Haller Betriebsratsvorsitzende von Gerry Weber: „Unser bitterster Moment“

Frau Meese, wann haben Sie davon erfahren, dass die Gerry-Weber-Firmenzentrale in Halle ab Juni abgewickelt werden soll? Kirstin Meese: Das war am Dienstagmorgen (6. Mai) um halb elf. Also erst eine halbe Stunde vor der Mitarbeiterversammlung im Design-Center, wo sich dann die gesamte Belegschaft mit den beiden Geschäftsführern Arnd Buchardt und Torsten Waack van Wasen getroffen hat. Das heißt, Sie konnten sich selbst beziehungsweise Ihr Umfeld im Vorhinein nicht auf den Schock vorbereiten? Nein, das konnte ich nicht. Der Termin war zwar schon am Nachmittag des Vortages eingestellt worden. Aber das musste ja nicht zwangsläufig bedeuten, dass dann das Aus verkündet wird. Anders sah es für die Teams in den Stores aus: Die wurden erst Dienstagnachmittag um 14 Uhr in einem Call davon in Kenntnis gesetzt, dass Halle geschlossen wird. Da hatten sie von einigen Kolleginnen und Kollegen natürlich schon Hinweise bekommen. Wie haben Sie reagiert, wie hat die Belegschaft reagiert? Der Augenblick war der bitterste in der ganzen Firmengeschichte. Natürlich musste man damit rechnen, dass es passiert. Aber ich habe immer noch gehofft, dass es jemanden gibt, der uns übernimmt. Irgendwie war es ja trotz aller Krisen am Ende doch noch immer gut gegangen. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Gerade bei denjenigen, die schon lange im Unternehmen sind, die noch unter Gerhard Weber und Udo Hardieck angefangen haben, flossen Tränen. Schließlich sind viele in einem Alter, da sie nicht mehr so einfach etwas finden, während Mieten oder Kredite weiterhin bezahlt werden müssen. Mitteilung zum Aus von Gerry Weber kam sehr nüchtern daher Wie ist diese Zusammenkunft dann abgelaufen? Alles in allem hat das keine halbe Stunde gedauert. Den rund 280 Anwesenden wurde ohne große Umschweife mitgeteilt, wie es um das Unternehmen bestellt ist. Dass es für den Haller Standort keine Zukunft mehr gibt. Und dass aktuell nur noch zwei Investoren im Rennen sind, die Interesse haben – aber definitiv nicht am Standort Halle agieren würden. Also keine Worte des Bedauerns? Nein, die Mitteilung kam schon sehr nüchtern daher. Viele in der Versammlung wirkten auch entsprechend verloren. Es hieß, wer Fragen habe, könne gerne auf die Geschäftsleitung zukommen. Dann war die Versammlung auch schon wieder vorbei. Lesen Sie auch: Emotionaler Abschied von einem ehemaligen Top-Konzern Nachdem, was uns Mitarbeitende berichtet haben und bereits durch die Gewerkschaftssekretärin der IG Metall kritisiert wurde, hieß es, dass man etwa 50 bis 60 Mitarbeitende brauche, um den Standort Halle ab Juni abzuwickeln. Kennen Sie diese Liste an Mitarbeitenden und war die mit Ihnen abgestimmt? Nein, das war weder mit mir abgestimmt, noch kenne ich diese Liste. Was wiederum schwierig war, dies meinen Kolleginnen und Kollegen zu vermitteln. Denn normalerweise ist das die übliche Vorgehensweise. Aber ich bekräftige hier gerne noch mal, dass weder ich als Betriebsratsvorsitzende noch die übrigen Mitglieder aus dem Gremium die entsprechenden Namen kennen. Das heißt, es folgen jetzt zeitnah entsprechende Gespräche – ebenso, wie sie von einem Sprecher des Unternehmens am Dienstagabend in Aussicht gestellt wurden? Darauf habe ich mich eingestellt – und zwar durchaus schon für die zurückliegende Woche. Aber bislang ist niemand aus der Geschäftsführung auf mich beziehungsweise uns zugekommen, und auch für die kommende Woche ist noch kein Gesprächstermin angesetzt. Mehr zum Thema: Die Chronik der Krisenjahre bei Gerry Weber Was unternehmen Sie nun in dieser Phase? Mein Telefon klingelt praktisch den ganzen Tag, alle paar Minuten erreichen mich Anliegen von Kolleginnen und Kollegen per Mail. Sie alle haben viele Fragen, ebenso gibt es viele Einzelschicksale, die es alle einzeln zu betrachten gilt: Kolleginnen, die sich gerade im Mutterschutz befinden. Beschäftigte mit einer Schwerbehinderung. Die Liste ist lang. Es wird daher höchste Zeit, gemeinsam einen Sozialplan zu erarbeiten. Erhalten Sie noch Beratung von außen? Ja, ich habe mit Vertretern der Bundesagentur für Arbeit Kontakt, die wollen im Mai zu uns kommen und uns beraten. Was ist mit den rund 15 Auszubildenden? Ist hier schon geklärt, wie es mit denen weitergeht? Darum müsste sich zunächst einmal die Personalabteilung kümmern. Tatsächlich stehen hier viele gerade kurz vor ihren Prüfungen – sie brauchen dringend eine Perspektive. Und wurde etwas zu dem Urlaubs- und Weihnachtsgeld gesagt, das die Mitarbeitenden dem Unternehmen gestundet haben und das zu großen Teilen noch nicht zurückgezahlt wurde? Nein, dazu wurde in der Versammlung nichts gesagt. Und wir gehen auch nicht davon aus, dass wir das noch bekommen. Aber ich sage Ihnen auch: Wir alle wissen, dass bereits zu Zeiten, da das Unternehmen noch in Familienhand war, unternehmerische Fehler gemacht wurden. Aber ich bin mir auch sicher, ein Gerhard Weber hätte in einer solchen Situation seine Freunde mit der entsprechenden finanziellen Ausstattung um Hilfe gebeten, damit das, was hier gerade geschieht, hätte verhindert werden können. Was wissen Sie abseits der noch ausstehenden Gespräche darüber, wie es hier in Halle die nächsten Wochen weitergeht? Wir müssen davon ausgehen, dass den Mitarbeitenden am 1. Juni die Kündigung ausgesprochen wird. Und wir dürfen nicht davon ausgehen, dass es mit einem möglichen neuen Investor für einen von uns an einem neuen Standort weitergeht. Es ist vorbei. Wir, die Betriebsräte, verlassen das sinkende Schiff dabei zuletzt, wie es sich gehört. Ich rechne damit, dass das Ende August, spätestens Anfang September, der Fall sein wird. Aber einen Plan, wie es danach weitergeht, habe auch ich noch nicht. Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

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