Drei Fragen an

Bloßgestellt und schikaniert: Was tun gegen Cybermobbing?

Cybermobbing kann alle treffen, die aktiv im Netz unterwegs sind. In Chats schaukeln sich Situationen sehr schnell hoch. | © Annette Riedl/dpa/dpa-tmn

07.10.2025 | 07.10.2025, 00:08

Nicht jeder kleine Streit, jede Beleidigung oder jede Auseinandersetzung ist gleich Mobbing. Aber wenn jemand wiederholt und über längere Zeit aggressiv von anderen angegangen oder ausgegrenzt wird, ohne sich allein aus diesem Kreislauf befreien zu können, ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Neben der Häufigkeit und Dauer solcher Attacken ist das Ausüben von Macht über einen Menschen charakteristisch für Mobbing.

Und Mobbing «lebt» auch oft davon, dass andere rundherum wegschauen. «Das geht mich nichts an, zum Glück bin ich ja nicht betroffen, da gucke ich weg», beschreibt Medienpädagogin Kristin Langer das Phänomen und zitiert Erich Kästner: «An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.»

Eltern sollten ihren Kindern vermitteln, dass im digitalen Raum die gleiche Höflichkeit, der gleiche Respekt und die gleiche Rücksicht wie im realen Leben gelten. - © Schau Hin!/dpa-tmn
Eltern sollten ihren Kindern vermitteln, dass im digitalen Raum die gleiche Höflichkeit, der gleiche Respekt und die gleiche Rücksicht wie im realen Leben gelten. (© Schau Hin!/dpa-tmn)

Im Interview erklärt Langer, die als Mediencoach für die Initiative «Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht.» arbeitet, was Mobbing insbesondere im Netz bedeutet - und was Betroffenen hilft.

Frau Langer, was ist das Besondere, oder besser gesagt, das besonders Gefährliche an Cybermobbing?

Kristin Langer: Cybermobbing ist ein Phänomen, das sich über digitale Kanäle verbreitet, übers Internet, über Foren, über Chatgruppen. Und es ist völlig unabhängig von Zeit und Ort. Also rund um die Uhr kann mich etwa eine Beleidigung oder eine Verleumdung erreichen. Oder jemand legt ein Fake-Profil von mir an und verbreitet unter meinem Namen Informationen, die gar nicht meine sind - und von denen ich oftmals erst über Dritte erfahre.

Kristin Langer ist Mediencoach bei der Initiative «Schau hin». - © Tanja M. Marotzke/Schau Hin!/dpa-tmn
Kristin Langer ist Mediencoach bei der Initiative «Schau hin». (© Tanja M. Marotzke/Schau Hin!/dpa-tmn)

Die Verbreitung von Informationen über Social-Media-Kanäle sind rasant schnell und haben eine große Reichweite. Ich weiß also nie, wer alles mitliest. Cybermobbing kann mich pausenlos ereilen, anders als etwa beim Mobbing in der Schule oder im Sportverein, weil der Schultag oder das Training irgendwann vorbei sind. Außerdem können Beleidigungen, falsche Informationen oder Hasskommentare dauerhaft im Netz bleiben.

Was noch wichtig ist: die Anonymität. Dadurch, dass jemand zum Beispiel mit einem erfundenen Nickname kommunizieren kann, weiß ich nicht unbedingt, von wem eine «Attacke» kommt. Das ist insgesamt extrem belastend und verunsichernd. Cybermobbing kann alle treffen, die aktiv im Netz unterwegs ist. In Chats schaukeln sich Situationen sehr schnell hoch, durch schnelle, unreflektierte Antworten oder Bemerkungen.

Woran können Eltern, Lehrkräfte, aber auch Freunde erkennen, dass jemand von Mobbing oder Cybermobbing betroffen ist?

Langer: In der Regel daran, dass jemand stiller wird, soziale Kontakte meidet, nicht mehr mit den Freunden, Eltern oder Bezugspersonen spricht. Traurigkeit stellt sich ein, vielleicht auch plötzliche Angst in Situationen, die vorher nicht da war, oder auch Angst vor dem Smartphone, das dann auffällig häufig weggelegt wird.

Vielleicht wird die Spielkonsole beziehungsweise ein digitales Spiel, bei dem es ja auch Chatgruppen gibt, auf einmal nicht mehr so häufig genutzt. Auffälliges Verhalten wie etwa Schulverweigerung oder Konzentrations – beziehungsweise Schlafstörungen sind ebenfalls mögliche Signale.

Wichtig für Eltern zu wissen ist zudem: Es kann durchaus die Situation entstehen, dass das eigene Kind am Mobbing beteiligt ist, etwa weil es Angst davor hat, selbst gemobbt zu werden. Wenn Eltern also mitbekommen, dass ihr Kind Gemeinheiten oder Unfaires im Netz verbreitet, sollten sie unbedingt nachfragen: Was steckt dahinter? Warum machst Du das?

Vielleicht steht das eigene Kind enorm unter Druck und fühlt sich selbst in der Gruppe oder Klasse nicht wohl. Eltern können außerdem an das Kind appellieren, sich in den anderen hineinzuversetzen: Wie wird es wohl demjenigen gehen, den Du attackierst?

Welche Schritte sind nötig, um allen Betroffenen zu helfen und digitale Gewalt zu stoppen?

Langer: Ganz wichtig ist, Kindern und Heranwachsenden zu vermitteln, dass im digitalen Raum die gleiche Höflichkeit, der gleiche Respekt und die gleiche Rücksicht wie im realen Leben gelten. Im Grunde genommen ist es eine Werte-Einübung.

Und weil sich jede Reaktion, jede Bemerkung, jedes Emoji im Netz so unglaublich schnell verbreitet, muss ich mit den Kindern darauf hinarbeiten, dass sie nicht immer unmittelbar und impulsiv reagieren, sondern so etwas wie Selbstregulierung lernen. Das bedeutet, wenn mir jemand etwas schreibt, das ich nicht gut finde oder das mich sogar wütend macht, sollte ich zwei Dinge beherzigen.

Ich antworte erstens nicht sofort, sondern lasse mir Zeit und denke noch mal drüber nach, bevor ich zurückschreibe. Und zweitens: Wenn es in irgendeiner Form möglich ist, kläre ich das direkt mit dem Gegenüber, also im realen Leben, um Missverständnisse zu vermeiden und damit sich die Situation nicht hochschaukelt.

Sonst kann es sein, dass jemand Worte gebraucht, die der andere missversteht, oder jemand Emojis nutzt, die sein Gegenüber anders entschlüsselt. Hier können auch Medienkompetenz-Trainings helfen. Und schon im Klassenchat kann man den fairen Umgang miteinander und mutiges «Stopp sagen» üben.

Grundsätzlich ist es wichtig, dass Eltern und Lehrkräfte das Selbstvertrauen Heranwachsender stärken. Wenn ich dann Online-Verletzung erfahre, habe ich eine Widerstandskraft, kann mich wehren oder das zumindest einigermaßen aushalten.

Heranwachsenden sollte immer nahegelegt werden: Hole Dir Hilfe von Erwachsenen und vertraue Dich jemandem an, damit jemand aufmerksam wird, gehe mit einem Freund oder einer Freundin zu einer Vertrauensperson. Wenn der Lehrer nicht die richtige Person ist, dann vielleicht die Eltern, Verwandte oder auch ein Trainer.

Empfehlenswert sind auch Hilfsportale wie «Juuuport.de» oder das Kinder- und Jugendtelefon «Nummer gegen Kummer». Dorthin können sich Jugendliche anonym wenden, wenn sie in Bedrängnis geraten.

Cybermobbing ist kein Kavaliersdelikt, es kann rechtliche Konsequenzen für die Täterinnen oder Täter nach sich ziehen. Deshalb sollten Betroffene Beweise sichern und gegebenenfalls Anzeige erstatten. Denn oft sind bei Cybermobbing Straftatbestände erfüllt oder es werden Persönlichkeitsrechte verletzt.