Täter von Magdeburg war lange bekannt – haben die Behörden versagt?

Magdeburg. Nach der Todesfahrt auf einem Magdeburger Weihnachtsmarkt verdichten sich die Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Täters. Das berichtete die Deutsche-Presseagentur am Montag unter Berufung auf Sicherheitskreise. Der aus Saudi-Arabien stammende Taleb A. hatte am Freitagabend fünf Menschen getötet und etwa 200 weitere verletzt. Der 50-Jährige war Sicherheitsbehörden des Bundes und mehrerer Bundesländer schon seit Jahren bekannt. Schon am 6. Februar 2015 hatten Vertreter des Landes Mecklenburg-Vorpommern das Bundeskriminalamt im von Bund und Ländern getragenen Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum über mögliche Anschlagspläne von Taleb A. informiert, wie das Innenministerium des Bundeslandes mitteilte. 2013 hatte Taleb A., der damals in Mecklenburg-Vorpommern wohnte, demnach Drohungen gegenüber der Landesärztekammer geäußert, im Jahr 2014 dann auch gegen eine Kommunalbehörde in Stralsund. Taleb A. wurde deshalb vom Amtsgericht Rostock wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten zu 90 Tagessätzen verurteilt. Die Polizei durchsuchte seine Wohnung und führte eine sogenannte Gefährderansprache durch. Hinweise auf tatsächliche Anschlagspläne fand sie jedoch nicht, wie Landesinnenminister Christian Pegel (SPD) erklärte. Zweifel an Fachkompetenz als Arzt Trotz der Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden und der Verurteilung im Jahr 2013 erhielt Taleb A. im Jahr 2016 Asyl als politisch Verfolgter. Er hatte angegeben, wegen seiner Abkehr vom Islam drohe ihm in Saudi-Arabien der Tod. Im Jahr 2020 trat A. eine psychiatrische Facharztstelle im Maßregelvollzug in Bernburg, etwa 50 Kilometer von Magdeburg entfernt, an. Er arbeitete dort mit suchtkranken Straftätern. Die &bdquo;Mitteldeutsche Zeitung“ berichtete nun von Misstrauen aus der Belegschaft und Zweifeln an der Fachkompetenz des Arztes. &bdquo;Er heißt bei uns Dr. Google“, zitiert die Zeitung einen Mitarbeiter. Vor jeder gestellten Diagnose habe er im Internet nachschauen müssen. Es habe auch Hinweise an die Klinikleitung gegeben. Der Präsident des thüringischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Stephan Kramer, beklagte einen Mangel an Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. &bdquo;Es bleibt aufzuklären, wer, wann, was gewusst und gegebenenfalls nicht weitergegeben oder selbst nicht angemessen gehandelt hat. Darüber zu spekulieren, ob der Anschlag hätte verhindert werden können, verbietet sich schon deshalb, weil man später immer alles besser weiß“, sagte er dieser Redaktion. Kramer fügte hinzu: &bdquo;Grundsätzlich kann man aber sagen, dass der Informationsaustausch zwischen Behörden – egal ob auf Ebene des Bundes oder der Länder und untereinander – an vielen Stellen verbesserungsbedürftig ist.“ &bdquo;Kein islamistisch motivierter Anschlag“ &bdquo;Die Motive des Täters müssen erst weiter aufgeklärt werden, deshalb sind Schlussfolgerungen mit aller Vorsicht zu ziehen“, sagte Kramer weiter. &bdquo;Bei dem, was jetzt bereits öffentlich bekannt und belastbar ist, kann man aber sicher sagen, dass es kein islamistisch motivierter Anschlag war. Selbst wenn sich eine psychische Störung herausstellen sollte, lässt sich an den Beiträgen des mutmaßlichen Täters im Internet eine gewachsene Radikalisierung mit Extremismusbezügen nach rechts in den letzten Jahren feststellen.“ Einige Ex-Muslime, islamkritische und islamfeindliche Aktivisten verbreiten unterdessen jedoch die Behauptung, Taleb A. sei kein ex-muslimischer Atheist mit Sympathien für Rechte und Rechtsextreme gewesen, sondern insgeheim ein Islamist, der seine Religiosität bloß aus taktischen Gründen versteckt und verleugnet habe. Ein englischsprachiges Video der deutsch-iranischen Aktivistin Maral Salmassi wurde auf X mehr als 34 Millionen mal angezeigt und über 38.000-mal geteilt – unter anderem von Elon Musk. Darin behauptet sie, Taleb A.s Identität als radikaler Schiit sei offenkundig, und er habe &bdquo;Taqqiya“ betrieben, ein islamisches Konzept, das es Muslimen erlaube, über ihren Glauben zu lügen. Verschwörungstheorie in rechten Kreisen Diese Erzählung sei &bdquo;eine reine Verschwörungstheorie“, sagte der Islamismusexperte Eren Güvercin dieser Redaktion. &bdquo;Im schiitischen Islam wird unter Taqqiya verstanden, seine religiöse Identität zu verheimlichen und die religiöse Praxis abzulegen, wenn das notwendig ist, um das eigene Leben zu schützen“, erklärte er. &bdquo;Das gilt in Ausnahmesituationen, in bedrohlichen Lagen. Das hat aber nichts mit dem zu tun, was manche dem Attentäter von Magdeburg nun vorwerfen: Sich als angeblicher Islamist als Atheist und Ex-Muslim auszugeben, um dann einen islamistischen Anschlag zu begehen.“ Die Erzählung von Taleb A. als vermeintlichem Islamisten zirkuliert auch in rechten und rechtsextremen Kreisen sehr rege. Als Beleg dafür wird unter anderem ein Ausschnitt aus einem Video verbreitet, das die Festnahme des Täters direkt nach der Todesfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt zeigt. Darin sei angeblich zu hören, dass Taleb A. die Worte &bdquo;Allahu Akbar“ (arabisch für &bdquo;Gott ist groß“) ruft. Tatsächlich ist an der besagten Stelle jedoch zu hören, wie offenbar unbeteiligte Passanten &bdquo;ein Terrorist“ rufen und den Täter als &bdquo;Hurensohn“ beschimpfen.

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