Bidens Raketen-Erlaubnis wirft neue Fragen an die Bundesregierung auf

Die Entscheidung des noch bis Januar amtierenden US-Präsidenten Joe Biden, der Ukraine erstmals den Einsatz weitreichender westlicher Raketen gegen bestimmte Ziele in Russland zu erlauben, hat die Debatte über die westliche Militärhilfe in Deutschland wie in anderen Teilen Europas neu entfacht. Dabei geht es unter anderem um die Frage, ob Kanzler Olaf Scholz seine Weigerung aufgeben sollte, der Ukraine Marschflugkörper vom Typ Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern zu geben. Die Meinungen darüber gehen wie bisher auseinander. Amerikanische Regierungsvertreter, die in der &bdquo;Washington Post“ und der &bdquo;New York Times“ anonym zitiert werden, räumten zwar ein, dass durch die Freigabe der ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von gut 300 Kilometern der Verlauf des Krieges vermutlich nicht grundsätzlich verändert werde. Doch erhält Kiew so die Möglichkeit, erobertes Gebiet zu verteidigen. Außerdem will Biden offenbar ein unmissverständliches Signal an die nordkoreanische Regierung senden, keine weiteren Truppen in die Region Kursk zu schicken. Moskau hat dort laut &bdquo;Wall Street Journal“ mehr als 50.000 Soldaten zusammengezogen. Davon sollen etwa 10.000 aus Nordkorea stammen. Mit den ATACMS-Raketen, so hofft man in Washington, könne Kiew das Gebiet besser verteidigen. Heftiger politischer Streit in den USA In den USA sorgt Bidens Entscheidung vor dem Machtwechsel zu Donald Trump für heftigen politischen Streit. Bemerkenswerterweise kommt die Kritik der Republikaner von zwei Seiten. &bdquo;Seit Monaten habe ich Präsident Biden aufgefordert, die Restriktionen aufzuheben“, monierte Michael Turner, der eher traditionell-republikanische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses: &bdquo;Präsident Biden hätte viel früher auf die Bitten von Präsident Selenskyj hören müssen.“ Andererseits empörten sich prominente Trump-Anhänger bei X und warfen Biden vor, die USA in große Gefahr zu bringen. &bdquo;Auf seinem Weg aus dem Amt versucht Joe Biden, einen dritten Weltkrieg zu beginnen“, postete die ultrarechte Abgeordnete Marjorie Taylor Greene. Der einstige Botschafter Richard Grenell erklärte: &bdquo;Niemand hat vorhergesehen, dass Joe Biden den Krieg in der Ukraine während der Übergangsphase (in Washington, d. Red.) eskaliert.“ Damit, so Grenell einigermaßen nebulös, seien alle früheren Überlegungen &bdquo;null und nichtig“. Scholz bleibt bei Haltung zu Taurus Scholz hält unterdessen an seinem Nein zur Taurus-Lieferung fest. Bidens Entscheidung habe &bdquo;keine Auswirkungen auf die Entscheidung des Bundeskanzlers“, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner. Um das Waffensystem hatte es eine monatelange Debatte gegeben, in der der Kanzler trotz anderslautender Forderungen von Grünen, Liberalen und Teilen der SPD bei seiner Haltung blieb. Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht argumentierte jetzt ähnlich wie die Trump-Gefolgsleute und sagte: &bdquo;Taurus-Raketen zu liefern, die von der Bundeswehr programmiert werden müssen, ist praktisch eine Kriegserklärung an die Atommacht Russland.“ Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marcus Faber (FDP), sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hingegen: &bdquo;Nach Bidens überfälliger Entscheidung, ATACMS für das gesamte Kriegsgebiet freizugeben, muss das auch für die von Deutschland gelieferte Mars2-Raketenartillerie gelten. Es muss im Bundestag ebenfalls Anlass sein, über den Taurus neu zu sprechen. Argumente für eine Verweigerung gibt es keine mehr.“ Kreml warnt vor Eskalationsspirale Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach bei einem EU-Außenministertreffen in Brüssel von einer &bdquo;wichtigen Entscheidung“ der Biden-Administration. Es handele sich aber nicht um ein Umdenken, sondern um eine Intensivierung der Hilfe für die Ukraine. Sie rief dazu auf, sich von der Kritik des Kremls an der Aufhebung der Reichweitenbeschränkung nicht verunsichern zu lassen. &bdquo;Putin spielt ganz bewusst mit unserer Angst in Europa“, sagte sie. Europa sei aber stärker als die Angst. Kremlsprecher Dmitri Peskow hatte vor &bdquo;einer neuen Windung der Eskalationsspirale“ gewarnt. Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot sieht in Bidens Erlaubnis ebenfalls &bdquo;nicht viel Neues“. Frankreich habe schon früh die Position vertreten, dass die Ukraine russische Militärstützpunkte mit Langstreckenwaffen angreifen dürfe, von denen aus Raketen auf ukrainisches Territorium abgefeuert würden. Die französische Regierung unterstützt Kiew seit einiger Zeit mit Scalp-Raketen, die eine Reichweite von bis zu 250 Kilometern haben. Freilich gibt es auch Versionen der französischen Scalp und des britischen Pendants Storm Shadow mit einer Reichweite von 560 Kilometern, die weder London noch Paris bisher an die Ukraine liefern wollten. Sie sind die Entsprechung zu Taurus. Trump, der die Ukraine militärisch nicht länger unterstützen will, brüstet sich damit, den Krieg innerhalb eines Tages beenden zu können – mutmaßlich zu Lasten des Landes, dessen okkupiertes Territorium er Moskau überlassen könnte. Für diesen Fall will Kiew ein möglichst großes russisches Gebiet unter seiner Kontrolle haben, um es als Verhandlungsmasse einsetzen zu können.

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