Man muss kein Pazifist sein, um Unbehagen zu spüren, wenn bald verstärkt Züge und Lkw mit Militärausrüstung durch NRW rollen. Genau das wird passieren, wenn das Land umsetzt, was es sich erhofft: zum Zentrum der Zeitenwende zu werden.
NRW will der entscheidende Standort für die Rüstungsindustrie werden. Das ist nicht einfach so daher gesagt. Es gab bereits Konferenzen mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft. Die Industrie- und Handelskammern benennen verteidigungspolitische Ansprechpartner. Und im Westen von NRW bauen Ingenieure bald ganz konkret Teile des US-Kampfflugzeugs F-35A.
Da kann man sich eigentlich nur die Haare raufen. Die schwarz-grüne Landesregierung schlägt ziemlich neue Töne an. Bislang galten die Bestrebungen, NRW zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas zu machen, als ein verbindendes Element zwischen CDU und Grünen. Mit dem damit verbundenen Plan eines vorzeitigen Kohleausstiegs reichte Ministerpräsident Hendrik Wüst seinem Koalitionspartner frühzeitig die Hand.
Rüstungspläne erfordern eine neue Prioritätensetzung in NRW
Die jetzt angekündigten Rüstungspläne müssen zwar nicht bedeuten, dass die Klimaziele für das Land NRW nun automatisch hintenanstehen. Doch wer den Zeitenwende-Duktus ernst nimmt, wird zumindest um eine neue Form der Prioritätensetzung nicht umhinkommen.
Kann die Industrie noch auf grünen Wasserstoff warten, wenn sie ihren Stahl bald verstärkt in Panzer und U-Boote verbauen soll, weil die Politik dies für die Bündnis- und Landesverteidigung so vorsieht? Wird es beim Verzicht auf Kohlestrom ab 2030 bleiben, wenn sich die Auftragsbücher der Unternehmen füllen – und sie schnell verlässliche Energie brauchen werden? Diese Fragen führen auf nüchterne Art vor Augen, wie sich die geopolitische Lage verändert hat. Und welche konkreten Veränderungen das auch für die Menschen im Land mit sich bringen wird.
Doch reines Bedauern über die sich veränderte Sicherheitslage in Deutschland und Europa greift zu kurz. Denn zweifellos bietet sie auch Chancen für den Standort NRW. Die heimische Industrie äußert seit Jahren Abwanderungsgedanken. Weil Energie zu teuer und Bürokratie zu ausgeprägt ist. Noch besitzt NRW das Privileg, so ziemlich alle Lieferketten im Land zu haben, die für eine gesamte Wertschöpfung nötig sind.
Wenn der Wiederaufbau der militärischen Verteidigung dazu beiträgt, dass sich Unternehmen im Land ansiedeln oder bestehende hier bleiben – und somit Arbeitsplätze und Wohlstand, dann wird das den Standort in mehrfacher Hinsicht stärken. Es ist richtig, sich darauf frühzeitig einzustellen. Entscheidend beeinflusst wird dies ohnehin nicht in Düsseldorf, sondern in Berlin, Brüssel, Washington und Moskau. Das ist die tragische, neue Realität.