Zehn Jahre nach dem Mord an Nelli Graf: Warum es nun erneut Hoffnung gibt

Halle. Viktor Graf wohnt noch immer am Ahornweg. Fotos stehen in allen Zimmern. Eines zeigt ihn und seine Frau Nelli mit den drei Kindern an Weihnachten 2010, es ist das letzte gemeinsame Bild der Familie. Die Möbel hat der 57-Jährige in weiten Teilen ausgetauscht und auch alles umgestellt. &bdquo;Irgendwie musst du ja weiterleben", sagt der Witwer. &bdquo;Ein paar äußerliche Veränderungen helfen dabei." &bdquo;Je älter ich werde, umso mehr vermisse ich sie" Sein jüngster Sohn Jens lebt noch bei ihm im Haus. 14 war er und ging noch zur Schule, als seine Mutter Opfer eines Kapitalverbrechens wurde. Jetzt ist er erwachsen, Handwerker und hat berufliche Pläne. Die beiden älteren Kinder, Waldemar und Natali, sind längst ausgezogen und haben eigene Familien. Sie sind selbst Eltern von jeweils zwei Kindern. Viktor Graf ist heute vierfacher Großvater und stolz auf die Kleinen. Unbeschwert ist es dennoch nicht. &bdquo;Je älter ich werde, umso mehr vermisse ich sie ...", sagt Waldemar Graf. &bdquo;Andere können ihre Kinder zur Oma bringen. Das werden wir nie." Zehn Jahre war es am 14. Oktober her, dass Nelli Graf verschwand. Als ihr jüngster Sohn und die beiden erwachsenen Kinder am späten Mittag nach Hause kamen, war die Tür nicht verschlossen, in der Spüle lag Fleisch zum Auftauen – nur von der Mutter fehlte jede Spur. Offenbar war sie mit dem Fahrrad unterwegs, denn das stand nicht an seinem Platz. Indes, Schlüsselbund, Portemonnaie und Handy hatte sie nicht mitgenommen, all das lag auf dem Tisch. &bdquo;Irgendwann bekam ich einen Anruf von ihrem Arbeitgeber. Meine Frau war nicht zu ihrer Schicht erschienen", erzählt Viktor Graf. Einen kurzen Augenblick, sagt er, hätte man gedacht, sie hätte den Dienstbeginn vielleicht vergessen. &bdquo;Aber das hätte nicht zu ihr gepasst." Und auch nicht zu den Umständen. Lesen Sie auch: Spurensuche im Altkreis: Wer ist der Mörder von Nelli Graf? | HK+ Noch am selben Nachmittag starteten ihre Familie und die Freunde eine Suchaktion. &bdquo;Wir sind überall rumgefahren", erinnert sich Waldemar Graf. &bdquo;Bei Storck haben wir die ganzen Fahrradständer durchgeguckt, wir haben alles versucht, waren gefühlt überall." Ohne Erfolg. Sie suchten weiter, das ganze Wochenende über unermüdlich, hängten am Sonntag Plakate auf mit einem Bild. Der Titel: &bdquo;Mama vermisst!!!". &bdquo;Wir haben weiter gesucht und gesucht und gesucht" Noch am selben Tag fanden Pilzsammler dann das Fahrrad von Nelli Graf in einem Wäldchen an der Hachhowe. &bdquo;Was sie dort gemacht hat, warum sie dorthin gefahren ist, welchen Weg sie tatsächlich genommen hat – wir wissen es einfach nicht", sagt Waldemar Graf. Des Montags wurde dann erstmals eine Hundertschaft hinzugezogen. Die Polizisten durchkämmten die Wälder, untersuchten in den nächsten Tagen die umliegenden Gewässer, während Kriminalbeamte Befragungen im Umfeld der Vermissten anstellten. Alles Maßnahmen, die durch die Sonderkommission &bdquo;Ahorn" unter Leitung von Kriminalhauptkommissar Ralf Östermann koordiniert wurden. Hinweise, die auf die Spur von Nelli Graf führten, gab es dennoch keine. Die Hoffnung, sie dennoch lebend zu finden, gaben die Grafs nicht auf. &bdquo;Wir haben weiter gesucht und gesucht und gesucht. Bis zu jenem Tag im Februar 2012", erinnert sich Waldemar Graf. Als am 9. Februar in dem Wäldchen in Kölkebeck eine Leiche gefunden wurde, kam eine Polizistin zum Haus am Ahornweg und berichtete davon. &bdquo;An dem Nachmittag gab es ja noch keine Bestätigung", erinnert sich Viktor Graf, &bdquo;aber natürlich stand es zu befürchten ..." &bdquo;Wir wären bereit, eine Belohnung zu zahlen" Aus der Befürchtung wurde traurige Gewissheit. Das Suchen hatte ein Ende und die Hoffnung auch. Unter der Anteilnahme vieler hundert Menschen fand in der St. Johanniskirche in der darauf folgenden Woche die Trauerfeier für Nelli Graf statt. Nach der Beisetzung mischten sich in die Tränen wieder Phasen des Grübelns. Bis heute hat das nicht ganz aufgehört. Lesen Sie auch: Kriminalhauptkommissar Ralf Östermann: &bdquo;Der Fall Graf war immer wieder Thema" &bdquo;Wie oft haben wir hier am Tisch gesessen und überlegt, wer das getan haben könnte. Und warum", erzählt Viktor Graf. &bdquo;Am Anfang haben wir auch zumindest in Gedanken immer mal wieder jemanden verdächtigt", erinnert sich Waldemar Graf an diese Zeit, &bdquo;wir waren misstrauisch, haben jede Geste, jede Mimik in unserem Umfeld gedeutet ..." 2013, als auch die Hallerin Gabriele Obst erst verschwunden war und dann erschossen aufgefunden wurde, dachte man zunächst an einen Zusammenhang, vielleicht sogar an einen Serienmörder. &bdquo;Aber das war ja dann doch nicht der Fall", sagt Viktor Graf. Und blickt wieder auf den Mordfall in seiner Familie: Trotz der DNA-Spuren, die an dem Leichnam gefunden wurden, konnte der Täter bis jetzt nicht ermittelt werden. So intensiv wie am Anfang grübeln die Grafs heute nicht mehr. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass sie zusammen am Tisch sitzen und über die Tat sprechen. Und traurig sind, zutiefst verletzt. Gerade an den Jahrestagen gehen sie dann zum Friedhof und besuchen das Grab der Ehefrau und Mutter unterhalb der Friedhofskapelle. Und hoffen weiter, dass sich doch noch Zeugen finden, die zur Aufklärung der Tat beitragen können. &bdquo;Wir wären bereit, eine Belohnung zu zahlen", erklärt Viktor Graf. &bdquo;Ja, würden wir den entscheidenden Hinweis bekommen, wer diese Tat begangen hat – wir würden das finanziell honorieren." Mord verjährt nicht, aber Beihilfe ... Warum sie auch nach zehn Jahren nicht die Hoffnung aufgegeben haben, dafür gebe es einen juristischen Grund, sagt Viktor Graf. &bdquo;Mord verjährt nicht, das ist ja bekannt", erklärt der Witwer, der nach wie vor in seinem Beruf als Busfahrer arbeitet. &bdquo;Trotzdem läuft die Zeit für unsere Familie. Denn Hinweisgeber und Personen, die in irgendeiner Form Beihilfe zu der Tat geleistet hatten, müssen nach so vielen Jahren wohl nicht mehr mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen." Auch der Haller Rechtsanwalt Moritz Diekmeyer, der die Familie seit der Tat begleitet, hofft, dass sie zumindest Gewissheit bekommt, wer für den Tod von Nelli Graf verantwortlich ist. Dass auch nach vielen Jahren noch entscheidende Hinweise kommen können, zeigten ja auch Sendungen wie &bdquo;Aktenzeichen XY... ungelöst". Vielleicht, so Diekmeyer, möchte ja jemand sein Gewissen erleichtern. &bdquo;Ich wünsche es den Hinterbliebenen." Lesen Sie auch: Cold Case Nelli Graf: Ermittler jagen den Täter weiter

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