Jung, ohne Ausbildung, arbeitslos: Drei Menschen aus OWL erzählen ihre Geschichte

Minden/Gütersloh. Zu oft habe ihm morgens die Kraft gefehlt, um aufzustehen, erzählt Lukas (alle Namen von der Redaktion geändert). Mit 18 Jahren, damals in der elften Klasse, flog er schließlich wegen zu vieler Fehltage von der Schule. Heute ist Lukas 20 Jahre alt, eine Ausbildung oder einen Job hat er nicht. Obwohl er die Schule mit einer mittleren Reife verlassen hat, ist ihm der Sprung in die Arbeitswelt nicht gelungen. Lukas ist damit einer von rund 600.000 jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren in Deutschland, die aus unterschiedlichsten Gründen weder arbeiten noch zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen. Diese Gruppe ist vor allem coronabedingt in den vergangenen Jahren gewachsen, wie eine Studie der Gütersloher Bertelsmann-Stiftung zeigt. Auf der einen Seite zählen junge Menschen dazu, die zwar erwerbsfähig sind, aber aufgrund einer Auszeit (&bdquo;Gap year“) oder wegen Orientierungslosigkeit gar nicht arbeitssuchend sind, oder Erwerbsfähige, die nach Schule, Ausbildung oder Studium bei der Jobsuche bisher nicht erfolgreich waren. Die größte Herausforderung stellen jene dar, die in Vollzeit einen Angehörigen pflegen müssen oder aufgrund von Krankheit nicht erwerbsfähig sind. Dutzende erfolglose Bewerbungen Auch Lukas gehört zu dieser Gruppe. &bdquo;Mein Vater war davon überzeugt, dass ich faul war, aber meine Mutter hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte“, erzählt der 20-Jährige. Nach unzähligen Arztbesuchen, Therapiesitzungen und einem Klinikaufenthalt weiß Lukas heute, dass er an einer Autoimmunerkrankung leidet. Trotzdem möchte er den Sprung in den Arbeitsalltag schaffen und hat sich arbeitssuchend gemeldet, als Dutzende Bewerbungen erfolglos blieben. Über die Arbeitsagentur hat er einen Platz in der &bdquo;Aktivierungsmaßnahme“ &bdquo;Aktivierungshilfe für Jüngere“ des Vereins Fach-Werk-Minden e. V. bekommen, der sich für junge Menschen in der Berufsorientierung engagiert. Sozialpädagogin Stephanie Jungwirth ist eine der drei pädagogischen Fachkräfte, die dort zusammen mit fünf Anleitern für die Fachpraxis in verschiedenen Handwerken arbeitet. Sie betreuen aktuell 23 junge Menschen, die von der Arbeitsagentur und dem Jobcenter zugewiesen wurden. Werktags bieten sie ein Programm mit handwerklichen Kursen, Gruppenarbeiten, gemeinsamen Mittagessen und Berufsschule. Teilnehmer lernen Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und einen Tagesablauf &bdquo;Jeder Teilnehmer ist individuell zu betrachten, aber für die meisten beginnt es damit, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und einen Tagesablauf zu lernen“, sagt Jungwirth über die Aktivierungshilfe, die für sechs Monate angedacht ist. Danach gibt es eine Option zur Verlängerung auf maximal ein Jahr. Obwohl auch Jugendliche unter den Teilnehmenden sind, die die Arbeit eher verweigern, seien mehrheitlich psychische Belastungen, Erkrankungen oder familiäre Probleme der Hintergrund. &bdquo;Außerdem ist das Thema Mobbing in den letzten Jahren sehr groß geworden“, berichtet Jungwirth. So ist auch Paul beim Fach-Werk-Minden gelandet. Nach einem Schulpraktikum entschied sich der heute 23-Jährige für eine Ausbildung zum Abwassertechniker, erlebte dort Mobbing durch seine Kollegen. &bdquo;Als erste Lösung habe ich an einer anderen Kläranlage weitergearbeitet. Weil es aber auch da nicht besser wurde, bin ich nicht jeden Tag zur Arbeit gegangen“, erzählt er. Noch vor dem Ende der Probezeit erhielt Paul die fristlose Kündigung und meldete sich beim Jobcenter. Verein ermöglicht Ausbildungen in Kooperation Über die Aktivierungshilfe beim Fach-Werk-Minden hat Paul, der zuletzt in einer Einrichtung für Wohnungslose untergekommen war, ein Zimmer in einer WG gefunden und eine Therapie gemacht. &bdquo;Heute weiß ich, dass es Depressionen waren, und rückblickend hätte ich in der einen oder anderen Situation auch anders reagieren können“, sagt Paul, der im kommenden Jahr über eine Kooperation des Vereins eine Tischler-Ausbildung beginnt. Oft sind es diese Kontakte von Fach-Werk-Minden, von denen die Teilnehmenden am meisten profitieren. &bdquo;Wir können Termine mit dem sozialpsychologischen Dienst, einem Schuldenberater, einer Klinik oder ähnlichen vermitteln und vereinbaren“, sagt Kathrin Hahn, die als diplomierte Heilpädagogin beim Fach-Werk-Minden arbeitet. Ein Erfolg der Maßnahme, die als Leistung von Arbeitsagentur und Jobcenter eingekauft und über Steuergelder finanziert wird, ist es für sie darum schon, wenn ein Therapieplatz vermittelt werden konnte oder sich die Einstellung des Menschen zum Leben ändert. .responsive23-bxPUpQzuP0YoXo1U-bar-horizontal-berufsorientierung-viele { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-bxPUpQzuP0YoXo1U-bar-horizontal-berufsorientierung-viele { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-bxPUpQzuP0YoXo1U-bar-horizontal-berufsorientierung-viele { padding-top: 142.86%; } } Wegen Mobbing und Gewalt ohne Schulabschluss Unbedingt einen Job finden möchte auch die 23-jährige Anna. Sie verließ die Schule wegen Mobbing und körperlicher Gewalt ohne Schulabschluss. &bdquo;Ich habe den Abschluss dann nachgeholt und wollte Sozialassistentin werden“, erzählt sie. &bdquo;Ich habe es aber nicht durchgezogen, das hab ich selber verbockt“, gibt Anna zu. Danach nahm sie erst einen Job in der Reinigung an und wollte dann in der Altenpflege als Pflegehilfskraft etwas Neues ausprobieren. &bdquo;Dort war ich den Aufgaben aber nicht gewachsen und habe Hilfe beim Arbeitsamt gesucht.“ Nach der Kündigung bekam sie zunächst Arbeitslosengeld, dann Krankengeld nach einem Klinikaufenthalt wegen eines Todesfalls in der Familie und der Mobbingerfahrung, bis sie schließlich beim Jobcenter landete. Über das Fach-Werk-Minden macht sie derzeit ein Praktikum als Hauswirtschafterin in einem Altenheim, beschreibt jedoch, dass es ihr wegen psychischer Probleme schwerfällt, im Arbeitsalltag stark zu bleiben. Viel Freizeit ohne Geld Gut findet die Situation als Arbeitsloser keiner der drei. Für Anna ist es der ungeregelte Tagesablauf, für Lukas die viele Freizeit, mit der er ohne finanzielle Mittel nichts anfangen kann. Für das kommende Ausbildungsjahr hat er wieder zahlreiche Bewerbungen als Fachinformatiker geschrieben. &bdquo;Damit mehr Menschen aus dieser Situation in einen Job finden, würde es auch helfen, wenn Unternehmen eine ehrliche Feedback-Kultur entwickeln würden, damit die abgelehnten Bewerber auch wüssten, woran es gelegen hat“, ergänzt Jungwirth. Doch um die Gruppe Betroffener langfristig kleinzuhalten, muss den Studien-Autoren der Bertelsmann-Stiftung zufolge schon im Schulsystem eine Gefährdung frühzeitig erkannt werden. Zusätzlich brauche es eine bessere praxisnahe Berufsorientierung und eine engere Zusammenarbeit zwischen den Schulen und Arbeitsagenturen, damit niemand nach der Schule durchs Raster fällt und in die Situation gerät, jung, ohne Ausbildung und arbeitslos zu sein.

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