Betroffene diskutieren: Wie kann die Gesellschaft mit Pädophilie umgehen?

Enger/Spenge. Mehrfach gab es in diesem Jahr Schlagzeilen über Erfolge der Polizei gegen Kinderpornografie-Netzwerke. Wenn in Medien über Pädophilie berichtet wird, dann geschieht es meist in solchen Zusammenhängen. Es geht um Missbrauch von Kindern oder um Darstellungen von Missbrauch. Georg Kellmann wirbt deshalb dafür, dass besser unterschieden wird zwischen Menschen mit einer pädophilen Präferenz und wirklichen Tätern. Kellmann selbst ist pädophil und einer der wenigen Betroffenen, die in Medien mit ihrem Klarnamen auftreten. Er spricht auch offen darüber, dass er vor Jahren wegen Kinderpornografie verurteilt wurde. Das bereut er heute. Anfang des Jahres hatte er angefragt, ob er bei den Toleranzräumen in Enger Flyer auslegen kann. Im Juli wollte er beim Lange-Straßen-Fest in Spenge aufklären. Beide Städte lehnten das ab. Svenja Langheim betreibt eine Praxis für Beratung und Naturheilkunde und hat vor Kurzem ihr Psychologiestudium abgeschlossen. Dafür hat sie auch zum Effekt von der Anonymität des Internets auf Missbrauchtäter geforscht. Doch sie kennt das Thema Missbrauch auch aus einer sehr persönlichen Perspektive: Als Kind wurde die Wertheranerin von ihrem Vater missbraucht. Im Gespräch mit der NW diskutieren die beiden, wie die Gesellschaft überhaupt mit Pädophilie umgehen kann. Herr Kellmann, Sie haben in Enger und Spenge versucht, in Person auf die Unterscheidung zwischen Menschen mit einer pädophilen Neigung und Tätern hinzuweisen. Wie sehen Sie die Aktion und die Reaktionen der beiden Städte im Rückblick? Georg Kellmann: Ich sehe sie als erfolgreich an, weil ich damit Aufmerksamkeit erregt habe. Ich fand es damals aber sehr traurig. Und ich fand es ein Armutszeugnis für Enger, dass gerade zur Eröffnung der Toleranzwochen, diese Toleranz sich so begrenzt zeigte. Frau Langheim, Sie haben wegen der Aktion das Gespräch mit Herrn Kellmann gesucht. Warum? Svenja Langheim: Ich habe mich aus wissenschaftlicher Sicht mit dem Thema beschäftigt und bin auch selbst eine Betroffene von Missbrauch. Seit Jahren habe ich mich mit der Seite der Betroffenen in der Trauma-Arbeit beschäftigt. In dieser langen Zeit ist mir klar geworden, dass der Opferschutz durch Täterprävention ein ganz wichtiger Aspekt ist. Gerade Stigmatisierung drängt Menschen mit einer pädophilen Präferenz in einschlägige Internetforen. Inwiefern? Langheim: Wenn ich eine pädophile Präferenz bei mir feststelle, und das passiert häufig schon im jugendlichen Alter, dann habe ich als Vorbilder nach außen nur irgendwelche Kinderschänder oder Straftäter. Und ich habe keinen Menschen wie Herrn Kellmann, die sagen: Ich setzte mich dafür ein, dass das therapiert wird, dass das Verhalten kontrolliert wird. In der Bevölkerung kommt viel zu wenig an, dass eine pädophile Präferenz nicht gleichzusetzen ist mit Täterschaft. Wir haben eine Gruppe Menschen, die zum Täter werden könnten, und die eigenmotiviert Unterstützung sucht – sie aber nicht findet. Herr Kellmann, wie lange hat es bei Ihnen gedauert, bis Sie passende therapeutische Unterstützung gefunden haben? Kellmann: 20, 25 Jahre. Was für Schwierigkeiten gab es dabei? Kellmann: Als ich merkte, dass Kinder auf mich anziehend wirken, hatte ich mir zum Beispiel bei einem Psychiater Hilfe gesucht. Ich glaube, der hatte keine Ahnung von der Pädophilie. Er hat die Symptome auf eine Trennung geschoben und gesagt: ’Herr Kellmann, Sie müssen Frauen kennenlernen!’ Ist das immer noch ein typisches Problem? Langheim: 2022 hat eine Studie danach gefragt, ob Therapeuten bereit wären, Pädophile zu behandeln. Selbst bei den Fachpersonen gab es viele, die das ablehnen. Kellmann: Mit dem Begriff Pädophilie wird heute anders umgegangen. Es tut sich in ganz, ganz kleinen Schritten was. Trotzdem kommt vonseiten der Therapeuten immer noch Ablehnung. Wie sieht es mit der Stigmatisierung von Betroffenen von Missbrauch aus? Wie kann sich dort Ablehnung äußern? Langheim: Durch die Reduzierung der ganzen Person auf den Missbrauch und durch die Suche einer Teilschuld beim Missbrauchsopfer. Es wird ja, wenn eine Frau vergewaltigt wird, immer noch gefragt: Was hat sie falsch gemacht? War sie zu spät, alleine, in einer dunklen Ecke, war sie falsch gekleidet? Diese Fragen gibt es bei Missbrauchsopfern nicht so offen, sie sind aber unterschwellig schon da. Sodass die Frage im Raum steht: Hast du irgendwas gemacht, was ihn gereizt hat? Im Grunde genommen sind die, die solche Fragen stellen, ein verlängerter Arm der Täter. Merken Sie das auch noch als Erwachsene? Langheim: Es haftet immer noch dieses Label &bdquo;Nestbeschmutzer“ an. Oder es heißt: &bdquo;Es ist doch mal gut!“ Aber es ist nie gut. Es gibt jeden Tag eine Situation, die einen vielleicht erinnert. Inwiefern kann Pädophilie überhaupt therapiert werden? Langheim: Heute weiß man, dass die Präferenz sehr stabil ist. Es geht deshalb nicht ums Wegtherapieren, es geht um Verhaltenskontrolle. Was für Betroffene wichtig ist zu verstehen: Die Präferenz können sie sich nicht aussuchen, aber ob sie das in Verhalten umsetzen – dafür liegt die volle Verantwortung bei ihnen. Kellmann: Als ich Hilfe bei &bdquo;Kein Täter werden“ [ein Therapie-Projekt der Charité Berlin, Anm. d. Red.] fand, war der Unterschied, dass ich mich dort als Mensch mit meinen Gefühlen angenommen gesehen hatte. Die haben gesagt: Du bist so, du fühlst so, du willst kein Täter werden, du bist bei uns richtig – gut so! Was ist die Gefahr, wenn Betroffene keine passende Hilfe finden? Langheim: Dann landen sie in Foren und haben nur dort Vorbilder für ihr Selbstbild. Da gelten Gruppennormen und man muss Missbrauchsbilder einreichen. Diese gelten da als Türöffner. Dann finde ich da, was ich suche. Da gibt es Foren voll von unvorstellbaren Missbrauchstaten. Kellmann: Es gibt auch viele Pädophile, die keine Angst haben, irgendwie zum Täter zu werden, aber dennoch unter der Stigmatisierung und grundsätzlichen Ablehnung ihrer Person leiden. Warum tun wir uns als Gesellschaft immer noch so schwer damit, über Pädophilie oder auch über Missbrauch zu sprechen? Langheim: Ich glaube, dass es Ängste antriggert, die uns elementar packen. Man muss sich damit auseinandersetzen, dass man eventuell jemanden kennt, der sein Kind zu Hause missbraucht. Man muss sich damit auseinandersetzen, dass sehr wahrscheinlich jeder jemanden – zumindest entfernt – kennt, der Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs nutzt. Und das will ja keiner. Das stört die heile Welt. Was müsste sich konkret in der Gesellschaft verändern, damit wir einen besseren Umgang mit Pädophilie finden? Kellmann: Es fängt damit an, dass Kinder, die auf kleinere Kinder stehen, mit ihren Eltern darüber reden können. Langheim: Ich glaube nicht, dass die Gesellschaft schon so weit ist, dass man sich mit einem Stand zu Pädophilie in die Öffentlichkeit stellen kann. Die Pädophilie ist noch sehr mit Ängsten besetzt. Wir wären schon weiter, wenn bei den Toleranzwochen ein Vortrag dazu gehalten werden würde. Womit wir uns zufriedengeben müssen, ist, dass es sehr kleinschrittig sein wird. Herr Kellmann. Würden Sie eine Aktion, wie Sie sie in Enger und Spenge angedacht hatten, – mit allem, was passiert ist – noch einmal probieren? Kellmann: Ja, aber nicht so, wie ich es gemacht habe. Was ich mir eher vorstellen könnte, auch wenn ich Elektriker bin und nicht der ausgebildete Moderator, ist, Informationen zu Pädophilie, Missbrauch, Stigmatisierung für einen Vortrag zusammenzusuchen und zu präsentieren. In kulturellen Einrichtungen, die nicht nur dem Bürgermeister unterliegen, der &bdquo;Nein“ sagen kann.

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