Betreuung in der Dauerkrise: AWO-Kitas aus Borgholzhausen reduzieren Tage

Borgholzhausen. Sebastian Henning weiß nicht mehr weiter. In den vergangenen Wochen und Monaten hat er immer wieder auf seine Situation und die an der AWO-Kita Flohkiste aufmerksam gemacht. Hat Mails verfasst an einen riesigen Verteilerkreis: AWO, Kreis, Landesjugendamt, Stadt. Der Ton war mal bittend, dann zunehmend bestimmter. Zuletzt waren die Schreiben versehen mit zeitlichen Fristen, innerhalb derer der Familienvater rechtliche Schritte prüfen wollte. Derweil spitzt sich das Problem immer weiter zu - die jüngste Nachricht vom Dienstag (31. Oktober) war für den 36-Jährigen ein Schock. Denn da teilte die Arbeiterwohlfahrt als Trägerin der Kita Flohkiste mit, dass sie ab dem 13. November die Betreuungszeiten für die Kinder von fünf auf vier Tage in der Woche reduzieren will. Es ist die vorläufige Krönung einer sich seit Monaten verschärfenden Krise - die AWO hat bei der Betreuung in ihren Kindertagesstätten massive Personalprobleme - eine Lösung ist nicht in Sicht. Das "Haller Kreisblatt" ist aufgrund seines großen Engagements beim Protest und des imposanten Mailverteilers auf Sebastian Henning aufmerksam geworden und hat ihn kontaktiert. "Die Frustlinie ist erreicht", sagt der Familienvater und schildert, wie er die vergangenen Monate erlebt hat. Immer wieder bekam er da Elternbriefe von der Einrichtung, in denen der Wechsel auf eine Notbetreuung oder deren Verlängerung angekündigt wurde. Kurzes Glück für das berufstätige Paar "Eigentlich sind die Öffnungszeiten schon seit Oktober 2022 durchgängig von 16.30 auf 15 Uhr reduziert", berichtet Henning. Zudem werden in der Notbetreuung nur je 20 Kinder in drei Gruppen betreut, theoretisch wäre Platz für 72 Mädchen und Jungen. Henning und seine Freundin haben ihre Arbeitszeiten auch auf die Betreuung des Sohnes ausgerichtet. Sie arbeiten im entgegengesetzten Schichtdienst als Einzelhandelskaufleute in einem Osnabrücker Baumarkt. "Als wir die Information der Kita-Leitung bekommen haben, dass über eine Zeitarbeitsfirma zwei Fachkräfte eingestellt werden konnten und der Normalbetrieb so gewährleistet sei, konnte meine Freundin in Vollzeit wechseln", so Henning. Doch das kurze Glück währte nur von August bis Anfang dieser Woche. Am 26. Oktober kündigte die Kita den erneuten Notbetrieb an. "Mit so wenigen Tagen Vorlauf - wie sollen wir das organisieren?", fragt der Vater mehr rhetorisch. "Meine Freundin konnte mit unserem Arbeitgeber für zwei Wochen eine Lösung finden und darf früher gehen - baut aber natürlich Minusstunden auf." Bei ihm selbst gebe es indes kein Verständnis des Chefs. "Ich solle mir eine Tagesmutter organisieren, hieß es - aber welche Tagesmutter betreut täglich für eineinhalb Stunden?" Zwischendurch springe nun auch die Mutter eines anderen Kindes ein, "aber das ist doch kein Dauerzustand". Sebastian Henning fragt: "Das Problem ist akut, warum handelt niemand?" Er hatte angeregt, dass sich Eltern in der vakanten Zeit selbst ehrenamtlich engagieren könnten. Das sei laut AWO jedoch nicht durch die Nutzungsvereinbarung der Einrichtung mit der Stadt gedeckt. Und bei der Borgholzhausener Verwaltung erfuhr der Vater, dass auch die Stadt aus haftungsrechtlichen Gründen keine Räume für eine solche Betreuung zur Verfügung stellen könne. Generell ist eine Betreuung von Kindern ohne die Anwesenheit von Fachkräften nicht umsetzbar. Schon seit Monaten massive Probleme bei der AWO Der Ball liegt also wieder bei der AWO - doch die hat schon seit Monaten massive Probleme. Das geht auch aus den diversen Elterninfos hervor. So leidet die Kita Flohkiste seit geraumer Zeit unter krankheitsbedingten Ausfällen, Auszeiten von Mitarbeitenden und auch Kündigungen, die Verantwortlichen diagnostizieren einen "massiven Fachkräftemangel". Allein Anfang 2023 waren demnach 214 Stellen bei der AWO OWL in allen Bereichen ausgeschrieben und nicht besetzt. 28 Kräfte im Vertretungspool waren für 103 Kitas zuständig - Zahlen, die eine schwere Krise dokumentieren. Die Insolvenz der AWO OWL dürfte diesen Trend noch verschärft haben. Die Berichte von Kündigungen von Erziehenden, die dann zu anderen Trägern wechseln, häufen sich. Die AWO bestätigt auf Anfrage des "Haller Kreisblatts", dass die Lage aktuell prekär sei. "Wir haben Stellen ausgeschrieben, aber es ist angesichts des Fachkräftemangels schwierig, sie zu besetzen. Insgesamt gibt es im Kreis Gütersloh einen Mangel an Fachkräften bei wachsender Bevölkerungszahl und damit verbunden hoher Nachfrage nach Kita-Plätzen. Durch Urlaub und Krankmeldungen kommt es zu weiteren Engpässen. Zeitweise haben wir diese Situation mit Leihkräften überbrückt, aber das war dauerhaft nicht zu finanzieren", teilt Sprecher Jens Sommerkamp mit. Und nun weiß die Arbeiterwohlfahrt keinen anderen Ausweg, als die nächsten Einschnitte umzusetzen. Und zwar nicht nur für die Flohkiste, sondern auch für die AWO-Kita am Berghauser Weg, die theoretisch Platz für 73 Kinder bietet: "Da sich die Personalsituation in den nächsten Wochen noch nicht entspannen wird, werden wir ab dem 13. November die Kinderbetreuung in beiden Borgholzhausener AWO-Kitas auf eine Vier-Tage-Woche umstellen. Das heißt, jedes Kind kann an vier Tagen die Einrichtung besuchen, die Einrichtung selbst bleibt an fünf Tagen geöffnet", teilt Jens Sommerkamp mit. Durch diese Maßnahme stehe wieder so viel Personal in den dann kleineren Gruppen zur Verfügung, dass die "Mindestpersonalanforderungen" erreicht würden. Die Eltern wurden am Dienstag schriftlich darüber informiert und sollen Wunschtage angeben. "Personalsituation lässt keine andere Wahl" "Uns ist bewusst, dass die Einschränkung für viele Eltern eine Herausforderung darstellt, aber die aktuelle Personalsituation lässt uns leider keine Wahl", so der Sprecher weiter. Dass die Verschärfung der Personalkrise mit der Insolvenz in Eigenverwaltung der AWO OWL direkt zusammenhängt, mag er - noch - nicht bestätigen: "Auch bevor die AWO OWL das Eigenverwaltungsverfahren beantragt hat, war die Personalsituation in den beiden Kitas in Borgholzhausen angespannt." Ob es generell vermehrt Kündigungen von Fachkräften im Zusammenhang mit der Insolvenz in Eigenverwaltung gebe, könne man momentan noch nicht sagen. "Dafür ist es zu früh, und nicht immer erfahren wir sofort von den Gründen, die hinter einem Wechsel des Arbeitsplatzes stehen." Sebastian Henning ist mit seinem Frust übrigens bei weitem nicht allein. Das HK erreichte auch eine Zuschrift von Charlene Welpinghus, Mutter einer vierjährigen Tochter, welche die Flohkiste besucht: "Die AWO hat lange proklamiert, dass das Kind bei ihr im Mittelpunkt stehe, doch in der Realität versucht die AWO als Träger, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Es wurde über viele Jahre problematisch gewirtschaftet, und die Konsequenzen für die Fehler und Versäumnisse verschiedener leitender Mitarbeitender bei der AWO tragen nun vor allem die Kinder, aber auch die Erzieher/innen und schließlich die Eltern." Letztere standen laut Welpinghus "seit nun fast einem Jahr regelmäßig im Austausch" mit der AWO, dem Kreis und dem Jugendamt. "Langfristig finanzierbare Lösungsansätze wurden nie ausgearbeitet oder zumindest nicht publik gemacht." Für Sebastian Henning steht die Bewertung der jüngsten Nachricht indes fest: "Statt besser wird es nur schlimmer." Am 2. November soll es ein Gespräch von Kitaleitung, Stadt, Elternvertretern und Politik geben - vielleicht gibt es dort ja Ansätze für den Weg aus der Misere. Gute Nachrichten täten nicht nur Sebastian Henning gut.

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