Müsli und Metallica: Zu Besuch in einem besonderen Wohnheim in Steinhagen

Steinhagen. Das Eis ist schnell gebrochen. Heavy-Metal-Fan? &bdquo;Ja“, antwortet Jürgen Schultz und nickt schmunzelnd. Der Hoodie mit dem AC/DC-Logo ist aber auch eine klare Ansage. Im zweiten Stock der Bethel-Einrichtung &bdquo;Unterstütztes Wohnen Bahnhofstraße“ dröhnt allerdings gerade Latin-Pop von Shakira aus den Boxen eines Mitbewohners. Und das ganz schön laut. Also nichts wie in den Fahrstuhl und eine Etage tiefer. Dort hat Jürgen Schultz sein Zimmer. Der 55-Jährige ist einer von 24 Bewohnern in der Einrichtung der &bdquo;Von Bodelschwinghschen Stiftung Bethel“ an der Bahnhofstraße im Steinhagener Ortskern. 2012 ist sie eröffnet worden. Alle, die hier leben, haben geistige Behinderungen mit einem hohen Hilfebedarf. Hin und wieder sieht man die Bewohnerinnen und Bewohner im Ort. Wie es in dem direkt am Bürgerpark gelegenen Gebäude mit der auffälligen weiß-orangen Fassade aussieht, wissen allerdings die wenigsten. Jürgen Schultz wohnt hier seit der Eröffnung. Er will uns sein Zimmer zeigen. Die Tür öffnet sich per Knopfdruck. Praktisch, denn der Metal-Fan sitzt im Rollstuhl und fährt direkt ans Fenster. &bdquo;Von hier aus habe ich alles im Blick“, sagt er. Stimmt. Die Bahnhofstraße, das Heimathaus, die Dorfkirche - alles liegt ihm zu Füßen. Das Zimmer ist klein, aber gemütlich. Viel Platz nimmt das höhenverstellbare Bett mit Deckenlift ein. &bdquo;Ich habe auch AC/DC-Bettwäsche“, lässt Jürgen Schultz wissen. Metallica darf im CD-Regal nicht fehlen An der Wand und an dem Schrank hängen Fotos, auf denen er mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bethel-Einrichtung zu sehen ist. Eingerahmt werden die Bilder von zwei hohen CD-Regalen, in denen sich - wen wundert’s? - auch Metallica zu finden ist. Zum Zimmer gehört ein WC mit Dursche, ebenfalls behindertengerecht. Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK Dann drückt Einrichtungsleiterin Iris Quentmeier aufs Tempo. Gleich wird Jürgen Schultz zur Arbeit abgeholt. Der 55-Jährige ist wie viele Mitbewohner beim Wertkreis in Halle beschäftigt. Die Werkstätten dort bieten rund 120 Menschen mit Behinderung eine Beschäftigung. Ein Fahrdienst bringt ihn hin. Endlich Behinderten-Parkplätze vor der Tür Seit Neuestem kann das Fahrzeug direkt vor dem Haupteingang des Gebäudes parken. &bdquo;Wir haben endlich zwei Behinderten-Parkplätze vor der Tür. Die wurden auf Betreiben einer Angehörigen und in Zusammenarbeit mit der Bürgermeisterin geschaffen“, erzählt Iris Quentmeier. Jürgen Schultz verabschiedet sich für seinen vierstündigen Job in Halle. Einige in der Einrichtung arbeiten nur halbtags; die Beschäftigung beim Wertkreis gibt ihnen Bestätigung und eine Tagesstruktur. Zusammen mit Iris Quentmeier geht es wieder in den zweiten Stock, wo noch immer Shakira in Dauerschleife läuft. Zusammen mit Andreas Schulze, der im Haus unter anderem fürs Teilhabemanagement und die Leistungsvermittlung zuständig ist, geht es dort mal wieder ums BTHG. Die vier Buchstaben stehen fürs Bundesteilhabegesetz. Wie Teilhabe im Idealfall aussehen sollte, erklärt Andreas Schulze folgendermaßen: &bdquo;Wenn Jürgen beispielsweise ein bestimmtes Müsli zum Frühstück haben möchte, dann kaufen wir es ihm nicht einfach und stellen es ihm hin. Sondern wir begleiten ihm zu einem Steinhagener Supermarkt, damit er es sich selbst kaufen kann.“ Seine große Unsicherheit würde es ihm unmöglich machen, so einen Gang allein zu bewerkstelligen. Einrichtung hat mit Fachkräftemangel zu kämpfen Iris Quentmeier ergänzt: &bdquo;Auf diese Weise trifft Jürgen selbst die Auswahl und geht selbst mit seinem Geld um.“ Allerdings - und da wird die Sache mit der idealen Teilhabe kompliziert - ist die zweite Option mit dem assistierten Einkaufen personalintensiver und damit auch teurer. Und Personal muss mit Bedacht eingeteilt werden. Aktuell sind in der Steinhagener Einrichtung 37 Menschen beschäftigt. Darunter sind Heilerziehungspfleger, Gesundheits- und Krankenpfleger und Erzieherinnen. &bdquo;Alle arbeiten in Teilzeit“, berichtet Iris Quentmeier. Denn der Job sei sowohl physisch als auch psychisch herausfordernd. Und der Fachkräftemangel schlage in der Pflegebranche voll zu, so die Einrichtungsleiterin. Die &bdquo;Von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel“ steuern mit einer Kampagne gegen. Gesucht werden gezielt auch Quereinsteiger und Jobwechsler. Konzept von &bdquo;Bethel regional“ geht in Steinhagen auf Steinhagen steht beispielhaft für das Konzept &bdquo;Bethel regional“, bei dem es darum geht, Menschen mit einem hohen Hilfebedarf in ihren Wohnorten oder wohnortnah Unterstützung zu bieten. Und das soll nach Möglichkeit mitten in der Gesellschaft passieren. Seit zwölf Jahren funktioniere das in Steinhagen nun schon sehr gut. Klar komme es dabei auch mal zu wunderlichen Begegnungen, die aber in der Regel von allen Seiten mit Verständnis gemeistert würden. &bdquo;Wenn wir beispielsweise mit erwachsenen Bewohnern auf dem Spielplatz sind, werden wir schon mal schief angeschaut“, berichtet Andreas Schulze augenzwinkernd. Zurück ins Haus. Wenn die 24 Bewohner nicht arbeiten, können sie dort an Beschäftigungsangeboten teilnehmen. Es gibt eine Koch-AG und eine Garten-AG. Auf jeder Etage dienen außerdem Gemeinschaftsräume als Treffpunkte. Wer doch einfach mal Zeit für sich haben möchte, – und wer möchte das nicht? – hat seinen privaten Bereich, in den er sich zurückziehen kann. Tür zu. Und AC/DC aufdrehen.

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