Streaming-Riese

Netflix-Urteil: Können sich Millionen Kunden jetzt Geld zurückholen?

Ein Kunde bekommt 200 Euro zurück, weil die Kostenerhöhung unrechtmäßig war. Im Netz kursieren jetzt zahlreiche Musterschreiben. Gib es Aussicht auf Erfolg?

Netflix gehört zu den größten Streaming-Plattformen. | © Rolf Vennenbernd/dpa

23.05.2025 | 23.05.2025, 05:00

Das Landgericht Köln hat mit einem Urteil gegen den Streamingdienst Netflix Begehrlichkeiten auf breiter Front geweckt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass Netflix die Preise gegenüber einem Kläger unrechtmäßig erhöht hat. Er soll deshalb rund 200 Euro zurückerstattet bekommen (Az.: 6 S 114/23, LG Köln, Urteil vom 15.05.2025).

Nun kursieren zahlreiche Musterschreiben im Internet, mit denen auch andere Kunden eine Erstattung einfordern können. So hat etwa die Stiftung Warentest ein Musterschreiben aufgesetzt, aber auch die Anwaltskanzlei WBS Law, die den Fall am Landgericht Köln gewonnen hatte.

Ob Netflix-Kunden mit dem Musterschreiben tatsächlich Geld zurückbekommen, ist allerdings fraglich. „Es lässt sich schwer einschätzen, wie Netflix reagiert, wenn nun alle Kundinnen und Kunden die Rückerstattung von zu viel gezahlten Beiträgen verlangen“, sagt Erol Burak Tergek von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Der Experte für Telekommunikationsrecht verweist darauf, dass es sich bei dem Gerichtsurteil um eine Einzelfallentscheidung handelt, „die keine Auswirkungen auf andere Kundinnen und Kunden hat und daher nicht automatisch zu einem Anspruch auf Rückerstattung führt.“ Trotzdem empfiehlt er, gegen Netflix vorzugehen, wenn für eine Preiserhöhung die vertragliche Grundlage gefehlt hat.

Der Teufel steckt im Detail

Genau hier steckt aber der Teufel im Detail. Denn was eine juristisch wasserdichte Grundlage für eine Preiserhöhung ist, haben Gerichte schon unterschiedlich definiert. Zum einen geht es um die Preisanpassungsklausel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Netflix. Diese soll es dem Streamingdienst erlauben, die Preise „von Zeit zu Zeit“ und „in unserem billigen Ermessen“ einseitig und während der Vertragslaufzeit zu ändern.

Das kann zulässig sein, wenn in den AGBs Gründe für diese einseitige Preiserhöhung genannt werden. Auf diesem Feld hat Netflix in der Vergangenheit nachgebessert. Was laut der Juristin Gabriele Bernhardt von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg allerdings immer noch in der Preisanpassungsklausel fehlt, ist eine Formulierung, dass die Preise bei einem Kostenrückgang auch gesenkt werden können. Genau das beanstandeten auch die Richter des Landgerichts Berlin im vergangenen Sommer (Az.: 8 S 11/23 vom 26.6.2024), die ebenfalls einen Fall gegen Netflix verhandelt hatten.

Netflix-Kunden können aufgrund des Urteils Geld zurückfordern. Ob sie dies auch erhalten, steht aber nicht fest. - © dpa
Netflix-Kunden können aufgrund des Urteils Geld zurückfordern. Ob sie dies auch erhalten, steht aber nicht fest. (© dpa)

Reicht Button-Klick als Zustimmung?

Im Kölner Urteil aus der vergangenen Woche ging es aber nicht nur um die AGBs, sondern auch um die Art der Zustimmung zur Preiserhöhung. So hatte Netflix dem Kläger zwei E-Mails mit Informationen zur Preiserhöhung geschickt, anschließend hat der Netflix-Kunde über ein sogenanntes Pop-up-Fenster mit einem Klick auf „Preiserhöhung zustimmen“ die Vertragsänderung gebilligt. Dies sahen die Richter am Landgericht Köln nicht als rechtmäßig an. „Ein Klick auf einen vermeintlich zustimmenden Button reicht nicht aus, wenn der Nutzer gar nicht erkennt, dass es sich um ein Vertragsangebot handeln soll“, erklärt Rechtsanwalt Christian Solmecke von der Kanzlei WBS Law.

Netflix selbst verweist auf Anfrage dieser Redaktion darauf, dass die Richter des Landgerichts Berlin 2024 die Zustimmung per Button-Klick durchaus als rechtmäßig einstuften. „Die Entscheidung des Landgerichts Köln fällt aus dem Rahmen. Andere Gerichte haben bei derselben Sachlage Gegenteiliges entschieden und unsere bisherigen Preiserhöhungen in Deutschland aufgrund ausdrücklicher Einwilligungen unserer Mitglieder als wirksam anerkannt”, sagt eine Netflix-Sprecherin.

Verbraucherzentralen prüfen Sammelklage

Juristin Gabriele Bernhardt rät Netflix-Kunden in jedem Fall, ein Musterschreiben an Netflix auszufüllen, auszudrucken und an die Zentrale in Amsterdam zu schicken. „Schaden kann es nicht. Aber wenn Netflix nicht bezahlt, muss man sich überlegen, ob man seine Forderung selbst einklagen will.“ Eigentlich sei das ein Fall für die Verbraucherzentralen, die mit einer Sammelklage gegen Netflix vorgehen könnten. „Das müssen wir aber jetzt erst prüfen“, so Bernhardt.

Das Interesse ist in jedem Fall groß. Die Kanzlei WBS Law spricht von Zehntausenden Personen, die sich das hauseigene Musterschreiben bereits heruntergeladen haben. Es handele sich dabei um ein kostenloses Angebot. Weitere rechtliche Hilfe leiste die Kanzlei aber nicht. „Wer zu viel bezahlt hat, kann das Geld selbst zurückfordern. Sollte Netflix nicht reagieren, besteht die Möglichkeit, den Anspruch gerichtlich durchzusetzen“, sagt Solmecke. „Wenn ein Betroffener seinen Anspruch einklagen will, empfehle ich jedem, sich zunächst bei der Verbraucherzentrale zu erkundigen oder sich einen Anwalt am eigenen Wohnort zu suchen und mit diesem sein Recht durchzusetzen.“

Anspruch verjährt nach drei Jahren

Allerdings ist das rückwirkend nur für drei Jahre möglich, dann setzt die sogenannte Regelverjährungsfrist ein. Nach diesem Maßstab sind heute allenfalls Ansprüche ab 2022 neu einklagbar.

Netflix hat seine Preise seit dem Start 2014 laut Stiftung Warentest bereits fünf Mal erhöht. Begonnen hat der Streaminganbieter mit einem monatlichen Abopreis von 8,99 Euro im Standard- und 11,99 Euro im Premiumtarif. Die letzte Preiserhöhung gab es demnach 2024 auf 13,99 Euro im Standard- und 19,99 Euro im Premiumtarif.