Protestforscher über Lützerath: "Klimabewegung erfindet sich gerade neu"

Herr Knopp, Sie sind Mitglied des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung und Lehrender an der Universität Wien. Wie beobachten Sie als Protestforscher die aktuelle Lage der Klimabewegung rund um Lützerath? Das Thema wird zu stark verengt auf den Konflikt zwischen Polizei und Aktivisten. Der gesellschaftliche Mehrwert bleibt auf der Strecke. Es muss doch darum gehen, wie der Protest in politische Prozesse integriert werden kann. Und wie zwischen den Beteiligten neu vermittelt werden kann. Stattdessen sieht man den Protest vor allem aus dem Blickwinkel der Gewalt. Dadurch werden die eigentlichen Ziele der Aktivisten ausgeblendet. Das kommt bei Protestformen immer wieder vor. Der Fokus auf Ausschreitungen und Polizei ermöglicht es der Politik, die Perspektive der Aktivisten und deren eigentliche Anliegen nicht ernstnehmen zu müssen. Haben die Aktivisten daran nicht selber großen Anteil, indem einige von ihnen Polizisten angreifen und andere sich davon nicht klar distanzieren? Ja und nein. Ich denke, dass sich prominente Stimmen wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer nicht distanzieren, weil sie die Bewegung zusammenhalten wollen, also auch militante Teile. Vor allem aber wollen sie sich nicht stets auf die klassische Gewalt-Diskussion einlassen, weil die die inhaltliche Auseinandersetzung mit den drängenden Fragen der ökologischen Transformation überlagert. War der Protest in Lützerath besonders heftig? Nein, international betrachtet war er vergleichsweise sogar recht friedlich. In anderen Ländern verlaufen ähnliche Proteste mitunter deutlich militanter von beiden Seiten. Auch in Deutschland gab es in der Vergangenheit Protest, der mehr eskaliert ist, zum Beispiel die Auseinandersetzungen zwischen Polizei und der Anti-Atomkraft-Bewegung in den 1970er und 80er Jahren. Wie wichtig ist Protest? Soziale Bewegungen haben in der Geschichte oft dazu beigetragen, Meinungen von Minderheiten zu artikulieren und gesellschaftliche Probleme aufzuzeigen. Deshalb ist Protest für eine demokratische Gesellschaft extrem wichtig. Demokratien sind durch Protest entstanden. Könnten Teile der Protestbewegung ihre Anliegen nicht besser durchsetzen, indem sie Parteien beitreten und Politik konkret gestalten? Es gibt durchaus produktive Verhältnisse zwischen Parteien und sozialen Bewegungen. Protest hat andere Möglichkeiten, auf Probleme innerhalb politischer Institutionen hinzuweisen als Parteien. Ein Kernbestandteil ist, über Regelverletzungen und zivilen Ungehorsam Aufmerksamkeit auf politische Inhalte zu lenken, die sonst untergehen. Machen es sich soziale Bewegungen etwas leicht, indem sie oft maximale Forderungen stellen, die sich politisch gar nicht eins zu eins umsetzen lassen? Die aktuelle Klimabewegung erhebt in meinen Augen vergleichsweise realistische Forderungen. Im Kern geht es ihr ja darum, dass die Regierung ein selbst gestecktes Ziel einhält – nämlich das 1,5-Grad-Ziel – und dass wir uns von der Kohleverstromung lösen sollen, was eine Mehrheit der Bevölkerung auch so sieht. Die aktuelle Klimabewegung hat sehr mehrheitsfähige Forderungen und geht sehr wissenschaftsorientiert vor. Sind die Ausschreitungen rund um Lützerath ein Indiz dafür, dass sich die Klimabewegung in einer Krise befindet? Der aktuelle Klimaprotest ist sehr plural und bindet viele gesellschaftliche Gruppen ein. Die Bewegung findet sich gerade neu. Sie experimentiert mit neuen Protestformen und Bündnissen, etwa mit Gewerkschaften. In Lützerath hat sie es geschafft, weltweite Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das ist ein Erfolg. Ich widerspreche ausdrücklich, dass sie sich in einer Krise befindet.

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