Kraftdreikampf

Zwischen Adrenalin und Angst: Premiere für Hallerin bei Kraftsport-Wettkampf

Vom Lampenfieber bis zur persönlichen Bestleistung: Eine HK-Redakteurin traut sich als Powerlifting-Anfängerin auf die Bühne. Ihre größte Herausforderung ist jedoch nicht das Gewichtheben.

Anfängerin Melanie Wigger beim Bankdrücken während des Powerlifting-Events in Hamburg. | © Rising Productions

Melanie Wigger
07.07.2025 | 07.07.2025, 08:49

Hamburg/Halle. Monate habe ich mich auf diesen Moment vorbereitet. Ich habe so oft trainiert, dass meine Freunde mir vorschlugen, im Fitnessstudio einzuziehen. Ich habe mich fokussiert, hineingesteigert, perfektioniert. Ich hatte Vorfreude und Angst. Und vor allem Letztere spüre ich jetzt. Seit zwei Stunden laufe ich in einem Hamburger Fitnessstudio auf und ab – mein Freund läuft hinter mir her und versucht wie ich, das Wettkampf-Geschehen zu durchschauen. Ich werde gewogen, inhaliere Zucker, höre Jubel, wärme mich unmittelbar neben dem euphorischen Publikum auf, schaue gelegentlich auch zur Bühne, auf der sehr starke Frauen für mich unerreichbare Leistungen erbringen.

Bei meiner Anmeldung beim Wettkampf „Empowerlift“ habe ich mich mit den Teilnehmerinnen aus dem Vorjahr verglichen. Ich kenne meine persönlichen Bestleistungen und komme der Letztplatzierten nahe. Trotzdem weiß ich: Ich bin hier zum Verlieren. Was ich dabei am liebsten verlieren möchte, ist mein Lampenfieber. Es schießt in die Höhe, als mein Name aufgerufen wird und ich noch nicht in Startposition hinter der Bühne stehe. Ich eile los, werde direkt weiter auf die Bühne gewunken. Die Musik dröhnt, aber ich habe keine Ahnung, welcher Song läuft, obwohl ich ihn selbst aussuchen durfte. Ich schlüpfe unter die Stange, die auf einem Ständer auf mich wartet. Sie liegt auf meinem Nacken. Ich atme tief in den Bauch, hebe sie heraus, mache einen Schritt zurück. Alles, was ich mir merken wollte, ist weg.

Für die Moderatoren, die meinen Versuch im Livestream kommentieren, bin ich ein Exot: Kaum Trainingserfahrung, kein Equipment wie der klassische Gewichtheber-Gürtel oder die speziellen Kniestulpen. Und in dieser Runde auch eindeutig nicht die Jüngste. Eine Moderatorin sagt: „Melanie hat vor etwas mehr als einem halben Jahr angefangen und ist 39 Jahre alt – und ich finde, man denkt so: Es ist zu spät, um etwas zu ändern, oder für ein neues Hobby. Aber es ist nie zu spät!“

Beim Powerlifting-Wettkampf geht es nicht um braune Farbe

Melanie Wigger konzentriert sich auf ihren Kniebeuge-Versuch beim Empowerlift-Wettkampf. - © Rising Productions
Melanie Wigger konzentriert sich auf ihren Kniebeuge-Versuch beim Empowerlift-Wettkampf. (© Rising Productions)

Mehrere Mitstreiterinnen sprechen mich an und fragen, ob ich zum ersten Mal dabei bin. Die Angst steht offensichtlich auf meiner Stirn. Ich bekomme motivierende Worte – doch fühle mich leider zu gelähmt, um darauf zu reagieren. In einer Umkleide für die Athletinnen sehe ich einen eingerahmten Spruch an der Wand: „Stop wishing. Start doing“. Deshalb habe ich die Reise von Halle nach Hamburg angetreten – um an einem Kraftsport-Wettkampf teilzunehmen, bei dem es streng genommen um nichts geht: Die Leistung, die ich abliefern werde, wirkt sich in keiner Weise auf mein Leben aus. Ein Teil von mir weiß es, der andere schlägt Alarm. Aber wir ziehen das jetzt durch.

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Meine Freundinnen verfolgen aus der Ferne den Livestream. Sie können zum ersten Mal erleben, was Powerlifting (oder zu Deutsch Kraftdreikampf) bedeutet. „Musst du dich dann braun anmalen“, war eine der ersten Reaktionen einer guten Freundin auf meine Wettkampfpläne. Ich war sprachlos, aber auch amüsiert. Sie hatte wohl Bodybuilderinnen im Kopf. Beim Powerlifting geht es nicht um Ästhetik – man sieht beim schweren Heben ehrlich gesagt auch oft nicht gut aus. Und auch die beste Ausführung entscheidet nicht über den Sieg – auch wenn eine gute Technik natürlich sinnvoll ist, wenn man viel erreichen möchte.

Es geht um drei Kraftübungen, in denen sich die Teilnehmer messen: Kniebeuge, Bankdrücken und Kreuzheben. Alles mit möglichst schweren Gewichten. Drei Versuche bekommt man, die man selbst festlegt. Die besten Ergebnisse werden addiert und die Summen miteinander verglichen. Bei der Auswahl des Gewichts gilt es zu taktieren. Vor allem der erste Versuch sollte nicht zu hoch angesetzt werden – denn danach gibt es kein Zurück. Scheitert der Versuch, hat man nur noch die Wahl, bei diesem Gewicht zu bleiben oder man nimmt seinen Mut zusammen und erhöht trotzdem.

Erster Wettkampf-Versuch – mit Adrenalin und Angst

Redakteurin Melanie Wigger findet in der Umkleide inspirierende Worte. Hilft ihr das? - © Melanie Wigger
Redakteurin Melanie Wigger findet in der Umkleide inspirierende Worte. Hilft ihr das? (© Melanie Wigger)

Für meine erste Kniebeuge habe ich 70 Kilo bestellt, die von den Helfern vorbereitet werden. Sobald die Bühne freigegeben wird, laufen 60 Sekunden für den Versuch. Im Vorfeld hatte ich zwar keinen festen Coach, wie die meisten anderen Frauen, die ich beim Wettkampf kennenlerne, aber ich habe in ein paar Trainerstunden investiert, um meine Schwachstellen in diesem Kraftsport zu optimieren.

Die Gravierendste, an der ich arbeiten musste, klingt vielleicht erstaunlich: Ich bin es nicht gewohnt, auf die Kommandos zu hören. Doch wer die Anweisungen des Kampfrichters ignoriert, hat keine Chance. Selbst bei hervorragenden Leistungen. In den Wochen kurz vor dem Wettkampf bitte ich Freunde und Bekannte, mir die Anweisungen zuzurufen: Zum Beispiel „Beuge“ – als Freigabe mit dem Gewicht in die Knie zu gehen. „Ablegen“ – um das Gewicht zurück auf den Ständer zu legen.

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Eigentlich einfach und doch so schwer, sobald das Adrenalin explodiert – wie jetzt auf der Bühne. Ich beuge mit der Langhantel im Gepäck, spüre die drei Helfer um mich herum, die mir im schlimmsten Fall das Gewicht abnehmen können, gerate durch die Nähe dieser fremden Menschen in Stress, mache weiter ... Und erst nach Verlassen der Bühne dringt zu mir hindurch: Der Versuch war ungültig. Puls.

Die Angstblase zerplatzt: Bereit für 100 Kilo?

Melanie Wigger hebt entschlossen die Hantel beim Wettkampf „Empowerlift“ in Hamburg. - © Rising Productions
Melanie Wigger hebt entschlossen die Hantel beim Wettkampf „Empowerlift“ in Hamburg. (© Rising Productions)

Habe ich auf die Kommandos gehört? Vermutlich nicht. Und auch die Kniebeuge war nicht tief genug. Für den nächsten Versuch mit gleichem Gewicht höre ich nur noch meine inneren Mantras: Einatmen, Körpermitte festmachen, aufs Ablege-Signal warten.

Ich schaffe es und die Angstblase zerplatzt. Ich kann wieder atmen, sogar lächeln. Ich fühle mich befreit. Ob ich mich jetzt noch steigern kann oder nicht, ist mir egal. Von meinen erhofften 80 Kilo verabschiede ich mich. 70 Kilo wird mir aus der Rechnung niemand mehr nehmen (im dritten Versuch werden es 75). Beim Bankdrücken bin ich deutlich entspannter. 40 Kilo sind mir sicher. Im dritten Versuch wage ich mich an eine kleine Steigerung und scheitere daran knapp. Nicht überraschend, weil ich das Gewicht auch im Training noch nicht geschafft habe.

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Ähnlich verfahre ich beim Kreuzheben. Ich eröffne mit sehr realistischen 90 Kilo, gehe weiter auf 95 Kilo, die ich schon mehrfach beim Training geschafft habe. Kein Problem. Meine persönliche Bestleistung liegt bislang bei 97,5 Kilo. Aber jetzt spüre ich endlich, dass ich tatsächlich nichts verlieren kann und entscheide mich für 100. Sie sind überraschend leicht.

Etwas später bekomme ich mit meinem Gesamtergebnis von 215 Kilogramm meine Urkunde für den 14. und damit letzten Platz in meiner Gewichtsklasse – zum Vergleich: Die Beste erzielte 365. Manche könnten behaupten, ich habe verloren. Ich denke, das Gegenteil ist der Fall.