Der Wochenkommentar

Gerry Weber: Das stille Leiden des einstigen Weltkonzerns aus Halle

In den vergangenen Jahren hat beim Modehersteller eine Sanierungsrunde die andere gejagt. Somit sollte der erneute Abbau von 50 Arbeitsstellen nicht weiter verwundern. Doch etwas ist diesmal anders.

Die Firmenzentrale der Gerry Weber International GmbH an der Haller Neulehenstraße. | © Nicole Donath

Marc Uthmann
04.05.2024 | 07.05.2024, 20:33

Bislang gab es immer klare Signale von Gerry Weber. Die Mechanismen der Dauerkrise mit zwei Insolvenzverfahren hatten sich in den vergangenen Jahren eingeschliffen. Das Unternehmen - bis zuletzt börsennotiert - verkündete einen Einschnitt und erläuterte zumindest die Strategie, die damit verbunden war.

Wenn Arbeitsplätze wegfielen, dann zumindest offiziell verkündet, um einen zu schnell gewachsenen Konzern wieder schlanker und wettbewerbsfähiger zu machen. Um Doppelfunktionen in der Verwaltung abzubauen, um das Filialnetz zu straffen. Sanierung, Restrukturierung, Neustart, das war der vertraute Dreiklang.

Den letzten Kahlschlag hatte noch Managerin Angelika Schindler-Obenhaus zu kommunizieren: Schließung von 120 Filialen, Abbau von 500 Arbeitsplätzen konzernweit allein im vergangenen Jahr. Dazu der Rückzug von der Börse. Doch nachdem die CEO den Kurs gesetzt und den neuerlichen schmerzhaften Einschnitt als Neustart verkauft hatte, wurde sie plötzlich vorzeitig abberufen. Das konnte Beobachter bereits irritieren. Ging es hier etwa gar nicht mehr um Aufbruch und ein neues Konzept, sondern waren jetzt kompromisslose Rechner gefragt, die das Überleben durch Sparen sichern sollten?

Wohl nicht mal mehr 400 Mitarbeitende in Halle

Die folgenden Entwicklungen, die seit dem Jahreswechsel bekannt wurden, legen das nahe: Verkauf des Stammsitzes an der Neulehenstraße, Verkleinerung der Geschäftsführung auf noch zwei Manager ohne den langjährigen Sanierer Florian Frank - all das sind deutliche Signale, dass der einstige Konzern dringend Liquidität braucht. Und dabei nicht immer selbstbestimmt agieren kann, sondern von den Mehrheitseignern - drei Finanzinvestoren - klare Vorgaben bekommt.

Und nun werden noch einmal mehr als 50 Stellen abgebaut - keine Spur mehr vom schlanken Neustart nach erfolgreicher Restrukturierung. Im Gegenteil, es bleibt still ein stilles Leiden an der Neulehenstraße. Mit dem Wegfall der Börsennotierung hat das Unternehmen, das mittlerweile die Dimensionen eines normalen Mittelständlers angenommen hat, auch die zuvor verpflichtenden Erklärungen seines Agierens eingestellt. Wohl nicht einmal mehr 400 Mitarbeitende sind am Stammsitz für den Modehersteller beschäftigt, einst waren es rund 1.200.

Personell geht es bei Gerry Weber also weiter bergab - und das, obwohl die kriselnde Textilbranche aktuell zumindest ein wenig aufatmet. Steigende Preise, Rohstoffmangel, Lieferketten, die nicht mehr funktionieren, hatten die Hersteller in den vergangenen Jahren schwer unter Druck gesetzt. Doch nun scheine es eine Trendwende zu geben, sagte der Präsident des Deutschen Modeverbands GermanFashion, Gerd Oliver Seidensticker, jüngst dem „WDR“. Im vergangenen Jahr hätten sich einige ungünstige Entwicklungen wieder beruhigt. Die Umsätze in der Branche seien um 10,8 Prozent gestiegen, die Zahl der Beschäftigten wuchs laut „WDR“-Bericht um knapp vier Prozent. Auch bei den Exporten legten die Modehändler zuletzt wieder deutlich zu.

Personalabbau bei Gerry Weber mitten in besserer Phase der Branche

Von all diesen positiven Tendenzen konnte Gerry Weber zumindest mit Blick auf die eigene Belegschaft nicht profitieren. Und klar ist: Die Zeiten bleiben trotz des kurzen Aufatmens schwierig, viele Unternehmen in der Branche beurteilen die Perspektiven skeptisch. Die Haller konnten sich offenbar selbst in den vergangenen Monaten der Entspannung kein Polster aufbauen, sondern waren im Gegenteil zu Personalabbau gezwungen - das sagt vieles über die Situation aus.

Viele Mitarbeitende haben derweil über Jahre Verzicht geübt und Geduld bewiesen. In der Hoffnung, damit ihren Beitrag zum Überleben des Unternehmens beizutragen. Und in enger Verbundenheit zu einem Betrieb, der einst ein Haller Aushängeschild war, ein Stolz der Stadt. Wenn jetzt auch zahlreiche dieser treuen Kräfte entlassen werden, dann könnte das auch bei den verbliebenen Beschäftigten die Bindung zu Gerry Weber bröckeln lassen.

Zumal es wohl keine ausgeklügelte Strategie ist, die den Verantwortlichen aktuell das Handeln diktiert, sondern vielmehr die nackte Not.