Respektlosigkeit und Angriffe: Haben Polizisten mehr Angst als früher?

Herr Schlüter, wie bewerten Sie die aktuelle Sicherheitslage in NRW? Patrick Schlüter: Die Messerkriminalität nimmt zu. Wir haben weiterhin eine Anschlagsgefahr, die vor allem von Islamisten ausgeht. Zuletzt gab es zudem Angriffe auf Bahnstrecken. Meine Kolleginnen und Kollegen sind dauerhaft gefordert. Zugleich muss man aber sagen, dass die Zahl der Straftaten in NRW oder die Kriminalitätshäufigkeitszahlen insgesamt im normalen Bereich liegen. In NRW haben bisher nur 18 von 47 Kreispolizeibehörden einen sogenannten Taser, davon zwei in OWL. Die übrigen warten seit Jahren darauf, ebenfalls mit dem &bdquo;Distanz-Elektroimpulsgerät“ ausgestattet zu werden – die Landesregierung lässt sich aber Zeit. Haben Sie eine Erklärung dafür? Eine Erklärung ja, aber absolut kein Verständnis. Das sind ein Stück weit politische Spielchen. Die Grünen sind hier die Blockierer. Die Einführung stammt aus der schwarz-gelben Vorgängerregierung im Land. Schwarz-Grün hat vereinbart, dass die Taser in drei Gutachten evaluiert werden sollen. Ein medizinisches Gutachten liegt vor, das sozialwissenschaftliche und das einsatztaktische Gutachten fehlen noch. Sie sollen erst Ende 2025 vorliegen. Wir sind gespannt, ob Innenminister Herbert Reul dann Ehrgeiz zeigt, dieses Projekt in dieser Legislaturperiode nach vorn zu bringen. Oder ob meine Kolleginnen und Kollegen dann unter Verweis auf den Haushalt weitervertröstet werden. Zu welchem Urteil kommt das erste Gutachten? Zusammenfassend sind die Risiken der Taser im Vergleich zur Schusswaffe harmlos. Sie sind ein adäquates Mittel, um die große Lücke zwischen Schlagstock und Pfefferspray auf der einen Seite und der Schusswaffe auf der anderen zu schließen. Auswertungen zeigen, dass es in den meisten Fällen reicht, den Taser-Einsatz nur anzudrohen. Aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei kein überraschendes Fazit. Dafür hätte man das Gutachten nicht gebraucht. Dann könnte der Taser dafür sorgen, dass Polizisten die Schusswaffe seltener nutzen? Ja. Haben Polizisten keinen Taser, dann ziehen sie in Ausnahmesituationen natürlich die Pistole, da sie keine Alternative haben. Das klingt nach einer fatalen Gemengelage, blickt man auf die steigenden Zahlen von Gewalt gegen Polizeibeamte. Alleine 2023 hatten wir knapp 10.000 solcher Taten in NRW. 4.500 Polizisten wurden verletzt, 24 sogar schwer. Werte für das vergangene Jahr liegen noch nicht vor. Aber bundesweit geht der Trend nach oben. Das wird in NRW auch der Fall sein. Gewalt gegen Einsatzkräfte &bdquo;hat mit Respektlosigkeit zu tun“ Woran liegt das? Das hat mit Respektlosigkeit zu tun. Auch Feuerwehrleute oder Rettungssanitäter erleben solche Übergriffe. In weiten Teilen der Gesellschaft verfallen alte Werte. Das zeigt sich auch daran, dass sich immer mehr Menschen mit Messern oder über einen Kleinen Waffenschein bewaffnen. Wie ist das aus Polizeisicht zu begründen? Das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen hat gelitten. Aus Polizeisicht ist die Bewaffnung fatal. Wenn Messer mitgeführt werden, werden sie natürlich auch eher eingesetzt. Lässt sich sagen, weshalb das Sicherheitsgefühl unter den Menschen sinkt? Da spielen viele Faktoren eine Rolle, sicherlich auch Medienberichte über Kriminalität oder eine offensivere Öffentlichkeitsarbeit der Polizei. Auf der anderen Seite werden von beispielsweise der AfD und in sozialen Medien gezielt Ängste geschürt. Wie steht es um das Sicherheitsgefühl der Polizisten? Haben die mehr Angst als früher? Angst ist nicht das richtige Wort. Aber Eigensicherung wird natürlich wichtiger. Es gibt Gegenden, selbst in kleinen OWL-Städten, da fährt die Polizei in der Regel nur mit mehr Kräften als nur einem Streifenwagen hin. Zugleich wird die Ausstattung immer besser, die Polizeikräfte sind auch gut ausgebildet. Aber natürlich muss ein Polizist heutzutage noch mehr aufpassen, was neben oder hinter ihm passiert. Gewalt und Respektlosigkeit sind für Polizisten also alltäglich. Von wem geht das vor allem aus? Vor allem junge, pubertierende, männliche Personen. Ich sage aber nicht pauschal, dass darunter vor allem Personen mit Migrationshintergrund oder Ausländer sind. Was Kopfschütteln bei Polizisten verursacht Dennoch werden solche Menschen beispielsweise auf dem Bielefelder Kesselbrink etwa in Sachen Drogenkriminalität vor allem kontrolliert. Wenn wir in einem Bereich ein bestimmtes Problem haben und wir aufgrund der Erfahrung von einem bestimmten Phänotyp ausgehen, dann müssen wir nicht den Anzugträger mit Aktenkoffer kontrollieren. Das ist keine Schikane gegenüber den betroffenen Personen. Was sollen wir bitte sonst tun? Gar nicht mehr kontrollieren oder bewusst diejenigen kontrollieren, die höchstwahrscheinlich nicht in die Tätergruppe fallen? Oftmals gehen der Polizei Täter ins Netz, die schon oft wegen ein und desselben Delikts aufgefallen sind. Dennoch werden sie zu Bewährungsstrafen verurteilt, Verfahren werden eingestellt oder verzögern sich. Sorgt das nicht für Frust bei den Polizisten? Das kommt gerade bei Jugendlichen oft vor. Aber die Kolleginnen und Kollegen gehen damit sehr professionell um - auch wenn es deshalb schon mal Kopfschütteln gibt. Die Justiz kämpft mit eigenen Problemen, vor allem einer deutlichen Überlastung. Würden Sie sich manchmal härtere Konsequenzen wünschen? Was ich mir an erster Stelle wünsche, ist, dass Verfahren schneller laufen, viel schneller. Damit die Kriminellen erleben, dass kurz nach der Straftaten die Strafe folgt! Dauern Verfahren zu lange, können die Personen dazu neigen, sich über den Rechtsstaat eher lustig zu machen, als ihn ernst zu nehmen. Von geringen Strafen mal ganz abgesehen. Stichwort Personal: Seit Jahren werden jährlich 3.000 neue Polizei-Anwärter eingestellt, viele brechen aber ab oder fallen durch. Stellt die Polizei zu viele Leute ein, die dort nicht hingehören? Aktuell brauchen wir hohe Einstellungszahlen, weil die Zahl der Pensionierungen hoch ist und erst langsam abflacht. Die Zahl 3.000 ist eher eine politische Marke. Um diese zu erreichen, wurden die Anforderungen bei der Einstellung gesenkt. Allerdings wurde bei der Ausbildung nicht nachgebessert: Die Kurse und Gruppen werden immer größer, teilweise finden bestimmte Übungen nicht so umfangreich statt, wie sie es müssten. Zudem müssen mehr Ressourcen eingesetzt werden, um leistungsschwächere Polizeianwärter auf Stand zu bringen. Da hat die Landesregierung versäumt, nachzubessern.

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