Ex-Nationalspieler Jörg Böhme soll die Spvg. Steinhagen retten

Emotional: Jörg Böhme bejubelt 2014 als Trainer von Energie Cottbus einen Treffer seiner Mannschaft. | © Lars Baron/Getty Images

22.03.2018 | 22.03.2018, 12:52

Steinhagen. Als Carsten Lochmüller am Montagvormittag auf das Gelände der Tankstelle an der Steinhagener Bahnhofstraße fuhr, stutzte er. Der Sportliche Leiter der Spvg. Steinhagen erblickte wenige Meter von sich entfernt eben jenen Mann, den er am Mittag anrufen wollte. Statt einer Telefonnummer wählte Lochmüller also den direkten Weg zu Jörg Böhme, und nach einem weiteren, längeren Gespräch der beiden noch am selben Tag war es beschlossen: Der ehemalige Nationalspieler übernimmt bei den Steinhagenern den Trainerposten. Am Dienstagabend leitete Böhme bereits das Training, am Sonntagnachmittag soll er im Auswärtsspiel bei RW Mastholte erstmals auf der Bank sitzen.

„Ich habe gemerkt, dass er brennt und große Lust darauf hat"

Ein abergläubischer Mensch ist Lochmüller nicht. Und doch fühlt er sich durch die zufällige Begegnung am Montagmorgen in seiner Einschätzung bestärkt, dass Böhme jetzt genau der Richtige für die Spvg. ist. Nämlich derjenige, der die verunsicherte Mannschaft in den verbleibenden elf Begegnungen retten kann. In den vergangenen sieben Spielen holte Steinhagen nur einen Punkt und rutschte auf einen Abstiegsplatz ab. Für ein Happyend spreche nicht nur Böhmes bekannt emotionale Art, die den Linksfuß schon als Spieler auszeichnete, sondern vor allem seine fachliche Kompetenz. Eine weitere entscheidende Voraussetzung: „Ich habe gemerkt, dass er brennt und große Lust darauf hat."

Böhme selbst, der seit seinem ersten Wechsel zu Arminia Bielefeld vor knapp 20 Jahren in Steinhagen lebt, sagte gestern: „Ich möchte der Spvg. gern helfen. Beim Training am Dienstag habe ich gesehen, dass mir Daniel Keller eine gute Mannschaft übergeben hat." Darüber hinaus mochte er sich vorerst nicht äußern, seine volle Konzentration gelte zurzeit der Aufgabe am Sonntag in Mastholte.

Seit der Trennung von Daniel Keller am vergangenen Wochenende habe er „turbulente Tage" erlebt, sagte Lochmüller. Noch am Samstag telefonierte der Sportliche Leiter mit Arno Hornberg über ein mögliches Engagement bei der Spvg. bis Saisonende. Nach der Absage des erfahrenen Übungsleiters tags darauf erkundigte er sich bei Detlev Dammeier. Der ebenfalls in Steinhagen beheimatete Ex-Profi, der zur neuen Saison Westfalenligist Delbrücker SC übernehmen wird, signalisierte Lochmüller, er stehe zwar nicht zur Verfügung, habe aber eine Idee. Dammeier gab Lochmüller den Tipp, es bei Böhme zu versuchen. „Dammi kennt Jörg aus der gemeinsamen Zeit bei Arminia, nicht nur als Spieler, sondern auch als Trainer der U 19", sagt Lochmüller, „und er hat versichert, dass Jörg qualitativ gut abliefern wird."

"Wir wollten jemanden, der in dieser schwierigen Situation die Köpfe der Spieler aufmeißeln kann."

Böhme, der für Schalke 04, Borussia Mönchengladbach, Arminia Bielefeld, 1860 München und Frankfurt 232 Mal in der Bundesliga auflief und zwischen 2001 und 2003 zehn Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft bestritt, bestand 2013 die Prüfung zum Fußball-Lehrer. Nachdem er 2014 Cottbus in der Zweiten Liga trainiert hatte, war er zuletzt in der Saison 2015/16 als Co-Trainer von Schalke 04 II tätig.

Das Anforderungsprofil, das Lochmüller für den Neuen erstellte, habe einerseits Kenntnisse der Steinhagener Mannschaft und der Landesliga enthalten. „Zugleich", betonte er, „wollten wir jemanden, der in dieser schwierigen Situation die Köpfe der Spieler aufmeißeln kann." Eben darin sieht er Böhmes vordringliche Aufgabe. Detailliertes Wissen über die eigenen sowie gegnerische Spieler und die Eigenheiten der Liga soll Daniel Eikelmann beisteuern. Er, den Lochmüller als loyal und fachlich unumstritten bezeichnet, steht weiterhin und bis Saisonende als Co-Trainer zur Verfügung. In der Pflicht sei nun in erster Linie aber die Mannschaft, betonte Lochmüller: „Die Jungs sind jetzt am Zug, es gibt keine Ausreden mehr."

Im Sommer, sagte Lochmüller, werde wie geplant Tobias Brockschnieder den Cheftrainerposten übernehmen. Daran werde sich trotz der jüngsten Entwicklung nichts ändern. Die vorläufige Lösung heißt Jörg Böhme, und „mit Tobi sind wir für die kommende Saison perfekt aufgestellt".

KOMMENTAR DER REDAKTION



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Chance für beide Seiten

Chapeau, Spvg. Steinhagen! Dem Verein ist es gelungen, in Jörg Böhme einen lizenzierten Fußball-Lehrer mit beeindruckender Profilaufbahn in die Niederungen der Siebten Liga zu locken. Dass dies ein echter Coup ist, lässt sich bereits jetzt feststellen – unabhängig von der noch zu klärenden Frage, ob diese Konstellation von Erfolg, sprich: vom Klassenerhalt, gekrönt sein wird. Die Steinhagener verbinden mit der Verpflichtung des Trainers die Hoffnung, doch noch die Kurve zu bekommen. Eine Chance bietet die Zusammenarbeit aber auch für Böhme selbst. In Zeiten, in denen vielerorts junge Trainer ohne Profivergangenheit gefragt sind, könnte sich seine Tätigkeit bei der Spvg. bei Erreichen des Ziels nicht nur als erfolgreiche Nachbarschaftshilfe, sondern als Sprungbrett erweisen.

Ein Kommentar von Philipp Kreutzer