Halle. Mit 6:10 im Champions-Tiebreak verloren Aslan Karatsev und Jeremy Jahn am 12. August ihre Doppelpartie bei Kurhaus Aachen. 3:3 lautete danach der Endstand, mit dem sich das Gerry Weber-Team die deutsche Vizemeisterschaft sicherte. Weder die beiden Spieler noch Fans und Verantwortliche des Gerry Weber-Teams dürften in diesem Moment geahnt haben, dass sie Zeugen der letzten Ballwechsel einer Haller Mannschaft in der Tennis-Bundesliga geworden waren.
Am gestrigen Freitag, zwei Tage vor dem Ablauf der Meldefrist, informierten die Haller Verantwortlichen um Teammanager Ralf Weber und Teamchef Thorsten Liebich den Deutschen Tennis-Bund darüber, dass sie in der kommenden Spielzeit nicht mehr am Spielbetrieb der Bundesliga teilnehmen werden. Am Abend zuvor war die Entscheidung in einer Vorstandssitzung des Vereins diskutiert worden.
Monetäre Gründe ausschlaggebend

Den Ausschlag gaben am Ende „monetäre Gründe" wie Thorsten Liebich auf Nachfrage erklärte. Soll heißen: Dem Verein, der 1995, 2006, 2014, 2015 und 2017 jeweils den deutschen Meistertitel geholt hat und insgesamt sieben Mal Zweiter geworden war, fehlt das Geld, um weiterhin eine schlagkräftige Mannschaft aufzustellen. Zahlen nannte Liebich nicht, bestätigte aber, dass insbesondere die fehlende Zusage der Gerry Weber AG ein finanzielles Risiko dargestellt hätte. „Das wollte der Verein nicht tragen", sagte er.

Der Modekonzern, Hauptsponsor und seit einem Jahr auch Namensgeber des Haller Teams, leidet wie berichtet seit langer Zeit unter dem Rückgang von Umsatz und Profitabilität, musste bereits zahlreiche Mitarbeiter entlassen und machte zuletzt mit der Beauftragung eines Sanierungsgutachtens negative Schlagzeilen. „Wir verändern gerade unsere Denk- und Arbeitsweise grundlegend – ohne jegliche Tabus", erklärte Ralf Weber in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der AG vor einigen Tagen. Die Frage, ob sich das Unternehmen eine Ansammlung erfolgreicher und demnach gut bezahlter Tennisprofis weiter leisten kann und will, dürfte er damals schon im Hinterkopf gehabt haben.
Fokus soll auf Gerry Weber Open liegen
Auf Weltklassetennis sollen die Fans in Halle in Zukunft trotzdem nicht verzichten. In einer Pressemitteilung zerstreute Weber gestern Gerüchte, nach denen auch die Zukunft der Gerry Weber Open, Deutschlands größtem ATP-Turnier, in Frage steht. „Infolge der Abmeldung unseres Bundesliga-Teams werden wir unseren gesamten Fokus fortan auf das Tennis-Vorzeige-Event in Deutschland richten", verspricht er.
Thorsten Liebich informierte gestern die Spieler des Bundesligakaders vom Rückzug. „Natürlich waren alle sehr enttäuscht, weil wir hier so eine geile Truppe hatten. Aber es hat auch niemand angeboten, für die Hälfte des Geldes zu spielen", berichtet er. Zugleich ist Liebich sicher: „Sie werden alle einen neuen Verein finden."
Neuanfang in der Regionalliga
Der TC BW Halle steht derweil vor einem Neuanfang. Weil ein Start in der 2. Bundesliga („Vollkommen uninteressant und teuer", Liebich) nicht in Frage kam, wird die erste Herrenmannschaft der Lindenstädter künftig wie das Damenteam in der Regionalliga spielen. „Es ist uns wichtig, weiterhin den Leistungsgedanken aufrecht zu erhalten", betont Liebich mit Blick auf die ebenfalls in Halle beheimatete Breakpoint Base. Für deren Talente sei die dritthöchste Spielklasse immer noch ein ehrgeiziges Ziel. Die bisherigen Führungsspieler der Reserve wie Lennart Zynga, Justin Eleveld und Christopher Koderisch möchte der Verein gerne halten. Aufsteigen dürfen die Haller laut Reglement in den kommenden zwei Jahren allerdings nicht. Beschlossene Sache ist zudem, dass die Blau-Weißen auch ihr Westfalenligateam abmelden. Den Unterbau soll künftig die zweite Mannschaft in der OWL-Liga bilden.
Unabhängig davon, wie es in Halle konkret weitergeht, blickt Thorsten Liebich Liebich mit einer gehörigen Portion Wehmut auf viele „wahnsinnig schöne und ebenso erfolgreiche Jahre" zurück. Sein Dank geht "an alle, die uns in den vergangenen Jahren begleitet, mitgefiebert und angefeuert haben". Auch ihm persönlich wird in Zukunft ein wichtiger Teil seines Lebens fehlen: „Die Bundesliga war für mich wie mein Baby."
Einwurf
Eine Frage der Vernunft
Christian Helmig
Schluss. Aus. Vorbei. Nach insgesamt 21 Jahren ist das Kapitel Tennis-Bundesliga in Halle beendet. Anders als 1999, als sich die Blau-Weißen in die zweite Liga zurückzogen, um fünf Jahre später stärker denn je wieder anzugreifen, scheint der Buchdeckel diesmal endgültig zugeschlagen.Die Entscheidung tut weh. Sie schmerzt tausende Tennisfans in der Region, die an der Weststraße viele denkwürdige Matches auf Weltklasseniveau erleben durften. Und sie ist eine persönliche Niederlage für die Familie Weber. Mit Herzblut und großem finanziellen Engagement haben Senior Gerhard und sein Sohn Ralf über Jahrzehnte einen der erfolgreichsten Vereine im deutschen Tennissport aufgebaut. Wie schwer ihnen der Abschied fallen muss, lässt die zwischen den Zeilen versteckte Sprachlosigkeit der gestrigen Pressemitteilung erahnen. Keine Antwort auf die Frage nach dem Warum war dort zu finden. Stattdessen der verzweifelt wirkende Versuch, das Aus als eine „neue Herausforderung" zu verkaufen.
Dabei ist dieser Rückzug nichts anderes als eine Frage der Vernunft. Überrascht sein darf davon niemand, der in den vergangenen Wochen die Negativnachrichten über die wirtschaftliche Lage der Gerry Weber AG verfolgt hat.
Im Profisport gehen die Verantwortlichen naturgemäß sparsam mit Zahlen um. Es ist aber kein Geheimnis, dass eine ambitionierte Bundesligamannschaft an einem Spieltag mehr Geld kosten kann, als viele Arbeitnehmer in Deutschland im ganzen Jahr verdienen. Bei Gerry Weber bangen Mitarbeiter um ihre Jobs und die Existenz ihrer Familien. In solchen Zeiten wäre es fast unanständig, wenn der Konzern, dessen Schriftzug seit Jahr und Tag auf den blau-weißen Trikots prangt, weiterhin große Beträge in eine Tennismannschaft investiert. Zumal er dafür keinen Werbewert erhält, der entscheidend zum Erfolg des Unternehmens beiträgt.
Mitleid ist fehl am Platz. Oder wie Tim Pütz gestern sagte: „Um uns Tennisspieler muss sich niemand Sorgen machen. Es gibt sicher viele Menschen, die die Probleme bei Gerry Weber viel schwerer treffen." Dem ist nichts hinzuzufügen.
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