Zahlen lügen nicht. Nach dieser Devise geht die Bezirksregierung Detmold vor, wenn sie die Schulpolitik des Landes umsetzt. Blöd nur, dass diese Zahlen doch lügen. Das beweist der Fall der angestellten Lehrerin Ulrike Gronewold, die am Kreisgymnasium Halle gern ihre Stelle um ein paar Stunden aufgestockt hätte. Sollte nach der Kündigung einer (verbeamteten) Lehrerin in Vollzeit, die nur Musik unterrichtet hatte, doch kein Problem sein. Ist es aber: Und das sagt viel über die Fehler in unserem Bildungssystem aus.
Unterm Strich fällt an der Schule jetzt also Musikunterricht aus, obwohl es eine Lehrerin gibt, die ihn zumindest in Teilen übernehmen würde. Warum das so ist, hat die Bezirksregierung auf meine Anfrage messerscharf vorgerechnet: „Die Gymnasien im Regierungsbezirk Detmold sind derzeit mit über 100 Prozent (105,52) besetzt, was bedeutet, dass aktuell keine freien Stellen verfügbar sind.“
Ach so, dann ist das mit dem Lehrermangel also Einbildung? Nein, er wird nur kreativ weggerechnet. Besagte 105,52 Prozent beziehen sich auf den gesamten Regierungsbezirk - über die einzelne Schule sagen sie gar nichts aus. Trotzdem wird daraus geschlussfolgert, dass man keine zusätzlichen Stellen braucht - ja sogar, dass man im kommenden Jahr keine neue Lehrkraft an Gymnasien im Regierungsbezirk Detmold einstellen wird. Was das für den Bildungsstandort bedeutet, mag sich jeder selbst ausmalen. Frische Impulse dürften jedenfalls nicht zu erwarten sein.
Kreisgymnasium Halle bei über 100 Prozent - aber nicht wirklich
Aber vielleicht tun alle Beteiligten dem Land mit ihrer Kritik ja auch unrecht. Da lohnt der Blick auf die Zahlen des Kreisgymnasiums Halle. Und siehe da: Schulleiter Markus Spindler bestätigt, dass die Versorgungsquote des KGH im August bei 100,4 Prozent lag. Mag also Schulen geben, die unter dem Strich liegen, aber in Halle ist am Gymnasium alles in Butter.
Die Vorgeschichte: Lehrerin am KGH in Halle darf Stunden nicht aufstocken
Wieder falsch. Denn zum einen hilft eine Versorgungsquote von 100,4 Prozent nur bedingt, wenn man zum Beispiel zu viele Deutschlehrer, aber zu wenige für Musik hat. Schon beginnt das Improvisieren, wird fachfremd Unterricht gegeben. Ist halt so, gehört in Zeiten des Fachkräftemangels und leerer Kassen dazu, könnte man argumentieren.
Aber schon die Quote an sich ist ein Hohn. Denn wenn eine Schule 100 Prozent versorgt ist, werden darin auch die Langzeiterkrankten und die in Elternzeit voll erfasst. Die geben aber ja de facto gar keinen Unterricht. Ihre Vertretungen hingegen werden voll auf die Quote draufgepackt - zack: überversorgt. Dass gar nicht alle Stunden der ausgefallenen Lehrer vertreten werden können, dass die Schule immer noch unter Personalmangel leidet, wird mit Zahlen einfach weggezaubert. Aber nicht dort, wo der Unterricht eigentlich stattfinden sollte.
Knappe Budgets sind der Grund für Lehrermangel
Interessant ist auch die Antwort, die Lehrerin Ulrike Gronewold vom NRW-Schulministerium erhielt, als sie sich in ihrem Frust an Ministerin Dorothee Feller gewandt hatte. Da schimmert ein wenig von der Wahrheit im NRW-Bildungssystem durch. Weil man die Zahl der Stellen an Gymnasien gekürzt habe, bestehe im Regierungsbezirk Detmold ein Stellenüberhang von 30 Stellen. Und eben aus diesem Grund könne die Bezirksregierung sowohl Neueinstellungen als auch Stundenaufstockungen ohne Rechtsanspruch „haushaltsrechtlich“ nicht zustimmen.
Im kleinen Wörtchen „haushaltsrechtlich“ steckt eine Menge drin. Dem Schulministerium fehlt schlicht das Geld, das Budget wird knapp. Also reduziert man Standards, schafft Stellen ab und rechnet anschließend die Quoten so schön, dass am Ende alle ausreichend versorgt sind. Mit der Realität hat das allerdings nichts zu tun.
Trotz Pensionierung im Klassenzimmer: OWL bekämpft mit älteren Lehrkräften den Unterrichtsausfall
Nun ist es vielleicht ein wenig zu billig, nur auf dem Land und der Bezirksregierung rumzuhacken. Dass sie sich in ihren Antworten hinter Fantasiequoten verstecken, anstatt ehrlich zu bekennen: „Wir haben kein Geld“, mag zwar frustrierend sein - aber welche Regierung gesteht schon ein, an Grenzen zu stoßen? Es geht um eine viel grundlegendere Frage: Was ist uns Schule eigentlich wert? Wir reden viel von Investitionen in die Zukunft und von Bildung als wichtigstem Kapital. Aber offenbar wird dafür nicht ausreichend Geld ausgegeben, wie sich an diesem Beispiel wunderbar nachvollziehen lässt.
Hoffentlich stößt Haller Lehrerin eine Debatte an
Dass eine Lehrerin wie Ulrike Gronewold darauf aufmerksam macht und zugleich eine so große Freude an ihrem Beruf ausstrahlt und sich keinesfalls in eine Frust-Ecke zurückzieht, sollte uns Mut machen. Allerdings verdient es ihre Offenheit auch, dass die Probleme offener angesprochen werden. Damit die Zahlen irgendwann wieder die Wahrheit sagen.
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