Gebrüder Grimm zu Gast in Haller Dorf: Historische Promis bei Hörster Taufe

Halle. Der folgende Text könnte von einem Wolf handeln, der eine Oma verputzt. Oder von weinenden Zwergen, die an einem Glassarg stehen. Oder aber von zwei Kindern, die im dunklen Wald an einer Lebkuchenimmobilie knabbern. Das sind doch alles Märchen, werden Sie jetzt sagen, und die haben in einer Zeitung nichts zu suchen. Dort hält man sich schließlich an Tatsachen. Manchmal aber treffen Fiktion und Fakten durch Zufall und mit 177 Jahren Verspätung aufeinander und dann entsteht ein Artikel wie dieser. Bei seinen Recherchen zum früheren Hörster Pfarrer Theodor Friedrich Schrader (1790 bis 1877) hat Martin Wiegand vom Team des Museums Haller Zeiträume in den vergangenen Monaten einige Dokumente durchgeblättert. Als er in ein altes Hörster Kirchenbuch schaut, stößt er völlig überrascht gleich zwei Mal auf den Nachnamen Grimm. Ja, die Rede ist von den berühmten Brüdern Jacob (geboren 1785) und Wilhelm (geboren 1786) Grimm. Sie sind die wohl weltweit bekanntesten Märchensammler aller Zeiten. Die Märchen trugen sie ab 1806 zunächst von ihrem damaligen Wohnort Kassel aus zusammen, wo sie aufgrund besserer Bildungschancen bei ihrer Tante lebten. Über 200 Geschichten haben die Brüder gesammelt, sprachlich angepasst und veröffentlicht. Bereits im Jahr 1812 erschien die erste Auflage des bis heute beliebten Märchenbuchs. Babys locken die Grimms nach Hörste Ihre Namen in einer Hörster Kichenchronik wecken das Interesse des Hobby-Historikers. Martin Wiegand lässt seine Recherche zu Pfarrer Schrader ruhen und beginnt in Sachen Grimm nachzuforschen. Er findet einen Brief vom 3. Juni 1847, in dem Pfarrer Schrader dem ihm gut bekannten Jacob Grimm mitteilt, dass &bdquo;ihm heute ein Söhnchen geboren wurde, dem ich Sie als Gevatter wünsche“. Früher oder später ist wohl jedes Kind in den vergangenen gut 200 Jahren in Kontakt mit der Märchensammlung der beiden in Hanau bei Frankfurt geborenen Jacob und Wilhelm Grimm gekommen. Warum also sollte Schrader Junior nicht schon kurz nach der Geburt einen der Grimm-Brüder als Taufpaten bekommen? &bdquo;Im Kirchenbuch zur Taufe am 29. Juli 1847 steht der Eintrag ’Professor Jacob Grimm aus Berlin’“, sagt Wiegand. Da es als selbstverständlich galt, dass man als Taufpate bei der Feier selbst mit dabei war, ist mit größter Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Grimm tatsächlich an jenem Tag in Hörste war. Der Kontakt zwischen den Familien Schrader und Grimm war wohl schon Anfang der 1840er-Jahre in Berlin entstanden. Dort arbeiteten die Brüder Jacob und Wilhelm an ihrem größten Werk, einem Wörterbuch. Hierbei half ihnen als einer der vielen Mitarbeiter Pastor Schrader aus Hörste. Das Buch wurde allerdings erst 1961 und somit rund 100 Jahre nach dem Tod der beiden Brüder abgeschlossen. Eine Reise von Berlin nach Hörste war damals beschwerlich, schließlich musste man auf Pferd und Kutsche zurückgreifen. Da man damals pro Tag nur rund 70 Kilometer zurücklegen konnte, dürfte der bekannte Sprach- und Literaturwissenschaftler Jacob Grimm eine Woche unterwegs gewesen sein. &bdquo;Möglicherweise hat er die Fahrt mit anderen Zielen verknüpft“, schätzt Wiegand. Nachweislich war er kurze Zeit später vom 27. bis zum 30. September beim Germanistentag in Lübeck, den er selbst leitete. Dabei wurden vor 170 Wissenschaftlern Vorträge über die nationale Bedeutung der Hanse, die deutsche Ostkolonisation und über die Erneuerung der deutschen Gerichtsverfassung gehalten. Grimms Ehefrau nimmt die Einladung an Die Wahl von Jacob Grimm als Taufpate brachte Wilhelm Schrader leider kein Glück. Der Junge starb bereits wenige Wochen nach seinem zweiten Geburtstag. Ein Jahr später wurde Pfarrer Friedrich Schrader, mittlerweile selbst schon 59 Jahre alt, erneut Vater. Seine Tochter Wilhelmine Dorothee, genannt Minna, Schrader, die später in Bielefeld lebte und eine regional bekannte Schriftstellerin war, sollte am 30. Juli getauft werden und erneut kreuzten sich die Wege der Familien Schrader und Grimm. Im Kirchenbuch ist diesmal als Taufpatin Henriette Dorothea Grimm eingetragen, &bdquo;Gemahlin des Professors Wilhelm Grimm aus Berlin“. Ob ihr Mann sie begleitet hat, ist leider nicht überliefert. Möglicherweise sind also beide Grimm-Brüder mal in Hörste gewesen. Nachweisen lässt es sich aber nicht, es wäre wohl vielmehr das Happy End für ein kleines Haller Märchen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

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