wenn nicht noch in diesem Jahr erste Ausschreibungen für Back-up-Kraftwerke erfolgten, sagt Kirchhoff. Es müssten im Land jetzt wasserstofffähige Gaskraftwerke &bdquo;in nie gekanntem Tempo“ geplant, genehmigt und gebaut werden. &bdquo;Andernfalls wird das selbstgesetzte Ziel des Braunkohleausstiegs 2030 nicht gelingen.“ Die Gaskraftwerke sind deshalb so wichtig, weil sie als Reserve herhalten sollen, wenn nicht genug Strom aus Wind- und Sonnenkraft produziert werden kann. Die NRW-Regierung sieht die Verantwortung dafür beim Bund und seiner Kraftwerkstrategie. Die dauert den Akteuren um Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) viel zu lang und ist in ihren Augen auch nicht ausreichend. Kirchhoff lässt diesen Fingerzeig nach Berlin aber nicht länger gelten. NRW müsste die Gaskraftwerke &bdquo;jetzt“ alleine bauen. &bdquo;Wo sind denn die Standorte?“, fragt der Unternehmer, der früher selber Kraftwerke gebaut hat. Es könne sein, dass es für die Projekte, die rund fünf Jahre dauerten, bereits &bdquo;zu spät“ sei, so Kirchhoff. Konkret müsse das Land nun Klarheit für Kraftwerksinvestitionen schaffen, fordert der Arbeitgeberpräsident. So solle die Landesregierung unter anderem eine Mindestlaufzeit der Anlagen garantieren und Verträge verhandeln. Unternehmerpräsident Kirchhoff kritisiert die Verkehrspolitik in NRW Während die NRW-Wirtschaft zwar die Zusammenarbeit mit CDU und Grünen als &bdquo;verlässlich“ lobt, sieht sie viele politische Baustellen. Die Lage der Wirtschaft sei &bdquo;außerordentlich ernst“. Das Land habe es nicht bloß mit einer Rezession, sondern mit einer &bdquo;schweren strukturellen Krise“ zu tun. Es sei eine &bdquo;ganz schlimme Nachricht“, dass die Industrieproduktion in NRW inzwischen um 18 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2018 liege, sagt Kirchhoff. Es drohe gar eine &bdquo;massive Deindustrialisierung“. Die Opposition sieht die Verantwortung dafür vor allem bei Neubaur. Sie sei als Wirtschaftsministerin ein &bdquo;Totalausfall“, so der Tenor von SPD und FDP. NRW sei bei Planungs- und Genehmigungsverfahren nach wie vor &bdquo;viel zu langsam“ und blockiere Investitionen. Auch Kirchhoff warnt die Landesregierung vor neuen Belastungen für die Wirtschaft. Direkte Kritik an den Grünen übt der Unternehmerpräsident dann doch noch einmal. Es brauche keine &bdquo;dogmatische Verkehrspolitik“ mit dem Titel &bdquo;Erhalt geht vor Ausbau“, sagt Kirchhoff an die Adresse von NRW-Verkehrs- und Umweltminister Oliver Krischer. Der Grünen-Politiker setzt in der Verkehrspolitik vor allem auf die Sanierung von Straßen und Brücken statt auf Neubau. Das kommt in Teilen der CDU und in der Wirtschaft nicht gut an. Es brauche stattdessen Lückenschlüsse und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, fordert Kirchhoff.

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