In Werther bekannte Gärtnerin geht offen mit sexueller Identität um

Werther/Deppendorf. Ich stehe auf dem Parkplatz der Gärtnerei Rosen Steffen auf Werthers Stadtgrenze zu Deppendorf und warte auf Apu Ahrens. Wir haben uns verabredet, um einen Artikel über die Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) Rosen und Fenchel zu machen, die jetzt in den Gewächshäusern des früheren Rosenanbaubetriebs beheimatet ist. Apu Ahrens kommt mir entgegen in brauner Arbeitscordhose, die Kapuze des Hoodies über den Kopf gezogen. Wir begrüßen uns mit Handschlag. &bdquo;Hallo, ich bin Apu Ahrens.“ Und dann kommt der Satz, der mich kurz stocken lässt: &bdquo;Mein Pronomen ist übrigens sie.“ Ich nicke und habe erst gar nicht verstanden, was der Mensch, der nun neben mir geht, mir da gerade mitgeteilt hat. Erst so langsam macht es klick. Bis gerade dachte ich noch, dass es ein Mann wäre, der mich zum Gewächshaus führt. Aber offenbar stimmt das so nicht. Für unser Thema, den ökologischen Landbau, spielt das erst mal natürlich keine Rolle. Wir unterhalten uns angeregt und ich stelle fest, mit welcher Leidenschaft und Fachkenntnis Apu Ahrens den Gemüseanbau betreibt. Am Ende muss ich die - mir immer noch männlich erscheinende Person - noch mal genau fragen: &bdquo;In meinem Artikel bezeichne ich Sie als Gärtnerin?“ Apu Ahrens lächelt: &bdquo;Ja, genau.“ Fremde sehen sie als Mann Später vom Schreibtisch aus klären wir noch einige Sachfragen per E-Mail und ich sehe, dass unter Apu Ahrens’ Namen in der E-Mail-Signatur &bdquo;Gärtnerin im ökologischen Gemüsebau, nicht binär, Pronomen: sie/ihr“ steht. Sehr offen, sehr mutig, sehr ungewöhnlich und sehr interessant, denke ich und frage Apu Ahrens, ob sie bereit wäre, mir für einen Artikel die vielen Fragen, die ich zu ihrer nicht-binären Identität habe, zu beantworten. Sie sagt zu und so sitzen wir uns einige Monate später in einem Café gegenüber. Hier kennt man sie, aber normalerweise wird sie von Fremden als Mann wahrgenommen und auch so angesprochen. &bdquo;Aber das nehme ich niemandem übel“, sagt sie. &bdquo;Ich bin ja selbst so sozialisiert und spreche Menschen, die ich als Mann lese, auch so an, ohne nach dem Pronomen zu fragen“, gibt sie zu. &bdquo;Wichtig ist doch, dass man miteinander darüber kommunizieren kann.“ Das klappt nicht immer. Ablehnung, sagt die 42-Jährige, erfahre sie regelmäßig. &bdquo;Dann höre ich, dass im Gespräch über mich immer noch &bdquo;er“ gesagt wird oder Leute auch in der direkten Anrede auf meinen Wunsch nicht eingehen.“ Vor allem im familiären Rahmen sei das schmerzhaft. &bdquo;Wenn ich kein Mann bin, wer bin ich dann?“ Dass irgendetwas mit ihr anders ist als bei anderen, hat Apu Ahrens schon immer im Gefühl gehabt. Aber sie konnte es nicht benennen. Richtig losgegangen sei der Prozess dann 2008, mit 26 Jahren. &bdquo;Damals habe ich in Berlin gelebt. Ich war bisexuell und in ein queeres Umfeld eingebunden. Durch psychische Probleme und Therapie habe ich mich viel mit meinem Innenleben beschäftigt“, erzählt sie. Es habe einige Zeit gedauert, bis sie für sich selber klar hatte: Ich bin kein Mann; ich fühle mich nicht so. &bdquo;Aber dann kam natürlich direkt die Frage: Wer bin ich dann? Viele in meinem Umfeld sagten, ich hätte eine sehr weibliche Seite“, sagt Apu Ahrens und räumt ein, dass sie damit ja auch wieder direkt Klischees verwende und festlegt, was typisch weiblich sei. Aber sich als Frau zu bezeichnen, passte auch nicht wirklich. Zumal sie mit den männlichen Geschlechtsmerkmalen ihres Körpers kein Problem hatte. &bdquo;Ich konnte es irgendwie nicht greifen. Es gab keine Begriffe für das, was ich fühlte.“ Erst einige Jahre später hörte sie zum ersten Mal den Begriff &bdquo;nicht-binär“. Ein Aha-Erlebnis. &bdquo;Dieser Begriff könnte für mich eine Möglichkeit sein“, habe sie damals gedacht. Queere Menschen gibt es in der Landwirtschaft wenige Nicht-binäre Menschen identifizieren sich nicht ausschließlich als männlich oder weiblich und sehen sich eher außerhalb der zweigeteilten, binären Geschlechterordnung. &bdquo;Es wäre schön, wenn ich einfach nur ein Mensch sein könnte, ohne eine Definition“, sagt Apu Ahrens. &bdquo;Ich bin ich. Aber die Leute brauchen immer eine Zuordnung. Das kann ich auch verstehen, das habe ich ja genauso.“ Deshalb lebte Apu Ahrens im beruflichen Kontext zunächst weiterhin die männliche Rolle, die Außenstehende in ihr sahen. &bdquo;Da ich in der Landwirtschaft arbeite, trage ich beruflich sowieso Männerkleidung. Nur privat war ich ich selbst.“ Doch irgendwann wollte sie auch im Berufsleben zu sich stehen. Als Gärtnerin im Gemüseanbau fiel ihr das zunächst nicht leicht. &bdquo;In der Landwirtschaft sind queere Menschen so wenig sichtbar und es ist alles sehr patriarchalisch“, sagt sie. Als sie sich dann aber bei ihrem Ausbildungsbetrieb als nicht-binär outete, waren die Reaktionen positiv. Seitdem geht sie überall offen mit ihrer Identität um - und hat Verständnis, wenn andere sich damit zunächst etwas schwertun. So benutzt sie zum Beispiel in Restaurants meistens die Männer-WCs. &bdquo;Ich selbst fühle mich nicht wohl damit, auf die Männer-Toilette zu gehen. Aber ich habe Verständnis dafür, wenn Frauen auf der Damentoilette mich äußerlich als Mann sehen und erschrocken wären, wenn ich dort hereinkomme.“ Und auch, um Konflikte zu vermeiden. &bdquo;Ich müsste zu viel erklären.“ &bdquo;Ich habe das Bedürfnis, meine Brust zu bedecken“ Denn weibliche Kleidung ist kein Muss für sie. &bdquo;Ich habe nicht per se das Bedürfnis, weiblich konnotierte Kleidung zu tragen“, sagt Apu Ahrens. Aber natürlich komme das vor. &bdquo;Einfach, weil ich mich darin dann wohler oder sicherer fühle.“ Zum Beispiel auch beim Schwimmen. Einfach nur Badeshorts zu tragen, fühlt sich nicht gut an. &bdquo;Ich habe das Bedürfnis, meine Brust zu bedecken“, sagt Apu Ahrens, die in einer Beziehung mit einer Frau lebt. Dass sie für sich das weibliche Pronomen nutzt, ist erst lange nach dem Beginn ihres Selbstfindungsprozesses entstanden. &bdquo;2019 fragte mich eine Freundin, wie sie mich denn überhaupt anreden soll.“ Bis dahin hatte sie diese Frage für sich selbst nie abschließend beantwortet. Doch jetzt fühlte sich das weibliche Pronomen richtig an. &bdquo;Weil das Weibliche in mir einen Tick mehr ist“, sagt sie. Auch die Namensänderung machte sie offiziell. Der männliche Vorname, den ihr einst ihre Eltern gegeben haben, passte schon lange nicht mehr. &bdquo;Im Laufe des Prozesses findet man meist auch den Namen, der zu einem passt“, sagt sie. Für sie war das &bdquo;Apu“, weil es weder typisch männlich noch weiblich klingt. Der ursprüngliche Name, der Deadname, wird nicht mehr benutzt oder preisgegeben. Der Deadname soll möglichst nicht mehr auftauchen Auch ihren Geschlechtseintrag in der Geburtsurkunde konnte Apu Ahrens von männlich zu divers ändern lassen. Damit steht beides nun auch in ihren Ausweispapieren. Ob sich der frühere Name auch in den wichtigen Abschlusszeugnissen ändern lässt, das liege allein in der Willkür der Universitäten, sagt sie. Einen Anspruch darauf gibt es nicht. Dafür so akzeptiert und gesehen zu werden, wie sie ist, kämpft Apu Ahrens auch im beruflichen Umfeld. Sie ist Teil von ELaN. Das Akronym steht für &bdquo;Emazipatorisches LandwirtschaftsNetzwerk“, einem offenen Zusammenschluss von Frauen, Lesben, inter- und nicht-binären sowie Transgender- und Agender-Personen aus allen möglichen Bereichen der Landwirtschaft. Das Netzwerk ist für sie wichtig, denn auf dem Land gibt es wenig Support und Anbindung für Menschen wie sie. &bdquo;Wir waren über Jahrhunderte unsichtbar, aber es gibt uns - schon immer“, sagt sie. Deshalb sei es an der Zeit, sich sichtbar zu machen. &bdquo;Wir wollen zeigen, dass es auch einen Anteil queerer Menschen in der Landwirtschaft gibt, die euch das Gemüse anbauen.“ Dass es nicht ganz ungefährlich ist, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen - auch mit diesem Artikel - ist Apu Ahrens bewusst. &bdquo;Ich mache mich im Grunde ständig angreifbar.“ Aber eine Alternative dazu gibt es für sie nicht. &bdquo;Warum machst du es dir so schwer?“, habe ihr Vater sie mal gefragt. &bdquo;So bin ich halt“, hat sie geantwortet, &bdquo;ich kann nicht anders.“

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