"Chaos ist perfekt" - Versmolds Stadtwerke müssen Energiekunden vertrösten

Versmold. Jörg Kogelheide hat schon seit einiger Zeit keine Lust mehr auf diplomatische Worte. Zu tief sitzt der Frust beim Geschäftsführer der Stadtwerke Versmold. "Wir als Versorger sind so langsam auch ratlos. Das Chaos ist perfekt - und von uns für die Kunden so nicht mehr abzubilden." Hintergrund von Kogelheides Ärger sind natürlich die ständig wechselnden Informationen zu den Energiepreisen sowie die dauerhafte Ungewissheit - und das bekommen die Kunden schon jetzt zu spüren. Los geht es bei der ohnehin viel diskutierten Umsatzsteuersenkung auf den Gaspreis von 19 auf sieben Prozent, welche die Kundinnen und Kunden entlasten soll. Seit dem 1. Oktober soll der reduzierte Satz gelten - aber wie rechnen die Versorger das künftig ab? Die Technischen Werke Osning aus Halle hatten jüngst angekündigt - ähnlich wie bei Erleichterungen im Zuge der Corona-Pandemie - nach dem so genannten Hybrid-Modell verfahren zu wollen. "Das würde bedeuten, dass die Senkung des Steuersatzes bei allen Abrechnungen nach dem 1. Oktober rückwirkend auf das ganze Jahr 2022 angewendet würde", erklärt Kogelheide. Die Kunden könnten - irgendwie paradox - für das laufende Jahr bei der Gasrechnung also sogar noch mit Rückzahlungen rechnen. Problem: "Noch ist nicht einmal das entsprechende Gesetz rechtskräftig", so Versmolds Stadtwerke-Chef. "Und es gibt entsprechend auch noch keinen Anwendungserlass vom Bundesfinanzministerium. Bisher gehen wir in der Branche also nur davon aus, dass wir die Steuersenkung auf das ganze Jahr anwenden dürfen." Wie berichtet soll die Steuersenkung vom 1. Oktober 2022 bis zum 1. April 2024 gelten. Für das letzte Quartal dieses Zeitraums wird sich also erneut die Frage der Regelung stellen - und wieder bürokratischen Aufwand für die Versorger bedeuten. Preisanpassung hat allein 40.000 Euro gekostet Einen Rückzieher hat die Politik hingegen bei der so genannten Gasbeschaffungsumlage gemacht. Die wird nun doch nicht erhoben - dabei hatten die Stadtwerke sie bereits in die Preiskalkulation eingebaut und die Anpassung der Preise auch schon veröffentlicht. "Das ist bei uns ein durchlaufender Posten, den streichen wir einfach. Wir werden diese Umlage jetzt natürlich nicht erheben", erklärt Jörg Kogelheide und fügt mit etwas Galgenhumor an: "Das Gute ist: Preissenkungen können wir einfach umsetzen, ohne die Kunden und die Öffentlichkeit sechs Wochen vorher informieren zu müssen wie bei Erhöhungen." Der Verwaltungsaufwand bei der Preiserhöhung zum 1. Oktober hatte den Versorger mit Blick auf Portokosten und Co. allerdings zwischen 30.000 und 40.000 Euro gekostet . . . Aber welche Abschläge sollen die Energiekunden denn nun für den Rest des Jahres und künftig zahlen? Darüber wollte der heimische Energieversorger eigentlich schon längst per Schreiben informiert haben. "Wir würden unseren Kundinnen und Kunden gerne mitteilen, welche Abschläge wir empfehlen", sagt der Stadtwerke-Chef. "Aber das mussten wir zurückstellen - weil wir zunächst einmal abwarten müssen, welche Regeln denn nun wirklich gelten werden." Komme man mit einem geringeren Anstieg der Abschläge aus als bisher befürchtet, werde man das für 2022 empfehlen. "Aber für 2023 werden wir sicher eine weitere Erhöhung der Abschläge vorschlagen müssen", so Kogelheide. Er hoffe, dass man nun schnell die Briefe versenden könne, wenn mehr Klarheit herrsche. Abwarten: Das gilt übrigens auch für die angekündigte Gaspreisbremse. "Derzeit sieht es so aus, als sollten wir den Kundinnen und Kunden den Abschlag für Dezember erlassen - allerdings auf Basis der Septemberwerte." Wo sich die Stadtwerke das Geld dann wiederholen können, an wen ein Antrag zu stellen sei, dazu gebe es indes noch keine Infos. "Und unsere Kosten werden im Dezember höher als im September liegen, da entsteht also wieder eine Differenz. Holen wir uns das am Ende dann über die Schlussrechnung von den Kunden wieder?", fragt der Energiemanager mehr rhetorisch. Er hofft auch hier angesichts der knappen Zeit auf schnelle Antworten des Gesetzgebers. Trotz Gaspreisdeckel: Stadtwerke-Kunden müssen deutlich draufzahlen Weiter gehe es mit dem Gaspreisdeckel. "Der soll im kommenden Jahr eingeführt werden. Aber erst ab März oder April. Die hohen Kosten vom Jahresanfang werden die Kunden also trotzdem schultern müssen", betont Jörg Kogelheide. "Und dann soll der Deckel bei zwölf Cent pro Kilowattstunde liegen - vor der Krise lag der Preis bei sechs bis sieben Cent. Wir reden also trotz Deckels immer noch nahezu von einer Verdopplung der Preise." Mit der Politik geht der Stadtwerke-Chef erneut hart ins Gericht: "Es geht nach wie vor um parteipolitisches Geschacher, das ist für das Chaos verantwortlich." Man stehe vor drei bis vier schweren Jahren: "Da müsste man Strategien entwickeln. Selbst Erdgas fördern, Kohlekraftwerke zuschalten - bis man unabhängiger ist." Mit einer Welle von Zahlungsausfällen rechnet Jörg Kogelheide im ersten Quartal 2023. "Die ersten Rechnungen werden die Kunden noch begleichen können. Aber dann wird es eng. Und irgendwann werden auch wir Anschlüsse sperren müssen." Zumal dem Geschäftsführer ein anderes Thema derzeit viel zu kurz kommt: "Die Strompreise werden ab Januar 2023 auch steigen - ich reche mit einer Verdopplung. Auch da werden wir die Abschläge deutlich nach oben anpassen müssen."

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