Mitten in der Nacht verschwinden in Werther 1.300 Tonnen Zuckerrüben

Werther. Es ist Montagabend, draußen ist es stockdunkel, es nieselt und es weht ein eisiger Wind. Doch heute Nacht soll es passieren, soll Landwirt Gerke Meyer zu Rahden den Lohn seiner Arbeit einfahren: 1.300 Tonnen Zuckerrüben, wohl an die 1,2 Millionen Stück, die seit der Ernte am 12. Dezember in einer 200 Meter langen und drei Meter hohen Miete am Sattelmeierweg aufgestapelt sind. Die riesige Rübenmaus ist gerade vorgefahren, bis nachts um 2.30 Uhr wird sie brauchen, die Feldfrüchte auf Lkw zu laden, die sie dann zur Zuckerfabrik nach Lage bringen. &bdquo;Heute geht es eigentlich“, sagt Leon Scheer. Der Fahrer der Rübenmaus ist an diesem Tag seit 5 Uhr morgens im Einsatz, erst auf den Äckern anderer Landwirte, jetzt hier zwischen Werther und Häger. Mit &bdquo;geht eigentlich“ meint er die Bodenverhältnisse. Er habe es schon viel matschiger erlebt, habe mit der Rübenmaus auch schon festgesteckt. Rübenmaus heißt sein Arbeitsplatz wirklich - wenn auch nur umgangssprachlich. Den Namen hat das Gerät in seinen Anfängen erhalten, als Mäuse angeblich beim Aufrütteln der Rübenhaufen zur Seite sprangen. Sturm sorgt in Werther für Probleme Eigentlich heißt sein riesiges Gefährt Rübenreinigungslader. Dieser ist 15 Meter lang, 395 PS stark, wiegt 32 Tonnen und hat einen Neupreis von gut einer halben Million Euro. Er schaufelt die aufgestapelten Rüben auf ein Förderband, befreit sie von überflüssiger Erde, Wurzeln und Strünken und transportiert sie über ein weiteres Band in den bereitstehenden Lkw. Und das geht schnell. Nach drei bis vier Minuten sind 25 Tonnen Rüben in der Ladefläche, der Lkw bricht von Werther zur Zuckerfabrik Pfeifer & Langen nach Lage auf. 15 Laster sind in dieser Nacht im Einsatz, nur für diese eine Rübenmaus. Damit möglichst immer Laster beladen werden können, während andere auf dem Weg nach Lage oder wieder zurück nach Werther sind. Treibstoff vom Acker: Versmolder Landwirt tankt seinen Trecker mit Rapsöl Doch an diesem Abend gibt es Probleme. Sturmböen haben bei Herford einen Baum auf die Straße gerissen. In der Folge gibt es einen Stau, die Laster stecken fest, eine gute Stunde passiert in Werther nichts. Und als endlich der erste Lkw auftaucht, bleibt mitten auf dem Sattelmeierweg ein Pkw liegen. Der muss erst abgeschleppt werden, was weitere Zeit kostet. Dahinter warten mittlerweile acht oder neun 40-Tonner darauf, dass es weitergeht. Rübenmaus bietet Cockpit mit Fußbodenheizung Und das tut es. Jetzt hat die Rübenmaus richtig zu tun. Auf mehreren Monitoren behält Leon Scheer das Geschehen im Blick, schwenkt das Förderband mittels eines Joysticks hoch konzentriert einmal über die Längsseite der Ladefläche und schaut, dass keine einzige Rübe daneben fällt. Seinen Arbeitsplatz, der eher einem Cockpit gleicht, hat er dazu auf über fünf Meter hochgefahren. So hat er den perfekten Überblick über die Rübenmiete und die Ladeflächen der Lkw. Es ist angenehm warm, &bdquo;hier gibt’s sogar Fußbodenheizung“, sagt er. Weshalb er seine verlehmten Schuhe ausgezogen hat und in Socken arbeitet. Neben ihm stehen ein Korb mit Butterbroten, Getränkeflaschen, einer Packung Kekse - und einer Packung Würfelzucker von - na klar - Pfeifer & Langen. &bdquo;Einen Kühlschrank gibt es auch“, zeigt er. An diesem Abend hätte er die Sachen auch einfach in einer Tüte nach draußen hängen können. 54 Lkw-Ladungen voller Zuckerrüben verlassen Werther Dass der Arbeitsplatz von ihm und seinen Kollegen so angenehm wie möglich ist, hat seinen Grund. Die Rübenkampagne läuft von September bis in den Februar. In dieser Zeit arbeitet die Zuckerfabrik an sieben Tagen der Woche rund um die Uhr, genau wie die Rübenmaus. &bdquo;Wir haben auch an Weihnachten und über Neujahr gearbeitet“, erzählt Leon Scheer. Während er einen Lkw nach dem anderen belädt, ist Gerke Meyer zu Rahden immer in der Nähe, versorgt die Fahrer mit frischem Kaffee oder anderen Getränken. Mittags hätte es eine warme Suppe gegeben. &bdquo;Das gehört sich so“, findet der 31-Jährige. Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK Er ist ebenso froh wie erleichtert, dass die Rüben jetzt abgefahren werden. Am Ende sind es 54 Lkw-Ladungen voll, &bdquo;das ist ziemlich gut“, bilanziert er. Denn die Voraussetzungen dieses Jahr seien alles andere als optimal gewesen: Nach dem Legen des Saatguts im April habe es noch Nachtfröste gegeben, dann insgesamt zu viel Regen und zu wenig Sonne. In ein paar Tagen erfährt er, wie hoch der Zuckergehalt seiner Rüben war. &bdquo;Hoffentlich nicht unter 16 Prozent“, wünscht er sich. Meyer zu Rahden hat Betrieb nach Schicksalsschlag übernommen Trotzdem ist er zufrieden. &bdquo;Bis jetzt hatte ich das Risiko, dass die Rüben keinen Schaden nehmen. Jetzt sind sie weg und für mich ist Zahltag.“ Na ja, nicht wirklich Zahltag. Das Geld wird in mehreren Abschlägen überwiesen, außerdem wird es verrechnet mit Kosten, etwa für das Saatgut. 2020 hat Gerke Meyer zu Rahden den Hof nach dem plötzlichen Tod seines Vaters übernommen. Ein Ackerbaubetrieb mit knapp 100 Hektar, auf denen er Getreide, Mais oder eben auch Zuckerrüben anbaut. &bdquo;Das hat auch mein Vater schon getan“, erzählt er. Und dass immer auch ein bisschen Glück dazugehört, was Wetter, Schädlingsbefall oder Erntebedingungen angeht. Zum Hingucken: Auffällige Trecker in Halle begeistern nicht nur Landwirte &bdquo;Für mich stand im Grunde schon als kleiner Junge fest, dass ich den Betrieb einmal übernehmen werde“, erzählt der 31-Jährige. Weshalb er es toll findet, dass sein sechsjähriger Sohn Thore heute schon mit größter Begeisterung dabei ist und auf dem Trecker und den Erntemaschinen mitfährt. &bdquo;Seit Weihnachten hat er gefragt, wann die Rübenmaus endlich kommt“, muss sein Vater lachen. Jeder kennt die Produkte, in die der Zucker kommt Und was passiert nun mit den Rüben aus Werther? Sie werden in der Fabrik in Lage zerkleinert, ausgepresst, der Saft gekocht, gefiltert und zentrifugiert, um dann Kristall-, Hagel- und Puderzucker, flüssige Zucker, Kandis, Fondant, Sirup oder Melasse daraus herzustellen. Und die landen dann in Produkten, die jeder kennt: in Würfelzucker, Limonaden wie Cola oder Sprite oder auch in Klümpchen oder Toffifee von Storck. &bdquo;Und wenn man weiß, wo die Rohstoffe herkommen, schmeckt’s doch gleich doppelt so gut“, sagt Gerke Meyer zu Rahden lachend.

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