Gütersloh. Wieder einmal sind die Straßen ziemlich leer gefegt: Deutschland schaut Fußball. Der 25. Juni 1982 ist ein schöner, heißer Sommertag. Die meisten Menschen sitzen am späten Nachmittag vor den Bildschirmen und fiebern mit ihrer Mannschaft. Es läuft gerade das letzte WM-Vorrundenspiel zwischen Deutschland und Österreich (1:0) in Spanien. Gegen 18.20 Uhr macht ein Spaziergänger im Rhedaer Forst eine schreckliche Entdeckung: Am Ufer der Wapel liegen zwei tote Mädchen. Bestialisch ermordet. Großalarm für die Gütersloher Polizei.

Der Doppelmord im idyllischen Wald an der Herzebrocker Straße bleibt zunächst mysteriös. Weder gibt es einen konkreten Tatverdacht noch eine heiße Spur. Die Ermittler und Rettungskräfte sind beim Anblick der Leichen erschüttert. „Ich werde wohl niemals imstande sein, meine Gefühle zu schildern, die mich überkamen als ich zum ersten Mal die Leichen gesehen habe", sagt ein Ermittler am nächsten Tag. „Dort war es plötzlich unheimlich still geworden. Es schien so, als ob selbst die Vögel aufgehört haben zu singen." Die toten Jugendlichen weisen etliche Stichverletzungen in ihren Oberkörpern auf. Sie sind an Händen und Füßen gefesselt, eine ist sogar geknebelt.
Identität der Mädchen bleibt zunächst unbekannt
Am Anfang weiß die Kripo nicht, wer die beiden Teenager sind. Schließlich finden die Beamten zwei Tanzschulausweise und ein Sparbuch bei den Opfern. Demnach soll es sich um Annegret B. (15) aus der Bauernschaft in Nord-Rheda und um Almut R. (15) aus Rheda-Wiedenbrück handeln. Gewissheit hat man zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht. Die Identität steht erst gegen 22 Uhr endgültig fest, nachdem man den Angehörigen die katastrophale Nachricht überbracht hat.
Ganz in der Nähe des Tatortes entdecken die Polizeibeamten zwei abgestellte Damen-Fahrräder, die mit den Mädchen in Verbindung gebracht werden. Waren sie mit dem Rad unterwegs? Umgehend werden Anwohner befragt, ebenso Auto-, Motorrad- und Radfahrer kontrolliert. Ein Polizeihubschrauber kreist stundenlang über dem Gebiet. Stück für Stück setzt sich dann das Puzzle der Route der beiden Opfer zusammen. Offenbar waren sie auf dem Weg, einen Tanzkursus in einer Gütersloher Tanzschule zu besuchen und haben an der Wapel eine Rast eingelegt. Dann muss der Täter sie unvermittelt angegriffen, überwältigt und getötet haben.
Polizei startet großen Medienaufruf
Die Polizei startet einen Medienaufruf und bittet um Zeugen und Hinweise. Sie setzt Lautsprecherwagen ein, die durch die angrenzenden Wohngebiete fahren: „Achtung, Achtung, die Kriminalpolizei bittet Sie um Mithilfe". Außerdem suchen Polizeispürhunde nach Spuren. Die Mordkommission wird aufgestockt. 30 Beamte aus Bielefeld sind im Einsatz, dazu 20 aus Gütersloh, ebenso 75 Kollegen der Schutzpolizei.

Diese Maßnahmen zahlen sich schon am nächsten Tag aus. Eine Flut von Hinweisen (mehr als 100) geht ein. Immer mehr Zeugen berichten von einem roten Opel Kadett, der nahe des Tatortes geparkt worden sei. Daneben soll ein junger Mann gestanden haben, den die Anrufer gut beschreiben können. Dann der entscheidende Hinweis: Eine junge Frau meldet sich bei der Kripo. Sie will bereits Tage zuvor ebenfalls einen roten Opel Kadett beobachtet haben, der ihr irgendwie verdächtig erschien. Aus diesem Grund habe sie sich das Kennzeichen notiert. Ist das der Durchbruch?
Die Halterfeststellung bringt für die Kripo eine Ernüchterung. Der Besitzer des Opels scheidet als Täter aus. Doch dann kommt heraus, dass sich ein gewisser Hans-Jürgen D. den Wagen mehrfach von seinem Großvater ausgeliehen hat. Am nächsten Tag wird der 23-Jährige um 20.20 Uhr in seiner Wohnung in Rheda festgenommen. Er gibt in seiner ersten Vernehmung an: „Es ist einfach über mich gekommen." Noch in der Nacht legt der verheiratete Mann ein umfassendes Geständnis ab. Er ist Vater einer fünf Monate alten Tochter.
Messerstiche mit ungeheurer Wucht ausgeführt
Auf einer Pressekonferenz sagt der Bielefelder Staatsanwalt Hans-Dieter Heidbrede: „Wir haben den Mörder! Es bestehen keine Zweifel." Dann gibt er bestürzende Details bekannt. Demnach sei Hans-Jürgen D., von Beruf Maurer, am Nachmittag des Tattages mit seinem Auto durch den Rhedaer Forst gefahren, um nach Feierabend einen Arbeitskollegen nach Hause zu bringen. „Dabei hat er die beiden Mädchen sitzend auf einem Baumstumpf an der Wapel bemerkt, die jeweils ein Eis gegessen haben. Nachdem er seinen Kollegen abgesetzt hat, ist er gegen 17.15 Uhr zurückgefahren, um die abscheuliche Tat zu begehen." Er habe unter seinem Fahrersitz ein Fallschirmjägermesser hervorgeholt, das ihm ein amerikanischer Soldat drei Jahre vorher geschenkt haben soll. Heidbrede: „Dann hat er sich von hinten an die Mädchen herangeschlichen und sie aufgefordert, sich auf ihre Bäuche zu legen. Einem Opfer hat er mit den eigenen Schnürsenkeln die Füße und Hände gefesselt. Mit dem zweiten Opfer tat er gleiches mit einem Gürtel und einem T-Shirt. Dann stach er wie wild auf sie ein." Nach dem Doppelmord sei er nach Hause gefahren und habe in aller Ruhe die zweite Halbzeit des deutschen WM-Spiels im Fernsehen verfolgt.
Die inzwischen durchgeführte Obduktion habe ergeben, dass sämtliche Messerstiche mit ungeheurer Wucht ausgeführt worden seien, erklärte Hans-Dieter Heidbrede. Die Mädchen seien sofort tot gewesen und nicht vergewaltigt worden, dennoch gehe man davon aus, dass es sich um ein sexuelles Verhalten des Täters als Motiv gehandelt habe. „Ob er sich anschließend irgendwie an ihnen vergangen hat, können wir jedoch nicht genau sagen." Annegret B. und Almuth R. seien Zufallsopfer und zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.
Monate später wird Hans-Jürgen D. vom Landgericht Bielefeld zu einer lebenslangen (15 Jahre) Gefängnisstrafe verurteilt. Die hat er längst abgesessen. Nach Informationen dieser Zeitung soll der Doppelmörder inzwischen eine neue Identität angenommen haben und irgendwo im Rheinland eine neue Familie gegründet haben.
„Nach heutiger Rechtsprechung wäre dieser Täter noch nicht auf freiem Fuß. Das Gericht hätte mit Sicherheit die Schwere der Schuld mit anschließender Sicherungsverwahren festgestellt", glaubt ein bekannter Bielefelder Strafverteidiger.