Corona-Ausbruch

Tönnies investiert Millionen in Wohnungen für Mitarbeiter

Ziel sei es, Werkvertragsarbeitern „günstige und gut ausgestattete Wohnungen nach einem festen Standard“ bereitzustellen, kündigte Deutschlands größter Fleischkonzern in Lemgo an.

Wohnlich: So sollen die neuen Apartments aussehen. | © Martin Krause

Martin Krause
29.07.2020 | 29.07.2020, 18:00

Lemgo/Rheda Wiedenbrück. Der Schlachtkonzern Tönnies greift tief in die Kasse, um die Wohnbedingungen seiner Beschäftigten zu verbessern. Etwa 100 bis 120 Millionen Euro will das nach dem Corona-Ausbruch im Stammwerk in Rheda-Wiedenbrück scharf kritisierte Unternehmen in den Neubau von rund 1.500 Wohn-Einheiten für bis zu 3.000 Mitarbeiter investieren.

Wie Tönnies-Finanzchef Daniel Nottbrock bei der Vorstellung des Konzeptes in Lemgo erklärte, sei es das Ziel, den künftig fest angestellten Produktions-Mitarbeitern „günstige und gut ausgestattete Wohnungen nach einem festen Standard" anzubieten. Die ersten Wohnungen sollen möglichst schon 2021 bezogen werden.

Tönnies-Finanzchef Daniel Nottbrock erklärt das Wohnungs-Konzept, das bisher für den Bau von Studentenwohnungen eingesetzt wird. - © Martin Krause
Tönnies-Finanzchef Daniel Nottbrock erklärt das Wohnungs-Konzept, das bisher für den Bau von Studentenwohnungen eingesetzt wird. (© Martin Krause)

Eine Verquickung von Arbeits- und Mietverträgen (wie bei den bisherigen Werkvertragsmitarbeitern) sei künftig aber nicht mehr gewünscht – die Beschäftigten können die Wohnungen privat anmieten. 27-Quadratmeter-Appartements für zwei Personen sollen je nach Lage 200 bis 225 Euro Warmmiete pro Nase kosten, für eine 16 Quadratmeter große Single-Wohnung werden etwa 300 Euro fällig. Alle Wohneinheiten würden voll möbliert und mit Bad und Küchenzeile ausgestattet. Bauingenieur Marko Mikliß versprich hohen Komfort etwa durch mattgläserne Schiebetüren für die Bäder und moderne Küchengeräte.

Mitarbeiter langfristig an das Unternehmen binden

Nottbrock betonte, Tönnies wolle „die Menschen langfristig an unser Unternehmen binden" und in die Region und ihre Gesellschaft integrieren. Denn es sei eine echte Herausforderung, ausreichend viele gute Arbeitskräfte für den Einsatz in Deutschland zu finden – „das betrifft nicht nur Tönnies, sondern auch andere Branchen wie Pflege oder Ernte", so Nottbrock.

Muster-Apartment in Lemgo. - © Martin Krause
Muster-Apartment in Lemgo. (© Martin Krause)

Seit Jahren sind die Unterkünfte vieler Werkvertragskräfte in der Fleischbranche als elend kritisiert worden. Auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte teils gravierende Mängel bei der Unterbringung bemängelt – von Überbelegung, Einsturzgefahr, Ungezieferbefall und unzumutbaren Sanitäranlagen war die Rede.

Pläne schon vor der Corona-Krise bekannt gemacht

Tönnies hatte Pläne für den Bau eigener Mitarbeiter-Wohnungen bereits im Februar – vor der Coronakrise – bekannt gemacht. Jetzt sollen mit den Kommunen Gespräche über Bauland geführt werden. 21 Bürgermeister in der Region seien direkt angeschrieben worden, in 14 Kommunen seien schon erste Gesprächstermine vereinbart worden. In den Städten und Gemeinden rund um die Konzernstandorte Rheda-Wiedenbrück, Versmold und Dissen gebe es auch deshalb Interesse am Wohnungs-Engagement von Tönnies, weil die Pläne eine Entlastung des Wohnungsmarktes mit sich bringen, glaubt Nottbrock.

Das vorgestellte Konzept für 70 dreigeschossige Wohnblocks im Kreis Gütersloh und in Nachbarstädten wie Bielefeld oder Dissen hat sein Vorbild in Studentenwohnungen in Lemgo: Hier hatte 2018 eine Firma, die Immobilieninvestitionen für die Familie von Konzernchef Clemens Tönnies verwaltet, 147 Studenten-Wohnungen errichtet.

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KOMMENTAR DER REDAKTION


Erleichternde Reaktion

Daniel Nottbrock, der Finanzchef des Tönnies-Konzerns, formuliert es positiv: Die Pläne des Schlachtkonzerns, aus eigener Kraft für seine Mitarbeiter passablen Wohnraum bereitzustellen, seien durch die Coronakrise beschleunigt worden, sagt Nottbrock. Und er spricht von „Rückenwind".

Dem Zuhörer scheint dies eine ausgesprochene Beschönigung zu sein. Eher würde man vermuten, dass Tönnies auf den enormen öffentlichen Druck reagiert. Gut, dass der Konzern nun endlich reagiert, muss man hinzufügen, denn die Kritik an den Wohnbedingungen der bisher meist nur für einige Monate hier beschäftigten osteuropäischen Wanderarbeiter – von Arbeitssklaven sprechen manche – gibt es seit Jahrzehnten. Freilich ist sie nie so heftig und durchdringend laut geworden wie jetzt, wo der Coronaausbruch die Gesundheit der gesamten Bevölkerung bedrohte. Dass die Ausbreitung der Viren weniger mit üblen Wohnverhält-nissen als mit den Bedingungen im Schlachthof zu tun hatte, ist eine noch relativ neue Erkenntnis, die die Kritik an den unwürdigen Unterkünften nicht verwässern sollte. Schlecht ist schlecht.

Daniel Nottbrock weiß all das. Er ist ein kluger Manager und – als Bruder von Margit Tönnies – nebenbei der Schwager von Konzernchef Clemens Tönnies. Deutschlands größter Schlachtkonzern mit 16.500 Mitarbeitern ist ein Familienunternehmen, selbst wenn die Strukturen modernisiert wurden. Bei der Verwaltung des Milliardenvermögens der Familie Tönnies spielt Nottbrock ebenfalls eine zentrale Rolle. Sein Bemühen, das schwer angeschlagene Image des Konzerns aufzupolieren, ist gewiss nicht nur kühl kalkuliertes Management – es geht ihm auch um den Ruf der Familie.

Für eine Aufzählung all der berechtigten Kritik am Unternehmen und seiner Führung ist hier nicht genügend Platz. Erleichternd erscheint es aber aus ostwestfälischer Sicht, dass der Konzern nicht nur Besserung verspricht, sondern konkrete Schritte in die richtige Richtung unternimmt. Die Pläne sind auch ein Eingeständnis, dass es nicht gut ist, wie es ist. ⋌ Martin Krause