Neue EU-Kommission gewählt: Das sind von der Leyens größte Baustellen

Bis zur letzten Minute blieb es spannend, wie knapp die Abstimmung der neuen EU-Kommission unter der Führung von Ursula von der Leyen ausfällt. Die deutschen SPD-Abgeordneten, die Linken und Teile der Grünen-Fraktion hatten der 66-Jährigen am Mittwoch ihre Unterstützung verweigert, da sie einen Spitzenposten in ihrem Team an den Italiener Raffaele Fitto vergeben hatte – und davon nicht abrücken wollte. Fitto gehört der rechtspopulistischen Partei Fratelli dItalia von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni an und bekommt nun als Vizepräsident das zweithöchste Amt nach von der Leyen. &bdquo;Erstmals in der Geschichte der gemeinschaftlichen EU-Institutionen erhält ein Vertreter einer postfaschistischen Partei eine Führungsposition“, kritisierte der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, René Repasi. Dennoch erhielt von der Leyens neue EU-Kommission am Mittwoch die nötige Mehrheit des EU-Parlaments mit 370 von 688 Stimmen (53,8 Prozent). Es ist das schlechteste Ergebnis für eine Kommission in der Geschichte der EU. Von der Leyen konnte letztlich auf viele Abgeordnete der rechten EKR-Fraktion zählen, die mit Fitto ihren Einfluss in der Kommission vertreten sehen. Der EKR gehören neben den Fratelli auch die rechtspopulistische PiS-Partei an, die in Polen bis 2023 acht Jahre lang den Rechtsstaat und die Medienfreiheit abgebaut hatte und einen autoritären Staatsapparat installieren wollte. Von der Leyen betont das &bdquo;Team“ Von der Leyen ließ sich am Mittwoch von der Kritik nicht beirren. &bdquo;Dieses Kollegium ist die richtige Mannschaft für diesen Moment in der Geschichte Europas“, sagte die Deutsche. Sie wolle das Wort &bdquo;Team“ betonen, fügte sie noch hinzu und sorgte damit für so manches Stirnrunzeln. Denn ihre selbst entwickelte Struktur der neuen Kommission macht sie zur machtvollen Königin, die 26 Kommissarinnen und Kommissare sind ihr klar unterstellt. Der Einfluss der EU-Kommission ist enorm: Sie schlägt Gesetze vor und überwacht deren Einhaltung. Die Mitgliedstaaten müssen der neuen EU-Kommission noch formal zustimmen, dann kann sie ihre Arbeit am 1. Dezember aufnehmen. Die Kommissionspräsidentin kündigte im Parlament schwierige Entscheidungen an. So seien massive Investitionen in die Sicherheit und den Wohlstand notwendig. &bdquo;Freiheit gibt es nicht zum Nulltarif“, sagte sie. Diese drei großen Baustellen kommen auf die 66-Jährige und ihr Team jetzt zu. Die drei größten Baustellen für die neue EU-Kommission Das drängendste Thema für die neue EU-Kommission ist die Krise der Wirtschaft. Ganz oben auf der Agenda von der Leyens steht daher die Aufgabe, einen &bdquo;Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ zu entwickeln. Es vergeht kaum ein Tag, in der nicht ein Großkonzern Entlassungen ankündigt. Die hohen Energiepreise seien die größte Herausforderung für die Unternehmen, sagte von der Leyen. Die EU habe viel getan, um auf die russische Energieerpressung zu reagieren. &bdquo;Aber der Energiepreis muss weiter sinken“, stellte sie klar. Die Krise in der Automobilbranche will sie zur Chefinnensache machen und kündigte einen strategischen Dialog über die Zukunft der Automobilindustrie unter ihrer Leitung an. Um die europäische Wirtschaft konkurrenzfähiger zu machen, seien in den nächsten Jahren deutlich mehr Investitionen und Innovationen nötig. In Europa gebe es ähnlich viele Patentanmeldungen wie in den USA, aber nur ein Drittel werden hierzulande dann auch kommerziell genutzt, so von der Leyen. Innovativen Start-ups fehle es schlichtweg an Geld: In den USA könne ein Start-up in allen Bundesstaaten expandieren und Investorengelder eintreiben, während Unternehmen in Europa mit Hindernissen in 27 Mitgliedstaaten konfrontiert seien. &bdquo;Wir müssen es einfacher machen, in Europa zu wachsen“, sagte die 66-Jährige. Sie will Unternehmen bei der Expansion in Europa unterstützten und Ausschreibungen und Genehmigungen beschleunigen. Migration bleibt Top-Thema Die zweite Großbaustelle der EU ist die Migrationspolitik. Eine überarbeitete Rückführungsverordnung soll dafür sorgen, dass Personen ohne Asylanspruch leichter abgeschoben werden können. Was in der Theorie einfach klingen mag, droht in den Verhandlungen über die Details noch eine Zerreißprobe für die EU zu werden. Im Kern geht es darum, ob abgelehnte Asylbewerber inhaftiert oder in Drittstaaten abgeschoben werden und ob ihnen Sozialleistungen vorenthalten werden dürfen. Von der Leyen kündigte &bdquo;strengere Regeln“ und zugleich die Garantie für das individuelle Recht auf Asyl an. &bdquo;Wir werden daran arbeiten, legale Wege nach Europa zu ermöglichen“, doch gleichzeitig müsse man die Außengrenzen stärker sichern. Nachdem die EU bereits hohe Summen an teils autoritär geführte Staaten wie Tunesien, Libyen, Ägypten, Algerien und die Türkei bezahlt hat, damit möglichst wenig Menschen nach Europa flüchten, will Brüssel diesen &bdquo;Mittelmeer-Pakt“ weiter ausbauen. Für die nächsten Jahre sind weitere Migrationsabkommen mit Drittstaaten geplant. Ebenso will die EU-Kommission die Grenzschutzagentur Frontex personell aufstocken. Sie könnte in Zukunft auch eine größere Rolle bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber spielen. Europa soll massiv aufrüsten Als Drittes wollen von der Leyen und ihre Kommissare den Bereich Sicherheit und Verteidigung vorantreiben. &bdquo;Russland gibt bis zu 9 Prozent seines BIP für die Verteidigung aus, Europa gibt im Durchschnitt nur 1,9 Prozent aus. In dieser Gleichung stimmt etwas nicht“, sagte von der Leyen. EU-Staaten sollen künftig vornehmlich in Europa Rüstungsgüter einkaufen und gemeinsam in Großprojekte investieren, so der Plan. Nationale Armeen sollen stärker zusammenarbeiten, spanische Panzer würden schließlich nicht auf der iberischen Halbinsel, sondern an der Nato-Ostflanke gebraucht, heißt es. Flaggschiff-Projekte wie einen europäischen Raketenschutzschirm und eine Cyberabwehrbrigade will die Kommission ebenfalls vorantreiben. Die Rüstungsindustrie beklagte wiederholt fehlende langfristige Verpflichtungen zu großen Investitionen. Doch woher das Geld für die europäische Verteidigung kommen soll, ist weiter umstritten. Die EU-Kommission will zwar 500 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre aus dem EU-Haushalt zur Verfügung stellen. Doch wofür das Geld ausgegeben werden soll, steht noch nicht genau fest. Klar ist nur, dass diese Milliarden nicht reichen werden, um die vielen Löcher in Europas Armeen zu stopfen. Daher stehen nun erneut gemeinsame Schulden, sogenannte Verteidigungsbonds, im Raum. Polens Außenminister Radoslaw Sikorski hatte nach einem Treffen mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock und seinen Amtskollegen aus Frankreich, Italien und Großbritannien erklärt, man befürworte gemeinsam solche Verteidigungsanleihen. Berlin dementierte dies später. In Brüssel geht man aber davon aus, dass Trump und der Ukraine-Krieg zum Beschleuniger für neue Lösungen wie diese werden würden.

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