Halle/Bielefeld. Der Mord an Nelli Graf im Oktober 2011 hatte für großes Entsetzen gesorgt - nicht nur in Halle. Auch 13 Jahre später fehlt von dem oder den Tätern nach wie vor jede Spur, das schreckliche Verbrechen an der 46-jährigen Mutter dreier Kinder bleibt rätselhaft.
Über die Jahre haben wir vom „Haller Kreisblatt“ immer wieder aufs Neue recherchiert und zahlreiche Artikel dazu verfasst, Fernsehteams waren vor Ort und haben Interviews mit der HK-Redaktion geführt. Im November 2022 wurde der erste Podcast in der True-Crime-Serie der NW-Mediengruppe, „Ostwestfälle“, aufgenommen, zuletzt ein weiterer für „Licht ins Dunkel – Cold Cases und ungeklärte Vermisstenfälle“. Nun folgt am 19. November im Spiegelzelt im Ravensberger Park in Bielefeld eine weitere Premiere: Der Podcast „Ostwestfälle“ wird erstmals live und mit Publikum aufgezeichnet.
„Die Aufregung ist groß, denn vor Publikum haben wir die wahren Fälle aus OWL noch nie erzählt. Ich freue mich, dass das Interesse an unserem Podcast so groß ist – denn dieser Podcast ist wirklich etwas ganz Besonderes”, sagt Gastgeberin und Moderatorin Birgitt Gottwald. Sie wird die Gäste auf der Bühne begrüßen und mit ihnen über aktuelle und historische Kriminalfälle aus der Region sprechen.
Podcast „Ostwestfälle“ erstmals live und vor Publikum
Mit dabei sind Johannes Glaw und Strafverteidiger Carsten Ernst, beide haben bereits im „Ostwestfälle“-Podcast erzählt und berichtet. Johannes Glaw, Stadtarchäologe, Historiker und Autor in Gütersloh, nimmt das Publikum im Spiegelzelt mit auf eine Zeitreise ins 18. Jahrhundert. Er berichtet von Räuberbanden, die einst die Straßen unsicher machten, und kennt spannende Hintergründe zu historischen Fällen in OWL. Carsten Ernst vertritt Mörder, Sexualstraftäter und andere Delinquenten. Als Strafverteidiger redet er über den Fall eines zweifachen Mörders in Bielefeld, der sogar dauerhaft vor der Allgemeinheit geschützt werden sollte. Schließlich ist noch Nicole Donath, Redaktionsleiterin des „Haller Kreisblatts“, zu Gast.

Während die Journalistin über Hintergründe in der Berichterstattung bei Mordfällen spricht und einen Blick auf die ungelösten Verbrechen im Verbreitungsgebiet des HK wirft, wird es auch um Nelli Graf gehen. Um die Ehefrau und Mutter, die am 14. Oktober 2011 aus ihrem Zuhause in einer Siedlung in Halle verschwand - und vier Monate später im Haller Ortsteil Kölkebeck tot aufgefunden wurde. Ihre Leiche grausam zugerichtet: Augen und Mund mit Panzerband verklebt, die Hände mit Kabelbindern gefesselt, der Oberkörper mit zahlreichen Stichverletzungen übersät. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, er hatte der Frau nach deren Tod auch noch die Kehle durchtrennt.
Die Mordkommission „Ahorn“ unter Leitung des mittlerweile pensionierten Kriminalhauptkommissars Ralf Östermann hatte seinerzeit alles unternommen, um den Fall aufzuklären - am Ende leider ohne Erfolg. Dennoch gibt es wieder neue Hoffnung, denn der Fall Nelli Graf steht als Cold Case auf der Liste der Ermittler und wird aktuell noch einmal neu aufgerollt.
Mordfall Nelli Graf einer von 40 Cold Cases
Knapp 40 Kapitalverbrechen in ganz Ostwestfalen-Lippe sind es insgesamt. Hierbei handelt es sich um Verbrechen, die sich zwischen 1973 und 2011 ereignet haben und bis heute ungelöst sind. Das Polizeipräsidium Bielefeld hatte im vergangenen Jahr eine Sondereinheit eingerichtet, um die Schicksale der Opfer zu klären. Aktuell nimmt sich das Team, bestehend aus Mordermittlern des Kriminalkommissariats 11, reaktivierten, pensionierten Beamten sowie Kriminalpolizisten, die von den Kreispolizeibehörden Minden-Lübbecke, Herford, Gütersloh, Lippe und Paderborn abgeordnet wurden, unter der Leitung von Markus Mertens den Fall Nelli Graf vor.
Auf der Leiche der 46-Jährigen wurden damals zwei DNA-Spuren gesichert; molekulargenetische Untersuchungen des Leichnams durch das Landeskriminalamt brachten den Durchbruch: Die Experten konnten auf den sterblichen Überresten eine männliche DNA-Spur sichern. Diese Spur war so gut, dass sie für Identifizierungszwecke geeignet ist. An der Abrisskante des Panzerbandes, das um den Kopf gewickelt war, fanden die Mediziner außerdem Fragmente einer weiblichen DNA-Spur. Sie reichte zwar nicht für eine eindeutige Identifizierung, weil hierzu keine biostatischen Angaben gemacht werden konnten. Immerhin war sie aber für den Ausschluss einer Person geeignet. Mit diesen Spuren wähnten sich die Ermittler nahe am Ziel – doch die Ernüchterung folgte sogleich.

Es gab niemanden im Umfeld des Opfers, dem diese Spuren zuzuordnen waren. Selbst ein Abgleich mit der DNA-Analysedatei verlief negativ. Die Hoffnungen ruhten nun auf einem Massen-Gentest unter den männlichen Einwohnern von Halle; in drei Durchgängen wurden von mehr als 6.500 Männern aus Halle im Alter zwischen 18 und 60 Jahren Speichelproben genommen. Das Ergebnis: negativ.
Die Cold-Case-Ermittler könnten sich jetzt noch einmal auf all diejenigen Männer konzentrieren, die damals die Abgabe einer Speichelprobe verweigert hatten – das waren etwa 20. Oder die gefundene DNA auftypisieren: Früher gaben kriminalistische DNA-Tests beispielsweise keinen Aufschluss über die Haarfarbe eines unbekannten Täters, nur ein bestimmter Typ von Rothaarigen verriet sich durch seine Gene. Längst haben Forscher sogenannte Gen-Marker entdeckt, mit deren Hilfe sie auch die anderen Farbabstufungen der Kopfhaare allein aus der DNA ersehen können, wie das Fachmagazin „Human Genetics“ berichtet.
Hinweisgeber gehen nach zehn Jahren straffrei aus
Überdies hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, dass dieses Verfahren hierfür angewendet werden darf, während Angaben zu möglichen Krankheiten oder zur Herkunft von Vorfahren weiterhin gesetzlich verboten sind. Und noch ein Aspekt hält die Hoffnung aufrecht, dass der oder die Täter noch gefasst werden: Während Mord nie verjährt, gehen Hinweisgeber nach zehn Jahren straffrei ?aus.
Die Familie von Nelli Graf wurde durch das Team von Markus Mertens in der ersten Juli-Woche über die neuerlichen Ermittlungen informiert und dass sie damit rechnen muss, dass auch in den Medien darüber berichtet werden könnte.
Letzte Tickets für das Event im Ravensberger Park können in den Geschäftsstellen der „Neuen Westfälischen“, unter Tel. 0521 555444 oder online unter nw.de/events ab 19,95 Euro erworben werden.