
Der Hitler-Gruß im Festzelt beim Versmolder Volksfest Sünne Peider beschäftigte uns schon einige Tage, als wir plötzlich eine E-Mail vom Anwalt im Redaktionspostfach hatten. Bei kritischen Berichterstattungen kommt so was schon mal vor, da wird uns gern unsaubere Recherche vorgeworfen – in den allermeisten Fällen hält unsere Arbeit dem ohne Einschränkungen stand.
Doch der Anwalt wollte uns diesmal gar nicht zu irgendeiner Unterlassung auffordern. Er gab lediglich bekannt, dass sein Mandant – der den Hitler-Gruß gezeigt hatte – sich selbst anzeige. Aber eben auch den Urheber des Videos, auf dem seine Tat zu sehen war.
Damit hat die Debatte um den Hitler-Gruß endgültig eine neue Ebene bekommen, die während der Diskussion in der Facebook-Gruppe, in der das Video hochgeladen worden war, schon angeklungen war. Darf man selbst in diesem Fall eigentlich einfach so ein Video ins Internet hochladen, auf dem Menschen klar identifizierbar sind und im Vordergrund stehen? Ohne die vorher zu fragen?
Warum wird das Hitler-Gruß-Video nicht direkt an die Polizei geschickt?
Mein Kollege Andre Schneider hat dazu schon recherchiert – und im Prinzip die wohl beliebteste juristische Antwort erhalten: Kommt drauf an. Denn natürlich werden mit der Veröffentlichung eines solchen Videos prinzipiell Persönlichkeitsrechte verletzt – aber womöglich ist das gerechtfertigt, wenn damit eine Straftat dokumentiert wird. In einem Verfahren muss also zwischen der Wahrung von Persönlichkeitsrechten und der Beweisführung abgewogen werden.
Entgleisung im Festzelt: Nach Hitler-Gruß in Versmold: Staatsschutz und Polizei ermitteln
Das ist – zum Glück – die juristische Aufgabe eines Rechtsstaates. Doch gibt es rund um diesen Vorfall auch einige moralische Fragen. Warum etwa wird ein solches Video einfach in einer Facebook-Gruppe hochgeladen? Wer das getan hat, wusste ja, welche Debatte er damit auslöst und welche strafrechtlichen Folgen das womöglich haben kann. In unserer Gesellschaft sollte der erste Reflex sein, so ein Video an die Polizei zu schicken. Oder ging es am Ende nur darum, einen Skandal und etwas Aufmerksamkeit zu produzieren?
Letzteres wäre auch bedenklich. Würde solch ein Vorgehen doch eine Haltung nach dem Motto dokumentieren: Mensch, der war halt besoffen und hat aus Spaß mal den Hitlergruß gemacht. Liefen doch auch gerade die „Böhsen Onkelz“. Waren die früher nicht auch mal rechts?
Nazi-Gesten sind eben nicht nur satirische Entgleisungen
Bilder von – meist besoffenen – Typen, die feixend den Arm recken und sich mehr schlecht als recht an einer Hitler-Imitation versuchen, gibt es zuhauf. Die Briten haben sogar ein gesamtes Humorsegment auf Hitler-Parodien gegründet. Also alles kein Problem? Ist zwar verfassungsfeindlich, aber wenn wir im Partyzelt unter uns sind ... Da gilt derjenige, der das Video dreht und teilt, dann schnell als Nestbeschmutzer.
Hinter einem solchen Denken steckt eine mehr als gefährliche Tendenz. Das hat vor Kurzem schon unser Gastautor Andre Wolf in seinem Beitrag beschrieben. Hier mal ’nen Hitler-Gruß, da mal ein Begriff aus der Nazi-Terminologie – je häufiger solche Grenzüberschreitungen passieren, desto mehr werden sie zur Normalität. Dieses Prinzip führt uns US-Präsident Donald Trump mit seinen täglich produzierten Skandalen gerade meisterhaft vor.
Neue Entwicklung im Skandal: Täter erstattet jetzt auch Anzeige
Der Hitler-Gruß ist immer ein Straftatbestand, immer verfassungsfeindlich, immer ekelerregend. Und wer auf eine kleine „satirische Entgleisung“ plädieren möchte, der vergisst erst recht, in welchen Zeiten wir uns befinden: Rechte Straftaten nehmen zu, rechte Tendenzen gewinnen in unserer Gesellschaft aktuell an Zugkraft. Umso entschlossener müssen wir unsere Demokratie verteidigen. Wer da noch den Arm reckt, der gehört erst recht bestraft.
Rechtsstaat nimmt beide Seiten der Medaille in den Blick
Das Tolle an unserem Rechtsstaat ist aber, dass er sich eben immer auch die andere Seite der Medaille anschaut. Videos mit identifizierbaren Personen einfach mal so ins Netz zu stellen, ist mit Blick auf Persönlichkeitsrechte einfach nur fahrlässig. Auf diese Straftat hätte der User auch anders aufmerksam machen können. Mindestens diesen Hinweis dürfte auch er bekommen.
Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK