Für Eltern von Sternenkindern: In Versmold gibt es einen Ort der Erinnerung

Versmold. Das Grabmal sticht allein durch seine Optik hervor. Gefertigt hat es seinerzeit der Versmolder Steinbildhauermeister Horst Mennecke aus australischem Buntsandstein. Zwei Teile – sie symbolisieren die Eltern – verlaufen nebeneinander am Boden entlang, streben dann empor und vereinigen sich zu einem Stern. &bdquo;Sie werden leuchten wie Sterne immer und ewiglich“ steht auf der einen Seite geschrieben. Auf der anderen funkeln viele kleine Sternchen. Dank Spenden war die Grabstätte 2015 realisiert worden. &bdquo;Ich wäre damals froh gewesen, hätte ich diese Möglichkeit gehabt“, sagt Susanne Nengelken und schaut auf den besonderen Ort der Erinnerung. Vor 30 Jahren erlitt sie vier Fehlgeburten, erzählt sie. &bdquo;Es ist trotzdem ein Kind. Das Herzchen schlägt“, sagt sie. Die Möglichkeit, das Ungeborene zu bestatten, würdevoll Abschied nehmen zu können, der Trauer über den Verlust einen Ort geben zu können - all das habe es seinerzeit nicht gegeben. Heute gibt es das. Auf ganz unterschiedliche, persönliche Weise können Familien den Abschied gestalten. Susanne Nengelken engagiert sich ehrenamtlich in der Trostoase Versmold und hat eine Weiterbildung zur Begleitung früh verwaister Eltern gemacht. Als Mitarbeiterin im Bestattungshaus Husemann-Scheffbusch ist sie zudem Ansprechpartnerin für Sternenkinder-Eltern. Gemeinsam können für die Trauerfeier Kisten gebastelt und bemalt werden. Es gibt handgefertigte Kleidung, zur Verfügung gestellt von Ehrenamtlichen. &bdquo;Ganz liebevoll genäht, egal wie klein die Kinder sind“, schildert Nengelken. &bdquo;Auch viele Krankenhäuser begleiten die Familien heute sehr eng und schön“, sagt sie und ist froh, dass es inzwischen mehr Offenheit für das Thema gibt. Versmolder Sternenkinder-Grabstätte ist für Familien kostenfrei Dennoch ist die Nachfrage nach Bestattungen bei Fehlgeburten auf dem Versmolder Friedhof überschaubar. &bdquo;Viele machen das vielleicht mit sich selbst aus“, sagt Bestatter Andre Scheffbusch. &bdquo;Andere fürchten möglicherweise die Kosten.“ Deshalb ist es ihm wichtig, zu betonen, dass sehr geringe Preise seitens des Bestattungshauses dafür aufgerufen werden. Susanne Nengelken vermutet, dass manchmal auch die Angst, die eigene Trauer zuzulassen, eine Rolle spielt. Ihr ist das Angebot für Eltern von Sternenkindern deshalb eine echte &bdquo;Herzensangelegenheit“. Mehr zum Thema: Haller Fotografin schenkt Eltern Andenken von verstorbenen Babys Genauso wie für Pfarrerin Susanne Absolon. Die Kirchengemeinde verzichtet für nicht bestattungspflichtige Kinder (unter 500 Gramm, vor der 24. Schwangerschaftswoche) auf der Sternenkinder-Grabstätte auf dem Friedhof ganz auf Gebühren. Bei Kindern, die tot geboren werden oder die kurz nach der Geburt sterben, hält die evangelische Gemeinde die Kosten ebenso gering (100 Euro für 30 Jahre). &bdquo;Wir möchten die Familien nicht zusätzlich belasten“, sagt Absolon. Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Trostoase Versmold (@trost.oase.versmold) Als Seelsorgerin begleitet sie immer mal wieder Familien, die während der Schwangerschaft ein Kind verloren haben. Viele Frauen kehren schnell wieder in den Alltag zurück, haben vielleicht noch weitere Kinder oder werden wieder schwanger. Die Erfahrung einer Fehl- oder Totgeburt aber bleibe. &bdquo;Das ist Teil ihrer Biografie“, sagt die Pfarrerin. Die Sternenkinder-Grabstätte kann deshalb aus ihrer Sicht ein wichtiger Ort zur Trauerbewältigung sein. &bdquo;Ich weiß von Familien, dass sie auch mit Geschwistern hierherkommen. Das Kind lebt in der Familie und in der Erinnerung weiter.“ Manche haben einen Gedenkstein mit dem Namen des Ungeborenen auf das Grabfeld gelegt. Ein kleiner Gruß für das Kind, das sie nie kennenlernen durften. Etwa 20 Prozent aller Schwangerschaften enden vorzeitig Laut Statistischem Bundesamt lag die Totgeburtenrate im Jahr 2022 bei 4,4 (bezogen auf 1.000 Geborene). Seit 2010 nimmt die Quote tendenziell zu. Die Datenlage für Fehlgeburten ist einer Veröffentlichung des Fachbereichs &bdquo;Wissenschaftliche Dienste“ im Deutschen Bundestag hingegen nicht ganz eindeutig. &bdquo;Dies liegt insbesondere daran, dass sie zu einem großen Teil in den ersten Schwangerschaftswochen ohne Symptome verlaufen“, heißt es. Anders als Totgeburten unterliegen Fehlgeburten keiner standesamtlichen Meldepflicht. Lesen Sie auch: Künstliche Befruchtung: Versmolder erzählen über langen Weg zum Wunschkind Experten gehen davon aus, dass etwa 20 Prozent aller Schwangerschaften mit einem Abort enden. Viele davon im frühen Stadium (bis zur 12. Schwangerschaftswoche). Das Phänomen sei &bdquo;viel zu lange heruntergespielt und oft nicht ernst genommen worden“, heißt es kritisch in einer Veröffentlichung im Deutschen Ärzteblatt im April 2021, die sich auf eine weltweite Studie bezieht. Neun Sternenkinder wurden in den zehn Jahren auf der besonderen Versmolder Grabstätte beigesetzt. Fehlgeburten wird es um ein Vielfaches mehr auch in Versmolder Familien gegeben haben. Kirchengemeinde und Trostoase möchten die Möglichkeit einer Bestattung vor Ort gerne mehr publik machen. Sternenkind-Mutter erzählt offen über den Verlust Mehr Transparenz und mehr Offenheit wünscht sich auch Tanja Jagusch. Die Frühlingssonne scheint angenehm durch die hohen Bäume auf dem Füchtorfer Friedhof hindurch, als das &bdquo;Haller Kreisblatt“ sie trifft. Eine Jacke braucht man an dem Vormittag nicht. Tanja Jagusch ist mit dem Fahrrad gekommen, wie sie es so oft macht. Der Gang zum Grab ihres Sohnes gehört für die gebürtige Versmolderin zum wichtigen Ritual. Fast täglich besucht sie Gabriel Elias dort. Ihr Kind, das sie in der 27. Schwangerschaftswoche verlor. &bdquo;Ich habe ihm auch erzählt, dass Sie heute kommen“, sagt Tanja Jagusch auf dem Weg zur Grabstelle. &bdquo;Manchmal bin ich nur ganz kurz hier. Manchmal länger und erzähle ihm was“, sagt die 45-Jährige. Mehr als sieben Jahre ist es her, dass ihr eigentlich kerngesunder Sohn plötzlich im Mutterleib starb. Bereits vier Jahre zuvor hatte Tanja Jagusch ihre Zwillinge in der 13. Schwangerschaftswoche verloren. Den Verlust konnten sie und ihr Mann noch alleine verarbeiten. Nach dem Tod von Gabriel Elias fällt die Füchtorferin in ein tiefes Loch und holt sich Hilfe. Heute hilft sie anderen Betroffenen und bietet über das Haus der Familie in Warendorf die Gruppe &bdquo;Wegbegleitung für früh verwaiste Eltern“ an. Vermehrt nehmen auch Paare das Angebot an, sagt Jagusch. &bdquo;Männer trauern anders“, schildert sie ihre Wahrnehmung und aus eigener Erfahrung. &bdquo;Viele stürzen sich schnell wieder in die Arbeit und reden nicht so viel darüber.“ Betroffene Mutter hat Ratschläge für den Umgang mit Trauer Auch Frauen gingen unterschiedlich mit dem Verlust um. &bdquo;Es wird besser und anders, aber ganz geht die Trauer nicht weg“, beschreibt Tanja Jagusch. &bdquo;Und es gibt Leute, für die wird es nie wieder gut.“ Sich mit anderen Betroffenen über Erfahrungen und Gefühle auszutauschen, Verständnis und Rückhalt zu erfahren, hält die 45-Jährige für wichtig. Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Tanja Jagusch (@jaguschtanja) Sie stellt nach wie vor eine gewisse Hemmschwelle fest, sich Hilfe zu holen und offen über eine Fehl- oder Totgeburt zu sprechen. Bei der Verarbeitung können verschiedene Punkte helfen. Tanja Jagusch, die eine Fortbildung “Qualifizierung zum Leiten von Trauergruppen früh verwaister Eltern“ absolviert hat, rät zum Beispiel dazu, das verlorene Kind in den Alltag zu integrieren, beispielsweise durch eine Gedenk-Ecke. &bdquo;Es kann auch helfen, einen Brief zu verfassen und sich dabei alles von der Seele zu schreiben.“ Der Punkt Dankbarkeit spiele für sie bei aller Trauer eine wichtige Rolle. &bdquo;Er ist ja immer noch mein Sohn, auch wenn er nicht körperlich präsent ist“, sagt Tanja Jagusch über Gabriel Elias. Achtsamkeit und Selbstwert sind zwei Ratschläge, die sie in ihren Gruppen den Müttern weitergibt. &bdquo;Um das Gedankenkarussell zu stoppen und um sich als Frau wieder wahrzunehmen.“ Ihr selbst habe geholfen, viel über die Situation zu reden und den Fokus auf andere positive Dinge zu legen. Trotz des großen Verlusts und der schweren Zeit sagt die 45-Jährige: &bdquo;Es ist auch ohne Kinder lebenswert“. 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