Haller Mitarbeiter des insolventen Modeherstellers Gerry Weber auf Jobsuche

Halle. In der Gerry-Weber-Zentrale hat das große Aufräumen begonnen. Die verbliebenen Beschäftigten sichten ihre Unterlagen und vernichten in der großen Presse auf der Rückseite des Gebäudes all jene Papiere, die sie nicht mehr brauchen. Über den Parkplatz laufen Menschen mit Blumen in der einen Hand und Kuchenboxen in der anderen. Einmal noch hupen, eine innige Umarmung, immer wieder Tränen - die Zeichen stehen auf Abschied. Eine, die mit dem Aus des einst international agierenden Haller Modeherstellers richtig zu kämpfen hat, ist Hildegard M. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, deshalb haben wir ihn verändert und auch abgekürzt. Aber erzählen möchte sie dennoch und sich für ihr Team einsetzen. Anfang 60 ist sie jetzt und hat vor etwa 30 Jahren hier angefangen. Damals hießen ihre Chefs noch Gerhard Weber und Udo Hardieck. Und eigentlich, so sagt sie, habe sie bis zuletzt fest daran geglaubt, dass auch diese Krise noch ein gutes Ende nimmt. Dass sich schon noch ein Investor findet, der das Unternehmen weiterführt. Und dass sie hier noch bis zum Eintritt in die Rente würde arbeiten können. &bdquo;Jetzt wissen wir, dass das alles nichts mehr wird.“ Die Frau, die bei dem Modehersteller in der Produktion eingesetzt war, lässt den Blick in die Runde schweifen. Dann sagt sie: &bdquo;Wir hatten viele sehr gute Jahre. Man identifiziert sich ja auch mit dem Unternehmen, der Zusammenhalt untereinander war immer sehr gut, das Betriebsklima super, das Kollegium top. Wir haben zusammen Feste gefeiert und zusammen geweint ....“ Dass all das jetzt vorbei sein soll, kann sie noch gar nicht wirklich realisieren. Und die anderen Angestellten ebenso wenig. Auch die Belegschaft aus den Gerry-Weber-Stores sucht neue Anstellungen Das Schwierigste in der aktuellen Situation seien die vielen unterschiedlichen Emotionen, die auf einen einprasselten, berichtet sie dann. &bdquo;Jedes Teil, das du hier in die Hand nimmst, hat seine eigene Geschichte. Und die ist mal fröhlich, mal traurig, mal mit Ärger verbunden. Und an all diese Geschichten denkst du gerade, während du hier aufräumst und ein Unternehmen verlässt, das du eigentlich gar nicht verlassen willst.“ Die Herausforderungen, die die Beschäftigten jetzt meistern müssen, könnten dabei unterschiedlicher nicht sein. So sind viele Angestellte von Gerry Weber mittlerweile schon so lange im Unternehmen, dass sie nach ihrem Eintritt dort nie wieder eine Bewerbung schreiben mussten. Aber jetzt, teils 30 Jahre später, ist genau das gefordert. &bdquo;Ich habe mich mal daran versucht“, berichtet Hildegard M. - &bdquo;aber dann hat eines meiner Kinder da drauf geschaut und nur mit dem Kopf geschüttelt. Und erklärt: Mama, so macht man das heute aber nicht mehr ...“ Zum Glück bekomme sie an dieser Stelle jetzt Hilfestellung. Aber alle hätten diese Möglichkeit eben nicht - und müssten zwischen Abschiedsschmerz und Zukunftsplanung jetzt schauen, wie sie auch solche Herausforderungen meistern könnten. Lesen Sie auch: Den Faden verloren: Aufstieg und Fall der Haller Modefirma Gerry Weber Mit Blick auf die gesamte Belegschaft, zu der Bekleidungstechniker, Schnitttechniker, Bekleidungstechnische Assistenten oder Kaufleute sowie Mitarbeitende im Personalwesen zählen, stellt sie klar: &bdquo;Alle miteinander sind das sehr gut ausgebildete Menschen, die ihre Jobs von der Pike auf gelernt haben.“ Und sie alle, auch die Ü-55-Jährigen, bräuchten jetzt eine neue Arbeitsstelle. &bdquo;Wir haben hier jede Veränderung, jeden digitalen Fortschritt mitgemacht - und deshalb wünsche ich uns so sehr, dass wir von den Unternehmen aus der Umgebung Angebote bekommen.“ Etwas leiser fügt sie hinzu: &bdquo;Wie sehr hat auch der Altkreis Halle von Gerry Weber profitiert ... Hat profitiert von all dem, was hier aufgebaut wurde ... Ich hoffe, das alte Networking funktioniert noch immer und wir bekommen allein aus Solidarität jetzt etwas davon zurück.“ Vielleicht sogar der gelernte Schneider aus der Bügelabteilung. &bdquo;Er hat auf so viel verzichtet und muss jetzt erneut gehen. Ich würde mich so freuen, wenn auch der Kollege noch etwas Neues finden würde.“ Alle Zeichen beim insolventen Modehändler Gerry Weber stehen auf Abschied Dieser Wunsch gelte übrigens nicht nur für die langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern ebenso für die Auszubildenden im Unternehmen. &bdquo;Wir haben drei Azubis im ersten Lehrjahr, sechs im zweiten und noch jemanden im dritten“, sagt Hildegard M. &bdquo;Sie lassen sich zu Industriekaufleuten beziehungsweise Industriekaufleuten im E-Commerce ausbilden, zu Kaufleuten im Einzelhandel, zu Kaufleuten im Bereich Marketing/Kommunikation.“ Und auch sie müssten dringend ein neues Unternehmen finden, um dort ihre Ausbildung zu Ende zu bringen, betont die Gerry-Weber-Mitarbeiterin. &bdquo;Tatsächlich kümmert sich unsere Personalabteilung bereits um den Nachwuchs; trotzdem können wir auch hier noch gut Hilfe von außen gebrauchen.“ Mehr zum Thema: Die Chronik zu den Krisenjahren bei Gerry WeberUnd dann ist sie geschafft. Das Gespräch hat sie aufgewühlt - aber es war ihr wichtig, noch ein letztes Mal für ihr Team einzustehen und die Werbetrommel zu rühren. Und die Wirtschaft da draußen auf das große Potenzial aufmerksam zu machen, das in dem Unternehmen Gerry Weber noch immer steckt und von dem alle auch in Zukunft profitieren könnten. Erst am nächsten Tag geht es für sie weiter - Papiere ordnen, weitere Bewerbungen schreiben, mit all den Emotionen klarkommen, die es gerade zu verarbeiten gilt. In der Hoffnung, dass auf den Abschied schnell ein neuer Anfang folgt. Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

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