LokalsportDiese Netflix-Serie löst plötzlich einen unerwarteten Hype aus

„Das Damengambit“ feiert weltweit Quotenrekorde und schafft es in 63 Ländern auf Platz eins der Streaming-Charts. Auf einmal spielen viel mehr Leute Schach. Aber bleibt der Trend?

Dennis Bleck

Der Höhepunkt der Netflix-Serie ist Beth Harmons Partie gegen Weltmeister Vasily Borgov. - © Netflix/Phil Bray
Der Höhepunkt der Netflix-Serie ist Beth Harmons Partie gegen Weltmeister Vasily Borgov. © Netflix/Phil Bray

Halle. Beth Harmon kämpft gegen Vorurteile. Die Hauptprotagonistin der Netflix-Serie „Das Damengambit" ist intelligent. Und mutig und smart. Aufgewachsen in einem Waisenhaus hat sie sich in den 1960er-Jahren in den Kopf gesetzt, in einer von Männer dominierten Welt als Schachspielerin erfolgreich zu sein. Und schafft dies auch: Zug um Zug, Folge für Folge durchbricht sie die männliche Vorherrschaft und schlägt das andere Geschlecht. Die Serie ist ein Beispiel für Emanzipation. Ein Quotengigant, von dem Schach nachweislich profitiert.

Schachbretter ausverkauft

„Das Damengambit" schaffte es in 63 Ländern auf Platz eins der Streaming-Charts. Schach, ein Sport der jahrzehntelang höchstens ein Nischendasein fristete, ist plötzlich total angesagt. Weil in Pandemie-Zeiten außerdem viele Online-Schach für sich entdeckt haben, wächst die Fangemeinde plötzlich stetig an: Wie die Süddeutsche berichtet, haben sich die Neuregistrierungen auf Plattformen wie „chess.com" in den vergangenen Monaten verfünffacht. Weltweit luden mehr Menschen Schach-Apps herunter als je zuvor. Bretter und Fachliteratur waren in den Geschäften zeitweise vergriffen. Das „Spiel der Könige" boomt, ausgelöst durch eine siebenteilige Serie im Netz und einen Virus, der die Welt weitgehend lahmlegt.

Freude in der Region

Eine Entwicklung, die Markus Schirmbeck erfreut zur Kenntnis nimmt. Der Erste Vorsitzende der SK Halle hat die Netflix-Serie auch gesehen. Sie für gut befunden. Er spricht den Machern ein Kompliment aus. „Man merkt, dass sie sich tief in die Thematik eingearbeitet haben", sagt er. Die ganze Produktion sei sehr hochwertig. Und schließlich sei „Werbung für Schach immer gut. Gerade, weil viele junge Erwachsene Netflix schauen", betont er. Doch noch zögert Schirmbeck darin einen nachhaltigen Erfolg zu erkennen.

Profitieren die Vereine?

Wegen der Corona-Krise gibt es den Schach-Boom derzeit nämlich nur im Internet. Eintrittsgesuche in den SK Halle hat der Vereinsvorsitzende trotz der erfolgreichen Serie und der Vielzahl an Neu-Spielern im Netz noch nicht registriert. „Das liegt aber daran, dass wir während der Pandemie als Verein keinen Mehrwert bieten können", erklärt er: „Sobald wieder ein regulärer Vereinsabend möglich ist, sind wir zuversichtlich, dass die Leute, die durch die Serie Schach für sich entdeckt haben und im Internet spielen, den Weg in unseren Verein finden."

Ein Gewinner der Krise?

Auch der Deutsche Schachbund mit seinen rund 2.400 Vereinen und 89.000 Mitgliedern freut sich über das gestiegene Interesse. Wie Schirmbeck auch, hofft dessen Präsident Ullrich Krause, „dass nach Corona viele Menschen den Schachclubs beitreten". Ist der Sport also ein Gewinner der Krise? „So pauschal lässt sich das nicht sagen", meint Schirmbeck. Turnierschach und Wettbewerbe fallen seit fast einem Jahr aus. „Für viele bedeutet das eine völlige Pause", sagt er: „Aber die vielen Online-Angebote werden dafür umso häufiger genutzt. Das bietet neue Formate und Möglichkeiten."

 

Markus Schirmbeck ist Vorsitzender des SK Halle. Und Fan der Serie. - © Ekkehard Hufendiek
Markus Schirmbeck ist Vorsitzender des SK Halle. Und Fan der Serie. (© Ekkehard Hufendiek)
Dauerhafter Erfolg?

Schirmbeck plädiert dafür, auch nach der Corona-Krise das Digitale mit dem Analogen zu verbinden. Dann könnten der Sport und auch die Verein dauerhaft von dem Boom, den er gerade vor allem im Internet erfährt, profitieren. Die Verbände mit ihren teils „verkrusteten Strukturen" und sämtliche Vereine nimmt er hierbei in die Pflicht: „Wenn diese sich an die Möglichkeiten des Internets ausreichend anpassen, bleibt Schach auch über Corona hinaus attraktiv. Passiert dies nicht, wird das Interesse verebben", ist er sich sicher. Der SK Halle sei bereits auf einem guten Weg, versichert Schirmbeck: „Wir verstehen die rasante Entwicklung des virtuellen Schachs als Chance und versuchen sie bereits dort zu nutzen, wo es Sinn ergibt."

Von Männern dominiert

In Sachen Online-Schach ist der SK Halle also innovativ unterwegs. Die Lösung für ein strukturelles Problem hat aber auch er noch nicht gefunden. So erfolgreich Beth Harmon in „Das Damengambit" auch ist – wirklich realistisch ist ihr Aufstieg nicht. Weder in den 1960er-Jahren noch heute. Nur wenige Spitzenspieler im Schach sind weiblich. Einzig die Ungarin Judit Polgár schaffte es mal unter die besten zehn der Welt. Die Zahl an Frauen im Clubs wächst zwar kontinuierlich, aber auf überschaubaren Niveau. Nur knapp jedes zehnte Vereinsmitglied ist weiblich. Im SK Halle gibt es genau eins: Die siebenjährige Tochter von Markus Schirmbeck.

Kaum Frauen – warum?

„Ich kann mich auch nicht erinnern, dass wir jemals mehr als vier weibliche Mitglieder hatten", sagt Schirmbeck. Das geringe Interesse von Mädchen oder Frauen am Schach liege nicht in der Biologie, eher an gesellschaftlichen Faktoren wie fehlenden Vorbildern und Rollenklischees: „Dort wo es gezielte Mädchenförderung gibt, spielen viele mit großer Begeisterung und auch sehr erfolgreich Schach", sagt Schirmbeck. Auch der SK Halle will in Zukunft noch mehr Energien in die Gewinnung von weiblichen Mitgliedern investieren. „Das ist mir ein persönliches Anliegen", sagt der Erste Vorsitzende.

Über das Ferienspielangebot käme der Verein bereits an beide Geschlechter ran. Man müsse die Mädchen nur nachhaltig davon überzeugen, weiter Schach zu spielen. „Zum Beispiel durch das Angebot einer speziellen Mädchentrainingsgruppe", schlägt Schirmbeck vor.

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