Zwei Frauen in Borgholzhausen geben verzweifelten Menschen eine Perspektive

Borgholzhausen. Eine Migrationssozialberatung ist nicht immer erbaulich. Traumatisierte Menschen stehen bei Cristina Wedeking und Nora Wendt am Hamlingdorfer Weg im Büro. Menschen, die nicht arbeiten dürfen und trotzdem ihren Tag im Übergangswohnheim irgendwie strukturieren müssen. Menschen, die gar nicht oder kaum Deutsch sprechen und sich mit deutscher Bürokratie herumschlagen müssen - während sie Flucht und Vertreibung verzweifeln lassen und sie ganz andere Sorgen haben. Seit dem Mai ist Cristina Wedeking bei der Migrationssozialberatung der Arbeiterwohlfahrt zusammen mit Nora Wendt für diese Menschen zuständig. Wer den beiden Frauen im Gespräch zuhört, erfährt einerseits, wie komplex, mühselig und detailbehaftet ihre Arbeit ist. Gleichzeitig bekommen Besucher einen Eindruck davon, was Wendt und Wedeking besonders wichtig ist: die Erfolge. Wedeking berichtet von einem jungen Mann aus Syrien, der gleich im Mai zu Anfang ihre Tätigkeit zu ihr kam. Er hat subsidiären Schutz in Deutschland. Bedeutet: Der Mann ist weder im Asylverfahren noch genießt er Flüchtlingsschutz. In seinem Herkunftsland aber droht ihm erhebliche Gefahr, weshalb er in Deutschland befristet bleiben darf. Glücklicher Mann mit der Arbeitserlaubnis in der Hand &bdquo;Er hat gleich einen Termin im Jobcenter beantragt, einen Sprachkurs und sich sehr um seine Integration bemüht.“ Damit ist der Mann aus Sicht der Beraterin ein gutes Gegenbeispiel. &bdquo;Menschen aus Syrien etwa sind zuletzt ja medial eher negativ in den Fokus geraten“, sagt Cristina Wedeking. Noch so ein Paradebeispiel: Ein Mann ohne Aufenthaltstitel klagte über psychische Probleme und sagte: &bdquo;Ich glaube, ich brauche eine Therapie.“ Sein Wunsch, Arbeit zu finden, erfüllte sich. &bdquo;Er kam zu mir ins Büro mit der Arbeitserlaubnis in der Hand und sagte: Das hast du geschafft.“ Wedekings Antwort: &bdquo;Nein, das hast Du geschafft.“ Ihre Kollegin und sie sind sich einig: Es geht in ihrem Beruf darum, Menschen emotional aufzufangen, zuzuhören und Perspektiven aufzuzeigen. Kurz: &bdquo;Ihnen die Selbstkontrolle über ihr Leben zurückzugeben“, sagt Nora Wendt. &bdquo;Gerade bei jungen Menschen beraten wir in Richtung Ausbildung und sagen: ,Nutzt die Zeit, in der ihr nichts machen könnt, für den Spracherwerb’“, ergänzt sie. Der beschwerliche Weg per ÖPNV nach Gütersloh Hürden gibt es auf dem Weg zur Selbstkontrolle dennoch genügend. Menschen mit Aufenthaltstitel könnten sich zum Beispiel eine eigene Wohnung suchen. &bdquo;In kleinen Städten wie Borgholzhausen ist es aber schwierig, etwas zu finden“, sagt Wendt. Zudem seien viele Geflüchtete auf den ÖPNV angewiesen. Eine Fahrt zur Ausländerbehörde in Gütersloh aber dauere bei vier Umstiegen 75 Minuten. Für eine Familie mit Kleinkindern, in der zudem nicht deutsch gesprochen werde, sei das kaum zu bewältigen. Ein weiteres Problem: die Zimmerbelegung in den Übergangsheimen. Es werde zwar schon geguckt, wer zu wem passe. Aber Lebensrhythmen seien eben unterschiedlich. Der eine schlafe schon, wenn um 23 Uhr noch einmal das Licht angeht. Konflikte seien da programmiert. Niederschwelliges und freiwilliges Angebot Wie umfangreich die Arbeit der beiden Frauen ist, belegen die Zahlen, die sie präsentieren. Im Jahr 2023 hat Nora Wendt laut offizieller Statistik 72 Personen beraten. Bei 330 Beratungsterminen wurden 580 Themen besprochen. Wahrscheinlich sind die Zahlen noch größer. &bdquo;Tür-und Angel-Gespräche“ werden nicht gezählt, dokumentiert werden zudem höchstens drei Themen pro Sitzung. Bei Christina Wedeking, die erst seit einem halben Jahr am Hamlingdorfer Weg tätig ist, sind es seitdem ebenfalls 72 Personen. &bdquo;Wir werden wohl zwischen 130 und 150 Menschen in diesem Jahr beraten“, sagt Nora Wendt. Es dürften künftig noch mehr werden. Das freiwillige, zudem niederschwellige Angebot, spreche sich herum. Die Aufteilung der beiden Arbeitsschwerpunkte ergibt sich aus unterschiedlichen Finanzierungsquellen - einem Topf des Bundes und einem des Landes. So ist Nora Wendt hauptsächlich für die regionale Beratung von Flüchtlingen zuständig: Das ist ein Beratungsangebot des Landes NRW, das sich an &bdquo;Geflüchtete ohne gesicherten Aufenthaltsstatus mit Wohnsitz in einer nordrhein-westfälischen Kommune“ richtet, wie es im Amtsdeutsch heißt. Vertrauensverhältnis wird nicht unterbrochen Den Hauptanteil von Wedekings Stelle stellt die MBE-Beratung dar, welche ein Angebot des Bundes ist: Die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte richtet sich in erster Linie an Personen mit gesichertem Aufenthaltsstatus. Dies können auch Geflüchtete sein, die zum Beispiel die Anerkennung als Flüchtling oder einen anderen Aufenthaltstitel bekommen haben. &bdquo;Im Arbeitsalltag trennen wir beiden nicht so scharf“, sagt Cristina Wedeking mit Blick auf die zwei Stellen. Auch könne sich der Aufenthaltsstatus eines Menschen ja ändern. &bdquo;Und wenn sich gerade ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat, wechseln wir nicht unbedingt die Betreuerin“, erklärt Nora Wendt. Die Angebote stünden im Grunde allen Menschen zur Verfügung, die Bedarf haben. Das liege auch daran, dass beide Stellen einen kommunalen Finanzierungsanteil haben: Die beiden Frauen sind unabhängig von Landes- oder Bundesmitteln für die Sozialberatung aller Menschen mit Migrationshintergrund in Borgholzhausen zuständig. Enger Austausch mit der Verwaltung Menschen aus Südosteuropa etwa stellen eine Unterkategorie der MBE dar. &bdquo;Das ist in Borgholzhausen eine große Gruppe“,sagt Cristina Wedeking. Menschen aus Bulgarien, Rumänien und Polen kommen nach Pium, um hier Arbeit vor allem in der Logistikindustrie zu finden. Für die aus Rumänien stammende Cristina Wedeking sind ihre Sprachkenntnisse hier von Vorteil. &bdquo;Wir schätzen hier in Pium sehr das Wohlwollen der Verwaltung und auch bei Firmen“, sagt Wedeking. &bdquo;Wir arbeiten etwa eng mit der Wohngeldstelle zusammen“, sagt Nora Wendt. Da wiederum sei ein Vorteil in einer kleinen Stadt wie Borgholzhausen, in der man die Leute kenne. Über die Stadt laufe für die Menschen auch der Erstkontakt mit der AWO-Migrationssozialberatung. Danach kämen die Leute auf freiwilliger Basis wieder - und der steinige, manchmal aber sehr erfolgreiche Weg zu mehr Selbstkontrolle beginnt.

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