
Es kommt nicht alle Tage vor, dass in Brüssel eine Entscheidung gegen den ausdrücklichen Willen Berlins fällt. An diesem Freitag ist genau das geschehen. Bei einer Abstimmung der EU-Staaten hat es keine Mehrheit gegen die von der Kommission vorangetriebenen Strafzölle auf chinesische Elektroautos gegeben. Die Bundesregierung, deren Stimme wegen der deutschen Bevölkerungsgröße und Finanzkraft besonderes Gewicht hat, ist mit ihrem Widerstand gescheitert. Für Bundeskanzler Olaf Scholz und die deutsche Autoindustrie ist das eine Niederlage – zumindest vordergründig.
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Scholz ist nicht der erste Bundeskanzler, der sich zum obersten Lobbyisten der deutschen Autobauer aufgeschwungen hat. Auch seine Vorgängerin Angela Merkel hatte das Wohlergehen von Mercedes, BMW, Audi, VW und Porsche stets im Blick, und deren Vorgänger Gerhard Schröder kokettierte gar mit seinem Image als „Autokanzler“. Doch während es bei Schröder und Merkel noch darum ging, Unannehmlichkeiten wie strengere Abgasnormen oder Flottengrenzwerte beim CO2-Ausstoß zu entschärfen, steht für Scholz längst die Zukunftsfähigkeit der deutschen Leitindustrie mit fast 800.000 direkt Beschäftigten auf dem Spiel. Es geht um nicht weniger als den Wohlstand künftiger Generationen.
Dieser ist bedroht, weil sich die deutschen Autobauer mit zwei strategischen Fehlentscheidungen in eine Sackgasse manövriert haben. Sie haben zu lange auf den Absatzmarkt China gesetzt und zu spät den Trend hin zur Elektromobilität erkannt. Beides rächt sich nun.
Volkswagen dominierte den Markt im Mittelklassesegment
Das Reich der Mitte war über Jahre die „Cashcow“ deutscher Autokonzerne gewesen. Die Geschäfte mit Luxuskarossen aus Stuttgart oder München liefen hervorragend und Volkswagen dominierte mit seinen örtlichen Partnern im Mittelklassesegment den Markt. Beides ist auf absehbare Zeit vorbei.
Der chinesische Automarkt verändert sich in fast schon atemberaubender Geschwindigkeit. Innerhalb von nur vier Jahren ist der Anteil an Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor bei den Neuzulassungen von über 90 auf unter 60 Prozent gesunken. Während Deutschland über ein Comeback des Verbrenners diskutiert, treibt China die Verkehrswende mit Macht voran.
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Dabei geht es nicht nur um Klimaschutz und die Lebensqualität in den überfüllten Megacitys, sondern um handfeste Industriepolitik. Bei Elektroautos geben chinesische Hersteller auf dem Heimatmarkt den Ton an. Ihr Marktanteil ist seit 2020 von rund 30 auf über 50 Prozent gestiegen – wohlgemerkt einschließlich der Verbrenner.
Konkurrenz aus China wird wohl deutschen Automarkt angreifen
Man muss kein Prophet sein, um zu erahnen, wohin die Reise geht: Westliche Hersteller werden in China nicht nur aus dem Markt gedrängt, sie müssen auch damit rechnen, dass sie die chinesische Konkurrenz künftig in eigenen Heimatmarkt angreift. Die gewaltige Flotte an Autotransportschiffen, die chinesische Hersteller gerade bauen lassen, ist mehr als nur eine Warnung.
Die EU-Kommission hat diese Gefahr erkannt, und es ist richtig, dass sie zumindest gegen unfaire Wettbewerbspraktiken Chinas vorgeht. Selbst ohne staatliche Subventionen werden chinesische Hersteller wegen ihrer Größe sowie niedrigerer Produktions- und Rohstoffkosten einen nicht unerheblichen Wettbewerbsvorteil haben.
Ja, durch Strafzölle steigt die Gefahr eines Handelskonfliktes. Aber mit dieser Gefahr muss Europa, muss Deutschland und müssen die deutschen Autobauer jetzt umgehen. Angesichts der offenen Konfrontation mit den USA dürften sich die Machthaber in Peking zwei Mal überlegen, ob sie auch mit der EU eine Eskalation riskieren wollen.
Die Umsätze der deutschen Autoindustrie in China werden so oder so weiter sinken.
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