
Versmold.„Es war schon immer ein Treffpunkt für die Jugend. Das lief meistens problemlos. Aber seit einiger Zeit ist hier die Drogenszene eingezogen", sagt Klaus M. Seinen richtigen Namen möchte der Versmolder nicht öffentlich machen, er fürchtet weitere persönliche Angriffe. Er möchte aber über das sprechen, was inzwischen fast täglich in seiner Nachbarschaft passiert. Im Namen einiger Anwohner hat er sich ans Haller Kreisblatt gewandt.
Seit vielen Jahren wohnt Klaus M. an der Anton-Henrich-Delius-Straße, eine kleine Sackgasse unweit des Stadtkerns, dennoch ruhig gelegen in Nähe des Aabachs. Ohne Durchgangsverkehr, viel Grün. Eigentlich idyllisch. Wäre da nicht die beinahe alltägliche Kulisse. Von seinem Küchenfenster aus hat Klaus M. freien Blick auf das Geschehen. Von Corona-Regeln sei da keine Spur. „Die trinken aus einer Flasche und ziehen an einem Joint." Das allein wäre für ihn kein Grund zum Klagen.
Marihuana-Tüten im Vorgarten
Am Küchentisch sitzend erzählt der Mediziner von den Vorfällen der vergangenen Wochen. Von Dealerei, exzessivem Alkohol- und Drogenkonsum, Vermüllung und zuletzt von Gewalttaten sowie Angriffen auf seine Person. Als Beleg dafür holt der Ruheständler die Funde des Vortages hervor. Eine Whiskeyflasche, zwei Tütchen mit Cannabis-Blatt und eine Packung Böller. Im Vorgarten vom Haus gegenüber und auf dem Gehsteig liegen zig Zigarettenstummel, leere Dosen und Verpackungsmüll. Auf der Brücke über dem Aabach sowie im Wasser sind Scherben, Böller und Müll zu sehen.
Klaus M. sammelt, so sagt er, regelmäßig die Hinterlassenschaften der Gelage ein. Er möchte nicht, dass die Natur verschandelt wird. Auch sucht er immer wieder das Gespräch mit den Gruppen, die sich dort treffen. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Situation eskaliert, wenn man die jungen Leute gewähren lässt. Deswegen mische ich mich immer noch ein." In den vielen Jahren, in denen er da wohne, sei es meist friedlich zwischen ihm und den Gruppen zugegangen.
Bis zu einem gewissen Grad kann er die Treffen dort dulden. „Ich habe auch nichts gegen Kifferei, ich bin selbst aus der 68er-Zeit." Zuletzt habe sich die Situation aber zugespitzt. Früher hätten sich vor allem Jugendliche aus der Umgebung dort getroffen, inzwischen „ist es keine homogene Szene mehr". Zumeist soll es sich um junge Männer handeln; die Grenze zur Kriminalität werde oft überschritten. Auch mit dem Algerier, der im Juli vor der Polizeiwache ein Auto in Brand gesteckt und sich danach eine Verfolgungsjagd durch die Stadt geliefert hatte, habe er schon mal Bekanntschaft gemacht. „Er hat mich mit dem Messer bedroht", schildert Klaus M.
„Ich habe vor der Gewalt, die zunehmend ins Spiel kommt, Angst." Vor seiner eigenen Haustür fühle er sich gerade abends nicht sicher. Die Gestalten, die mit fremden Kennzeichen vorgefahren kämen und die er am Ende der Sackgasse beim offenkundigen Dealen beobachte, seien schon „düster".
Ende Oktober, erzählt Klaus M., habe es gegen 21 Uhr an seiner Haustür geklingelt. Ein Versmolder habe ihn aufgeregt um Hilfe gebeten, weil ein junger Mann blutend an der Aabachbrücke lag. „Ich bin Arzt, da helfe ich natürlich", sagt Klaus M. Die Person hatte Verletzungen am Kopf und lag in einer Blutlache. Was ihn beschäftigt: Bis die Rettungskräfte an Ort und Stelle gewesen waren, sei viel Zeit vergangen.
Erst fliegen Eier,dann Böller
Anfang November, so berichtet der Anwohner, seien Eier an seine Hauswand geworfen worden. Das Betreten-Verboten-Schild vom benachbarten Schulgelände habe man abmontiert und in seinem Vorgarten entsorgt. Vor einigen Tagen dann schellte es wieder einmal und beim Öffnen sei ein Böller in den Hausflur geflogen. „Zum Glück ist er ausgegangen und nicht explodiert", sagt Klaus M. „Ich bin für die zur Zielscheibe geworden."
Der Anwohner fordert auch im Namen seiner Nachbarn insgesamt mehr Polizeipräsenz und will einen Brief an Landrat Sven-Georg Adenauer aufsetzen. „Man darf vor denen nicht einknicken", findet Klaus M. Das Gespräch mit Bürgermeister Michael Meyer-Hermann hat der Anwohner bereits mehrfach geführt.
„Das ist doch eine Einladung an die Szene"
Mehr Kontrollen und Sanktionen, eventuell bauliche Maßnahmen wie die Absperrung des benachbarten Schulhofes oder die Überwachung öffentlicher Plätze schlägt M. als mögliche Maßnahmen vor. Der Ordnungsamtsaußendienst der Stadt komme zwar regelmäßig vorbei. „Es gibt Fluchtmöglichkeiten in alle Richtungen – da sind sie chancenlos."
Skeptisch verfolgt Klaus M. die Pläne der Stadt, den Grünzug am Aabach umzugestalten. Grundsätzlich findet er eine Aufwertung des Bereiches gut. Mit zunehmender Aufenthaltsqualität fürchtet er allerdings mehr Probleme mit Cliquen. „Das ist doch eine Einladung an die Szene."
Das sagen Stadt und die Polizei
Die Begriffe „dunkle Ecke" und „Angstraum" fielen im Sommer bei der politischen Beratung über die Pläne für den kleinen Park an der Gartenstraße sowie den Grünzug am Aabach. „Uns ist bekannt, dass es an der Stelle Probleme gibt", bestätigt Bürgermeister Michael Meyer-Hermann auf Nachfrage vom HK und spricht von mehreren Anwohnerbeschwerden. Das sei allerdings seit Jahrzehnten so – mal mehr, mal weniger. Die geplante Aufwertung solle eben den Bereich heller, offener machen – und damit unattraktiver für solche Treffen.
Die Aussage der Anwohner, dass sich die Situation zuletzt zugespitzt habe, kann die Kreispolizeibehörde Gütersloh nicht bestätigen. In Rücksprache mit der Wachleitung heißt es von der Pressestelle, dass es „nicht unruhiger als sonst" sei. Als „besorgniserregend" bewertet man die Situation insgesamt nicht. Jüngster Vorfall, der der Polizei gemeldet wurde, waren am Wochenende brennende Mülltonnen auf dem Schulgelände.
Bürgermeister Meyer-Hermann kündigt an, auf die Anwohnerbeschwerden zu reagieren. Das habe er bereits nach dem letzten Gespräch gemacht und den Ordnungsamtsaußendienst verstärkt eingesetzt. „So etwas wollen wir nicht in unserer Stadt", sagt er mit Blick auf die geschilderten Vorfälle, wohlwissend, dass Kontrollen allein das Problem nicht lösten. „Dann kommt es zu Verdrängungen." So gibt es beispielsweise auch an der Sonnenschule immer wieder Probleme mit Jugendgruppen.
Geht es um Straftaten, verweist der Verwaltungschef auf die Zuständigkeit der Polizei. Insgesamt seien die Ordnungshüter aufgrund der Corona-Lage momentan gut ausgelastet.
Dass sich zurzeit womöglich mehr junge Menschen im öffentlichen Raum treffen, führt Meyer-Hermann auf die Einschränkungen im Freizeitbereich zurück. „Es gibt für die Jugendlichen keine Alternativen – das ist natürlich keine Entschuldigung für Fehlverhalten."
Der Ruf nach Videoüberwachung werde in solchen Situationen gerne laut. „So einfach ist das alles nicht", sagt der Bürgermeister und verweist auf gesetzliche Vorgaben.