Kommentar

Zuspitzung im Weihnachtsmonat gibt dem Wahlkampf einen bitteren Geschmack

Drei Wochen vor dem christlichen Friedensfest spitzt sich der Parteienstreit unchristlich zu. Es muss bald eine Rückkehr zur Vernunft geben, meint unser Autor.

Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP, nicht der Einzige, der sich im vorweihnachtlichen Wahlkampf unvernünftig äußert, kommentiert NW-Chefredakteur Thomas Seim. | © Bernd von Jutrczenka/dpa

Thomas Seim
02.12.2024 | 02.12.2024, 16:25

Der Kanzler ist überraschend in Kiew mit Rüstungszusagen für den ukrainischen Präsidenten, die lange bekannt sind; der Oppositionsführer wirft ihm per Mail einen Krieg mit der Angst vor; die Außenministerin in Peking versucht, mit einer Warnung den chinesischen Präsidenten zu beeindrucken; der FDP-Chef sucht im politischen Todeskampf seiner Partei Hilfe bei dem Trump-Berater Elon Musk. Ja, kaum hat der Weihnachtsmonat begonnen, neigt der deutsche Wahlkampf zu unchristlicher Zuspitzung. Von Frieden ist wenig zu spüren.

Immerhin lassen sich darüber neue Kampflinien entdecken, die so nicht automatisch zu vermuten standen. Dass Olaf Scholz als Kanzler im Wahlkampf seine moderierende Rolle in der gescheiterten Ampel verlassen würde, stand zu erwarten. Auch dass er mit Frieden und Sicherheit im Wandel zu punkten versucht, konnte man vermuten. Dass allerdings dies laut Umfrage des Boulevards bereits zu sieben Punkten Sympathie-Gewinn für Scholz geführt haben soll, ist nicht automatisch selbsterklärend und ruft die Gegner neu auf den Plan.Immerhin darf der Kanzler für sich in Anspruch nehmen, den wohl abgewogensten Kurs im Ringen um den Krieg in der Ukraine zu fahren. Zwar spricht auch er von „heldenhafter“ Weise der Ukraine und liegt damit nahe an der Eskalationsrhetorik von Union, Grünen und FDP.

Verkehrte Welt, auch bei den Grünen

Und doch werfen deren Hardliner, wie Friedrich Merz oder der Außenpolitiker Kiesewetter, ihm einen „verlogenen“ Wahlkampf mit der Angst vor. Scholz bleibt bei der Lieferung von Taurus-Raketen in die Ukraine hart und schließt sie auch dann aus, wenn seine Kollegen in den USA und Frankreich der Ukraine den Einsatz weitreichender Waffen inzwischen erlauben.

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Sogar die neue Vorsitzende der Grünen – jener Partei, die sich einst wegen der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen laut Mitgründer Joschka Fischer als Friedenspartei gegen einen SPD-Kanzler Helmut Schmidt gründete und so das Land in Abrüstungsverhandlungen drängte – sogar jene Parteichefin Franziska Brantner also springt nun Merz bei. Das kommt einem Plädoyer für den Abwurf deutscher Raketen auf Russland sehr nah. Welt verkehrt, möchte man meinen.

Vollends verquer steht der noch amtierende FDP-Chef Lindner sich selbst, seiner Partei und Deutschland im Weg, wenn er empfiehlt, vom neuen Trump-Jünger Elon Musk oder gar Argentiniens Anarcho-Präsidenten Milei zu lernen. Man fragt sich, wie lange sich seine Parteifreunde Strack-Zimmermann oder Kubicki das noch duldend anschauen wollen.

In drei Wochen kehrt Frieden ein in deutsche Wohnzimmer. Man muss darauf hoffen, dass danach eine neue Phase der Vernunft wieder die Parteien und ihre Politik beherrscht. Trotz Wahlkampfs.