Borgholzhausen. In der Historie des Familienunternehmens ist Ulrich Welpinghus der Erste, der sich an den Pickert wagte. Die ersten Tipps und Rezepte, so sagt der bekannte Borgholzhausener Bäcker- und Konditormeister, habe er sich bei seiner Tante Gerda Welpinghus in Wichlinghausen geholt. Mitte der 1980er-Jahre war das, und Ulrich Welpinghus begründete eine Tradition, die bis heute anhält. Im Geschäft an der Kaiserstraße gibt es seitdem zur Saison Pickert. Die dauert bei der westfälisch-lippischen Speise ungefähr von September bis zu der Zeit, da das erste Weihnachtsgebäck auf den Tisch kommt.
Wie genießt man ihn am besten? „Zu Kaffee und Kuchen“, sagt der Fachmann - und in vielen Varianten. Der Kastenpickert etwa erinnert an einen Brotlaib. Pfannenpickert und Lappenpickert sind flachere Sorten und zum schnellen Verzehr gedacht. Süß oder herzhaft darf das Gericht sein. Mit Rosinen oder auch ohne. Ursprünglich wurde der Pickert direkt auf der Herdplatte gebacken, woher wohl auch der Name rührt. „Weil er dort häufiger festpeckte“, erklärt Ulrich Welpinghus. Auf dem Historischen Markt in Bad Essen kann man diese Zubereitungsart noch heute sehen.
„Das Arme-Leute-Essen von einst ist der Pickert nicht mehr“, so Welpinghus. Das war die Speise früher einmal. Die Zubereitung geht ins 19. Jahrhundert zurück. Pickert diente als sehr nahrhafte Sättigungsmahlzeit für die bäuerliche Gesellschaft. Und als eine, die einfach herzustellen war, denn die Zutaten waren im Normalfall auf dem Hof griffbereit: Kartoffeln, Eier, Milch, Salz, Hefe und Mehl.
Borgholzhausener Bäckermeister rät beim Pickert zu Geduld und Präzision
Wer von der schnellen Sorte ist, sollte von der Spezialität allerdings die Finger lassen. „Das Wichtigste bei der Herstellung sind Geduld und Präzision“, sagt Ulrich Welpinghus und betont die beiden Worte noch einmal genau. Die Eigenschaften sind auch deshalb wichtig, weil es beim Pickert einen Vorteig und einen Hauptteig gibt. Der Vorteig wird lediglich von Hand glatt gerührt und muss bei 27 bis 30 Grad Celsius rund eine Stunde stehen. „Die Hefe fühlt sich bei 28 Grad sehr wohl“, erklärt Welpinghus, Experte in Sachen Feinschmeckerei. Ist es viel wärmer, stirbt sie ab. Ist es kälter, kommt das Triebmittel nur schwer in Gang.
Auch beim Hauptteig sind weiterhin Geduld und Präzision gefragt. Die geschälten rohen Kartoffeln - am besten mehlig festkochend - etwa müssen fein gerieben werden und danach in einem Küchentuch sehr stark ausgedrückt werden, damit sie viel Flüssigkeit verlieren. Die Kartoffelstärke im ausgepressten Wasser wird später wieder in den Teig gegeben, weil sie beim Backen sehr gut Flüssigkeit bindet. Zu kalt sollte der Teig nicht sein, Zimmertemperatur gilt als ideal.
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Die Rosinen werden vor dem Zugeben zum Teig in Mehl gewälzt, damit sie nicht so leicht auf denn Boden sinken. Wer es nussig mag, kann bis zu 30 Prozent des Weizenmehls gegen Buchweizenmehl austauschen. Der Teig wird beim Kastenpickert anschließend in eine Kastenform gegeben und an einem warmen Ort so lange abgestellt - wieder ist also Geduld gefragt -, bis sich das Volumen verdoppelt hat. Temperatur und Backzeit bestimmen das Ofenmodell. „Der Pickert darf aber nicht zu heiß gebacken werden, weil der Teig eine hohe Feuchtigkeit enthält, die gebunden werden muss“, erklärt Ulrich Welpinghus.
Den Liebhabern von Pickert stehen alle Türen offen
Dann gibt der Fachmann Anschauungsunterricht. In der Küche von Beate und Ulrich Welpinghus steht ein Kastenpickert bereit. Der Gastgeber schneidet zwei Scheiben ab, lässt Butter in einer Pfanne zerlaufen und brät die Seiten jeweils kurz an. Der Gast darf kosten, wobei Zuckerrübensirup als Geschmacksverstärker dazukommt. Marmelade oder Honig sind aber selbstverständlich auch erlaubt. Die herzhafte Variante überzeugt mit extra Butter, grober Leberwurst oder Schnippelschinken. „Es stehen dafür alle Türen offen“, sagt Ulrich Welpinghus.
Und was bevorzugt er selbst? Ulrich Welpinghus nimmt die Hände hoch und lächelt verschwörerisch. „Soll ich ehrlich sein?“, fragt er. „Ich mag Pickert gar nicht so sehr.“ Dafür mag seine Frau Beate die Spezialität umso mehr. Und das in allen Variationen.
Karte oder Cash? Borgholzhausener Bäckerei entfacht Diskussion
Nachdem die erste Überraschung über die Antwort verflogen ist, nimmt der Gast noch ein Rezept für Kastenpickert mit nach Hause. In den Vorteig kommen 150 Gramm Weizenmehl, 100 Gramm Vollei, 40 Gramm frische Hefe und 25 Gramm Zucker. Der Hauptteig gelingt mit einem Kilogramm geriebener, geschälter Kartoffeln, 200 Gramm Vollei, 30 Gramm Salz, 40 Gramm Zucker, 600 Gramm Weizenmehl und 250 Gramm Rosinen. Mal schauen, ob der Pickert gelingt.
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