
Seit gut einer Woche wissen wir nun, dass die USA demnächst von einem notorischen Lügner und Nationalisten regiert werden. Das ist unerfreulich. Aber vielleicht können wir jetzt trotzdem aufhören zu heulen?
Politiker und vorgebliche Experten bemühen sich, Trumps irre Gedankenwelt zu deuten, und geben Ratschläge, wie man bei Hofe elegant zu Kreuze kriecht. Es ist, als käme ein bekannter Schläger zurück auf den Schulhof – und alle anderen liefern vorsorglich schon einmal Geld und Handys ab. Wie wäre es mit etwas Selbstbewusstsein?
Ohne Zweifel: Der künftige US-Präsident wird Schaden anrichten, wenn er Amerika „great“ machen will, im Alleingang und auf Kosten der restlichen Welt. Aber so zynisch es klingt: Je verrückter seine Pläne sind, desto größer sind die Chancen, die sich daraus für Europa ergeben.
Trumps Pläne sind ein Risiko für die USA
Ein Handelskrieg mit Strafzöllen auf beiden Seiten ist für die USA nicht weniger riskant als für die EU. Nicht nur, weil selbst treue Trump-Wähler nachdenklich werden, wenn dort die Preise steigen. Europa ist einer der wichtigsten Märkte für die US-Wirtschaft.
Besonders das Geschäftsmodell der Tech-Konzerne, die Amerikas Ökonomie beflügeln, ist angreifbar. Sie fürchten nichts mehr, als dass die EU endlich konsequent die Plattformen reguliert. Faire Wettbewerbsregeln würden die Dominanz von Google oder Amazon bedrohen. Eine Haftung für die dort verbreiteten Inhalte kann Dreckschleudern wie Meta oder Elon Musks „X“ existenziell gefährden. Hohe Standards bei Datenschutz und Urheberrechten treffen vor allem die US-Riesen und ihre KI-Technologien.
Die angekündigte Rolle rückwärts in der amerikanischen Energiepolitik ist für den Klimaschutz eine Katastrophe. Unter Wettbewerbsaspekten bietet sie eine gewaltige Chance für Europa. Die US-Wirtschaft mag euphorisch reagieren, wenn der Klimawandel-Leugner Trump den Weg für billigen fossilen Brennstoff ebnet. Doch es ist die Euphorie des Drogen-Junkies vor dem nächsten Schuss, das Ende ist zwangsläufig. Und es werden langfristig jene Staaten erfolgreich sein, die frühzeitig Lösungen für eine nachhaltige Energieversorgung und Mobilität entwickelt haben. Mit dem „Green Deal“ hat sich die EU genau auf diesen Weg gemacht.
Welthandel wird sich durch Trump neu sortieren
Die großartige Forschungslandschaft der USA wird unter einem Präsidenten, der Wissenschaftler verlässlich diffamiert, nicht attraktiver werden. Wenn die Europäer ihre Anstrengungen in diesem Bereich verstärken und bündeln, hilft uns das nicht nur im Wettbewerb um die besten Köpfe, sondern auch im Wettbewerb um die entscheidenden Zukunftstechnologien.
Der Welthandel wird sich neu sortieren. Es ist ein guter Anlass, endlich mit den südlichen Nachbarn der USA ins Geschäft zu kommen, die Trump nur als „Vergewaltiger“ und Drogenhändler karikiert. Mehr als 20 Jahre hat die EU mit den Mercosur-Ländern Südamerikas über ein Freihandelsabkommen verhandelt und blieb am Ende beim Rindfleisch stecken – die Chinesen sind heute der wichtigste Handelspartner Südamerikas. Die aggressive Geringschätzung Trumps für den amerikanischen „Hinterhof“ ist eine Chance, hier aufzuholen.
Auch die USA brauchen Bündnispartner
Auch Indien und Afrika bieten viel mehr Potenzial, als Trump in seiner rassistischen Blase erkannt hat. Wenn wir also endlich eine aktive und pragmatische Handelspolitik betreiben, statt die Welt nur mit klugen Vorträgen zu beglücken, kann der absehbare Protektionismus in den USA zum Wachstumstreiber für Europa werden.
Selbst die Sicherheitspolitik ist kein Grund, sich dem heraufziehenden Größenwahn in Washington vorauseilend zu beugen. Ja, wir werden deutlich mehr in unsere Verteidigung investieren müssen. Das hat uns nicht Trump, sondern der von ihm bewunderte Putin schmerzhaft klargemacht. Aber auch die USA brauchen Bündnispartner. Wir müssen die europäischen Ressourcen erhöhen und vor allem effizienter organisieren. Aber es gibt keinen Anlass, der US-Rüstungsindustrie einen Blankoscheck auszustellen.
Deutschland kann Europas Motor sein
Es wird die vielleicht wichtigste Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein, unser Land im Wettbewerb mit den USA und auch mit China selbstbewusst zu positionieren. Wenn wir unseren Wohlstand sichern wollen, brauchen wir unsere europäischen Partner – und wir brauchen sehr viel Geld.
Mario Draghi, der frühere Chef der Europäischen Zentralbank, fordert in seinem EU-Wettbewerbsreport jährliche Investitionen von 800 Milliarden Euro, um Europa fit für eine nachhaltige Zukunft zu machen. Allein die Modernisierung der deutschen Infrastruktur und Energieversorgung wird in den nächsten zehn Jahren bis zu 600 Milliarden kosten.
Wenn Europa sich traut, kann es das größte Konjunkturprogramm seit dem letzten Weltkrieg entfesseln. Deutschland kann der Motor einer solchen Entwicklung sein – wenn wir uns selbst vertrauen, statt verzagt über den Atlantik zu schauen.