Gütersloh. Sein Job ist nichts für schwache Nerven. Er ist meist der erste am Tatort, denn er arbeitet im Kriminalkommissariat 1 der Kreispolizeibehörde Gütersloh, das für ungeklärte Todes- und Vermisstenfälle, aber auch für Kindesmisshandlungen zuständig ist. 43 Jahre lang ist er Polizist, 33 Jahre davon bei der Kripo. Bald macht der erfahrene Kriminalhauptkommissar Hartmut Koeckstadt Schluss. Es geht in den Ruhestand. „Ich verabschiede mich dann mit ein wenig Wehmut, denn dieser Beruf ist für mich auch Berufung gewesen", sagt er.
Der 63-Jährige ist das, was man einen stabilen Mann nennt
Hartmut Koeckstadt kann viele Geschichten erzählen. Die meisten davon sind eher traurig und bedrückend. „Schicksale, die sprachlos machen und die man nie vergisst." Mehr als 2.000 Leichen habe er gesehen und untersucht. Wer ihm gegenüber sitzt, kann sich gut vorstellen, dass dieser Typ Verdächtigen und Zeugen nicht nur Respekt einflößen, sondern auch Geheimnisse entlocken kann.
"Tatort GT": Wir sind dem Verbrechen auf der Spur
Der 63-Jährige ist das, was man hier einen „stabilen Kerl" nennt: ein großgewachsener, sportlicher Mann mit festem Händedruck und ebenso festem Blick. Freundlich, aber er ist jemand, auf den Verlass ist, dem man nicht viel vormachen kann und der sich und anderen ebenfalls nichts vormacht.
Immer wenn Hartmut Koeckstadt und seine Kollegen zu einem Suizid gerufen werden, sei das belastend. Nie werde er sich daran gewöhnen. „Ein unruhiges Gefühl stellt sich gleich nach dem Notruf ein. Es beschleicht mich auch nach vielen Berufsjahren jedes Mal wieder aufs Neue", meint er. Doch diese Anrufe sind Alltag: Mal mache sich ein Anrufer Sorgen, weil in der Wohnung gegenüber der Briefkasten überquillt. Ein anderes Mal rufen Angehörige an, weil sie einen Abschiedsbrief gefunden haben. Dann wieder melden sie einen Verletzten oder Toten. „Man weiß noch nicht genau, was passiert ist", schildert Koeckstadt seine Gefühlslagen in solchen Situationen. „Dann fährt man hin und spielt in Gedanken die möglichen Szenarien ab, die einen vor Ort erwarten könnten."
Zu seinen Aufgaben gehört die erste Tatortaufnahme, der so genannte „erste Angriff": Spuren sichern, Zeugen befragen, Leichenschau. Aber längst nicht jedes Mal steckt ein Verbrechen dahinter. „Wir sollen Fremdverschulden ausschließen." Das Spektrum reiche von Mord über Suizid bis hin zum Unfalltod auf der Baustelle. Die Aufgabe der Todesermittler um Koeckstadt ist es, die Umstände des Todes zu prüfen. „Wir klären nicht die Todesursache. Das kann nur die Obduktion", betont er. Das Rüstzeug dazu ist einfach: Handschuhe, Schutzanzüge und Füßlinge zur Vermeidung von eigenen Spuren, eine gute Beobachtungsgabe und ein Gespür für Situationen.
Einen Vermissten finden die Ermittler steif gefroren in seiner Kühltruhe
„Das Ergebnis der Ermittlungen teilen wir der Staatsanwaltschaft mit, die in bedenkenlosen Fällen eine Freigabe der Leiche verfügt." Wenn sie aber Zweifel daran haben, dass der Mensch eines natürlichen Todes gestorben ist, tragen sie diese ebenfalls vor, und die Staatsanwaltschaft könne eine Obduktion anordnen. Alles, was den Beamten ungewöhnlich vorkommt, findet Beachtung. Koeckstadt: „Das können rote Stellen auf der Haut des Leichnams sein, die auf Strommarken hindeuten. Das kann ein blauer Fleck in der Armbeuge sein, obwohl bei dem Verstorbenen keine Notwendigkeit bestand, Spritzen zu geben. Das kann ein Wasserglas mit Rückständen sein oder ein Abschiedsbrief."
Es gäbe Fälle, die auf den ersten Blick verdächtig erscheinen, sich aber später als Selbstmord herausstellten. So wie vor einigen Jahren, als bei dem Kriminalbeamten eine Vermisstensache aus Gütersloh-Blankenhagen auf dem Tisch lag. Koeckstadt erinnert sich: „Damals ist ein Mann spurlos verschwunden und wir hatten zu Anfang keine Erklärung dafür. Bis wir noch einmal in seine Wohnung gegangen sind. Dort fiel uns dann ein Abstellraum auf, in dem eine Kühltruhe stand. Als wir sie öffneten, fanden wir den Vermissten eingekauert und vollkommen steif gefroren."
In vielen Mordkommissionen mitgearbeitet
Kurios: die Obduktion habe schließlich ergeben, dass der Mann zuvor Tabletten geschluckt und sich dann in die Kühltruhe gelegt hat.
- Hartmut Koeckstadt ist in Gütersloh geboren, verheiratet, keine Kinder. Er ist gelernter Industriekaufmann. Eigentlich wollte er danach Betriebswirtschaft studieren, ist dann aber 1977 durch Zufall zur Polizei gekommen.
- Die Grundausbildung zum Polizeibeamten absolvierte er in der Polizeischule in Stukenbrock. Danach ist er zur Schutzpolizei nach Köln-Kalk versetzt worden („Eine coole Zeit"). 1981 ist er als Ausbilder nach Stukenbrock zurückgekehrt. Zwei Jahre später besucht er die Fachhochschule der Polizei für den gehobenen Dienst in Bielefeld. 1987 kommt er in das Kommissariat für Kfz-Kriminalität nach Gütersloh, im Februar 1994 wechselt Koeckstadt in das Kommissariat für Todesermittlungen. Seit 2010 ist er stellvertretender Kommissariatsleiter.
- Hobbys: Radfahren, Schwimmen, Wandern.
Hartmut Koeckstadt hat in vielen Mordkommissionen mitgearbeitet. So war er beispielsweise beim ungeklärten Mordfall Nelli Graf in Halle (2011) oder der Doppelmord an zwei Senioren im Gütersloher Stadtpark (Heiligabend 2013) beteiligt. Auch im Mordfall Ingried Amtenbrink (2009), der toten Frau im Kornfeld in Gütersloh, habe er ermittelt. Leider sei der Täter immer noch nicht gefasst.
An seinen ersten Mord kann er sich auch noch genau erinnern: „Das war 1994, als eine ältere Frau hier in Gütersloh ihren Mann mit einem Gürtel erdrosselt hat. Sie versuchte sich anschließend das Leben zu nehmen. Ich hatte Bereitschaftsdienst und war einer der ersten Beamten am Tatort." Die Akten seien mittlerweile vernichtet worden, so dass er Details gar nicht mehr beschreiben könne. Auch wenn er kein Problem mit dem Anblick von Leichen hat: Dramatisch findet er die Fälle des plötzlichen Kindstods. „Das kam in der 1990er Jahren gehäuft vor und wir haben so oft am Boden zerstörte Eltern angetroffen. Gott sei dank ist das zurückgegangen. Das war für uns immer sehr belastend."
Ein Vermisstenfall lässt den Kripomann nicht los
An einen bestimmten Vermisstenfall denkt er immer noch heute zurück. 1995 verschwindet der Weinhändler Schulz aus Gütersloh von einem Tag auf den anderen. Er verabschiedet sich am Morgen von seiner Frau und fährt mit seinem Auto auf Geschäftsreise in Richtung Ostdeutschland. „Dort verliert sich seine Spur. Auch sein Fahrzeug, ein Mercedes 350 S-Klasse mit Rüdesheimer Kennzeichen, ist bis heute unauffindbar", erzählt Koeckstadt.
Der Wagen sei zuletzt in Magdeburg gesehen worden. Dort habe man ihm ein Knöllchen wegen falschen Parkens verpasst. „Danach gibt es kein Lebenszeichen mehr. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Wir haben in den Jahren nach seinem Verschwinden immer wieder auch in und um Magdeburg ermittelt. Ohne Erfolg."
Sogar die Fernsehsendung „Kripo live" des Mitteldeutschen Rundfunks habe den Fall aufgegriffen. Ebenfalls keine Hinweise. „Niemand hat ihn mehr gesehen", räselt der Kripomann. 15 Jahre lang habe er den Fall Schulz begleitet. Vor vier Jahren sei dann seine Frau gestorben. Die Akten seien endgültig geschlossen worden. „Ich vermute stark, dass der Gütersloher Weinhändler auf seiner letzten Geschäftsreise seinem Mörder begegnet ist. Er hat nämlich gerne Anhalter mitgenommen." Hartmut Koeckstadt glaubt, dass ihm das zum Verhängnis geworden ist: „Er ist von einem Unbekannten getötet und sein Auto geraubt worden."
„Als Polizist habe ich meinen Traumberuf gefunden"
Wenn der Schreibtisch plötzlich leer ist, die Tage nicht mehr strukturiert sind und das Diensttelefon still steht, wenn die Kontakte zu den Kollegen wegfallen und die Anerkennung für berufliche Erfolge ausbleibt, dann macht das vielen Menschen zu schaffen. „Als Polizist habe ich meinen Traumberuf gefunden", erklärt Hartmut Koeckstadt. Der Dienst in der Kreispolizeibehörde Gütersloh habe ihm immer viel Freude bereitet und ihn mit Zufriedenheit erfüllt. „Aber mir fällt es schwer, diesen Lebensabschnitt zu beenden." Er werde vor allem seine Kollegen vermissen, an erster Stelle seinen Kripo-Partner Michael Enk, mit dem er etliche Jahre zusammengearbeitet habe. „Wir konnten uns immer aufeinander verlassen."
Seinen nächsten Lebensabschnitt will er positiv angehen und sich mehr um seine Familie und Hobbys kümmern. „Ich lasse alles auf mich zukommen, aber ich werde sicherlich auch die Zeit brauchen, mich mit dem Ruhestand anzufreunden."