Mit 74 Jahren: Was Steinhagens dienstältester Lehrer über Schule denkt

Steinhagen. 2015 hat Heinrich Lübbert seinen regulären Dienst an der Realschule in Steinhagen beendet. Doch im ersten Stock des Schulgebäudes steht noch immer sein Name an einem Klassenzimmer, in dem er weiterhin regelmäßig unterrichtet. &bdquo;Ja, ich bin neun Jahre überfällig“, stellt der 74-Jährige fest und grinst. Ungewöhnlich klingt das, wo doch ständig davon zu lesen ist, wie stressig der Lehrer-Job geworden sei. &bdquo;Wie lange halten Lehrer bei der Arbeitsbelastung durch?“, fragte unlängst die &bdquo;Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Wenn man auf Heinrich Lübbert schaut: sehr lange. &bdquo;Ich habe immer gerne gearbeitet, und ein Leben ohne Aufgabe kann ich mir schwer vorstellen“, erklärt der Pädagoge. Dass die Arbeitsbelastung zugenommen habe, stimme allerdings, hebt Heinrich Lübbert hervor. Dazu später mehr. Da ist es nur fair, dass der Pensionär sein Stundenkontingent nach dem offiziellen Ende der Dienstzeit runtergefahren hat. &bdquo;Ich habe einen Teilzeit-Angestelltenvertrag über neun Stunden pro Woche, der halbjährig verlängert wird“, berichtet Lübbert. So richtig glauben mag man das mit den neun Stunden allerdings nicht, wenn man weiß, was der Mann allein an diesem Tag schon alles hinter sich hat. Damals tickten die Uhren an der Schule noch anders &bdquo;Heute Vormittag habe ich eine Stunde Wirtschaft in einer sechsten Klasse unterrichtet, anschließend habe ich eine Englisch-AG geleitet, und dann habe ich Schüler in ihren Praktikumsbetrieben besucht“, zählt er auf. Letzteres war schon immer Lübberts Herzensangelegenheit: die Berufsorientierung der Jugendlichen. &bdquo;Wir waren Mitte der 80er Jahre die erste Realschule im Kreis Gütersloh, die Betriebspraktika angeboten hat.“ Damals, Mitte der 80, tickten die Uhren an der Steinhagener Realschule noch anders. &bdquo;Wir waren eine zweizügige Schule mit 18 Kollegen. Daran, dass inzwischen in der Regel vier Eingangsklassen gebildet werden, war nicht zu denken. &bdquo;Alles war noch sehr überschaubar“, erinnert sich Heinrich Lübbert, &bdquo;es gab ja noch die Hauptschule.“ Die Verhältnisse in den Klassen seien solider gewesen. &bdquo;Die Kinder kamen durchweg aus intakten Familien. Es war eine homogene Schülerschaft. Das machte das Arbeiten im Unterricht einfacher.“ Mit der Eröffnung des Steinhagener Gymnasiums und dem Auslaufen der Hauptschule habe sich der Charakter der Realschule verändert. &bdquo;Der Beruf ist nervenaufreibender geworden“, sagt Lübbert. Heinrich Lübbert sieht &bdquo;Überdigitalisierung“ in der Schule Dennoch komme er mit den Schülerinnen und Schülern bis heute gut klar. &bdquo;Die bringen mir einen gewissen Altersrespekt entgegen“, stellt der 74-Jährige schmunzelnd fest. Das mag ein Stück weit auch mit seiner Garderobe zusammenhängen. Während die meisten Kolleginnen und Kollegen in Jeans, Sweatshirt und Sneakers aus dem Lehrerzimmer kommen, trägt Heinrich Lübbert ausnahmslos jeden Tag Anzug oder zumindest ein Sakko. &bdquo;Das Sakko ist praktisch, weil es viele Taschen hat. Aber natürlich signalisiere ich damit auch etwas Autorität nach außen. Wenn ich gut gekleidet in die Klasse gehe, zollt das andererseits aber auch den Schülerinnen und Schülern Respekt.“ Als alt gedienter Pädagoge kann sich Heinrich Lübbert Standpunkte erlauben, die sich ein junger Kollegen vermutlich verkneifen würde. So macht der Lehrer keinen Hehl daraus, dass er die viel gepriesene Digitalisierung an den Schulen in Teilen kritisch sieht, sogar eine &bdquo;Überdigitalisierung“ beklagt. &bdquo;Die Schülerinnen und Schüler sind heute auf ihren Geräten nur noch am wischen und tippen. Aktives Schreiben findet kaum noch statt“, beklagt der Realschullehrer. Doch laut einer Studie lerne man vor allem über das händische Schreiben. Auch mit den Whiteboards, die in den Klassenräumen längst die gute alte Tafel ersetzt haben, hadert Heinrich Lübbert bisweilen. Die Marker nerven ihn, weil sie nicht gut genug darauf schreiben. Und umweltfreundlich seien die Plastikdinger ja schon mal gar nicht. Vom Stromverbrauch der digitalen Tafeln mal ganz abgesehen. Lehrer mit reichlich Lebenserfahrung Dass Heinrich Lübbert überhaupt Lehrer geworden ist, ist nicht unbedingt selbstverständlich. Denn es gab eine Zeit in seinem Leben, da wollte er mit Schule gar nichts mehr zu tun haben. &bdquo;Von 1956 bis 1964 war ich auf der Volksschule und habe dort sehr schlechte Erfahrungen gesammelt. Das war eine Zeit, als Ohrfeigen noch an der Tagesordnung waren“, erinnert er sich an die eigenen Schuljahre. Nach dem Abitur in Paderborn meldete sich Heinrich Lübbert zunächst freiwillig für zwei Jahre bei der Bundeswehr. Danach folgte eine Zeit, die er als &bdquo;etwas chaotisch“, aber gleichwohl als sehr persönlichkeitsbildend beschreibt. Denn es folgten Jahre, in denen Heinrich Lübbert Lebenserfahrung sammelte, die ihm später als Lehrer für Politik und Sozialwissenschaften zugutekommen sollte. So ging er für ein halbes Jahr nach Australien, wo sein älterer Bruder lebte, und arbeitete dort als Kellner und in einer Industriewäscherei. Zurück in Deutschland wollte er unbedingt studieren. &bdquo;In Paderborn gab es damals aber nur die Pädagogische Hochschule. Also schrieb ich mich für Englisch und Sozialwissenschaften auf Lehramt ein.“ Parallel arbeitete er als Lagerist in einem Kunststoffwerk. Ein einjähriges Auslandsstudium an einer jüdischen Universität in den USA habe ihn maßgeblich beeinflusst. &bdquo;Obwohl die jungen Juden dort aus Familien kamen, die dem Holocaust entkommen waren, wurde ich als Deutscher sehr freundschaftlich aufgenommen“, erinnert er sich. 1981 zur Realschule nach Steinhagen &bdquo;Nach dem Studium wollte ich etwas erleben und bin für ein Jahr als Deutschlehrer nach Belfast in Nordirland gegangen.“ Abermals erlebt der junge Lehrer Geschichte hautnah mit. &bdquo;Dort war gerade der Bürgerkrieg zu Ende gegangen. Aber es gab noch Bombenattentate und Schießereien.“ Erst 1979 startete Heinrich Lübbert sein Referendariat in Rheine; 1981 begann er an der Steinhagener Realschule. &bdquo;Durch Zufall. Ein Kollege hatte eine Anzeige gesehen, dass ein Lehrer für Sozialwissenschaften gesucht wurde. Und ich gehörte zum ersten Jahrgang, der das Fach studiert hatte. Von Steinhagen hatte ich vorher noch nie gehört.“ 43 Jahre später ist Heinrich Lübbert noch immer an der Schule beschäftigt und wohnt mit seiner Frau sogar nur wenige Gehminuten entfernt von seinem Arbeitsplatz. Doch nun soll zum Schuljahresende Schluss sein. Wirklich? &bdquo;Wirklich. Die Aussicht, demnächst morgens keine Termine mehr zu haben, ist schön“, sagt der 74-.Jährige. Bildung wird dann aber weiterhin eine Bedeutung in seinem Leben spielen. &bdquo;Ich will mehr lesen über geschichtliche Themen“, hat sich Heinrich Lübbert vorgenommen. Im Lehren sieht Lübbert eine &bdquo;wichtige gesellschaftliche Aufgabe“ Ob er den Lehrer-Job heute noch einmal wählen würde? Die Antwort lässt ein paar Momente auf sich warten. &bdquo;Ja doch. Aber mit viel mehr Bewusstsein für die Herausforderungen der Tätigkeit. Insgesamt ist das Unterrichten ja eine Arbeit, mit der man eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe erfüllt und die Zukunft mitgestaltet, wenn auch als kleines Rädchen.“

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