Sind die Olympischen Spiele in Gefahr? IOC-Boss Thomas Bach im Interview | Haller Kreisblatt

Herr Bach, in welchem Zustand übergeben Sie das IOC? Ich glaube, in einem sehr stabilen Zustand – und zwar in zweierlei Hinsicht: Meine Nachfolge findet eine große finanzielle Stabilität und eine hohe Relevanz und Popularität der Olympischen Spiele vor. Sie wollten die Olympischen Spiele nachhaltiger gestalten. Wie sehr ist Ihnen das gelungen? Wir haben in Paris sehr deutlich gesehen, dass unsere Reformen erfolgreich waren. Dafür nur zwei Faktoren: Der CO2-Fußabdruck ist um mehr als die Hälfte reduziert worden im Vergleich zu den Spielen zuvor. 95 Prozent der Sportstätten in Paris waren zudem bereits vorhanden, was dabei geholfen hat, die Kosten und den CO2-Fußabdruck erheblich zu reduzieren. Diese Erfolge und unser revolutionäres neues Auswahlverfahren haben schließlich dazu geführt, dass wir für die Austragungen 2036 und 2040 bereits jetzt eine zweistellige Anzahl an Kandidaten haben. Das gab es noch nie. Kritiker sagen, dass die neue Dialogvergabe undemokratisch ist. Im Gegenteil. Wie in Parlamenten auch beraten zunächst die Ausschüsse, machen Vorschläge. Dann geht es zur Diskussion und Abstimmung ins Plenum. In jedem Gemeinderat gibt es Ausschüsse, die über Investitionen oder Finanzen beraten. Nichts anderes machen wir bei der Vergabe der Olympischen Spiele. Dies hat dazu geführt, dass es im Gegensatz zum alten Verfahren bei keiner der nach dem neuen Verfahren vergebenen Spiele Anschuldigungen von Vorteilsnahme oder Korruption gegeben hat. Paris hat spektakuläre Bilder geboten. Wie wichtig war das für die Olympische Bewegung nach den schwierigen Spielen davor? Es waren die ersten Spiele, die sich voll an der olympischen Agenda orientiert haben. Da haben wir die Agenda zum ersten Mal zum Leben erweckt. Denn was war sie denn vorher? Sie war eine Vision, ein Blatt Papier, nicht mehr als Pläne. Viele, auch intern, konnten das Wort nicht mehr hören. Wenn ich den Begriff Olympische Agenda verwendet habe, hieß es: Puh, jetzt kommt er schon wieder mit dem Ding. Doch Paris hat diese Idee zum Leben erweckt. Sie ist Realität geworden und entsprechend wichtig für zukünftige Ausgaben der Spiele. Als ich angefangen habe, hatten wir praktisch keine Bewerber mehr. Die Olympische Agenda hat das verändert. Sie werden in Deutschland kritisch gesehen. Verstehen Sie die Skepsis? Die Bewertung überlasse ich Ihnen. Über fehlende internationale Zustimmung kann ich mich jedoch nicht beklagen. Und ich bin immerhin für 206 Nationale Olympische Komitees zuständig. Insbesondere zu Beginn Ihrer Amtszeit hatten Sie auch im Zuge der Winterspiele 2014 im russischen Sotschi ein enges Verhältnis zu Wladimir Putin. Wie bewerten Sie dies heute? Im Hinblick auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi haben wir sehr gut mit ihm zusammengearbeitet – wie wir mit jeder Regierung, jedem Staatsoberhaupt eines Gastgeberlandes gut zusammenarbeiten. So war es später auch mit den Staatschefs und Regierungen in Brasilien, in Südkorea, in Japan, in China und schließlich mit Emmanuel Macron und der französischen Regierung. Sehr bald nach den Spielen von Sotschi wurde jedoch das staatlich geförderte Doping in Russland publik, was das Verhältnis stark eingetrübt hat. Durch unsere Maßnahmen nach der Invasion der Ukraine ist das Verhältnis zu Russland nun nicht nur vollständig eingefroren, es hat sich auch ins Gegenteil verkehrt. Seitdem werde ich in Russland als Nazi bezeichnet. Sie haben es trotz des von Ihnen immer wieder postulierten unpolitischen sportlichen Wettkampfs hingenommen, dass die veranstaltenden Regierungen die Olympischen Spiele innenpolitisch ausgenutzt haben für Zwecke, für die die Olympische Bewegung möglicherweise nicht steht. Das veranstaltende Land muss immer das Recht haben, seine Kultur zu präsentieren. Wir haben ein anderes Konzept als zum Beispiel die Formel 1. Das heißt, wir packen nicht alles bis zum Caterer in ein paar Jumbojets, um dann die Spiele an jedem Ort uniform zu veranstalten. Die Faszination der Olympischen Spiele rührt auch daher, dass sich unterschiedliche Kulturen präsentieren. Das hat aber auch seine Grenzen. Deswegen darf das Staatsoberhaupt des gastgebenden Landes bei der Eröffnungsfeier nur einen vorgeschriebenen Satz sagen. Im Gegensatz zu anderen Sportveranstaltungen erlauben wir Politikern auch nicht, an Siegerehrungen teilzunehmen. Dass sich Regierungen über die Olympischen Spiele innenpolitisch profilieren, ist notwendiges Übel? Nein, das muss kein Übel sein. Ich habe nichts dagegen, wenn sich eine Regierung seiner sportbegeisterten Bevölkerung gegenüber profiliert, indem sie glänzende Olympische Spiele ermöglicht. Das ist nicht nur legitim. Das ist in Teilen willkommen. In Frankreich wurden die Spiele dazu genutzt, um an den Schulen mehr Sportunterricht einzuführen. Und die Vereine haben explosionsartige Zuwachsraten. Das sind willkommene Effekte. .responsive23-FffjAPOsdIE5pPvy-bar-stacked-horizontal-ewiger-medaillenspiegel-der { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-FffjAPOsdIE5pPvy-bar-stacked-horizontal-ewiger-medaillenspiegel-der { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-FffjAPOsdIE5pPvy-bar-stacked-horizontal-ewiger-medaillenspiegel-der { padding-top: 142.86%; } } Welche Herausforderungen kommen auf Ihre Nachfolger zu? Mein Nachfolger oder meine Nachfolgerin muss die Einheit der olympischen Bewegung erhalten. Aufgrund der gewachsenen Relevanz der Olympischen Spiele wollen viele ein Stück vom Kuchen des Erfolgs abhaben. Und in der gerade neu entstehenden Weltordnung wird jeder der neuen Blöcke versuchen, die olympische Bewegung, die Spiele, auf seine Seite zu ziehen. Ich kann nur hoffen, dass unsere Politik der Werte erhalten bleibt und die Spiele nicht zu einem konventionellen kommerziellen Transaktionsgeschäft verkommen. In manchen Sportarten und Verbänden kann man entsprechende Entwicklungen schließlich bereits beobachten. Die Politik des IOC wird das hoffentlich nicht werden, denn dann müssten auf Werten und Solidarität basierende Entscheidungen unter dem kommerziellen Gesichtspunkt der Rentabilität betrachtet werden. Wie passt denn diese Werteorientierung zu den für zwölf Jahre nach Saudi-Arabien vergebenen Olympischen eSports-Spielen? Saudi-Arabien hat in den vergangenen Jahren eine extrem positive Entwicklung im Sport genommen. Frauen und Mädchen haben vollen Zugang zum Sport, werden identisch gefördert wie Männer und Jungen. So hat sich für Paris eine saudische Taekwondo-Kämpferin qualifiziert. Sport ist zum Teil der Alltagskultur geworden. In diesem Zusammenhang gibt es eine Partnerschaft über zwölf Jahre. Und die ersten eSports-Spiele werden dort auch 2027 stattfinden. Über die Ausgaben danach ist aber noch nicht entschieden. Das wird von meiner Nachfolge gemeinsam mit Saudi-Arabien zu erörtern sein. Wir haben immer Wert darauf gelegt, dass eine gewisse Offenheit erhalten bleibt. Wie muss sich denn der Sport mit Blick auf die fortschreitende Digitalisierung verändern? Müssen Regeln mit Blick auf die TikTok-Generation verändert werden? Der Sport hat zunächst mal den Vorteil, dass sich für ihn die ultimative ethische Frage nicht stellt. Kann Künstliche Intelligenz den Menschen ersetzen? Nein, denn die 100 Meter müssen immer von einem Menschen gelaufen werden. Die Frage ist eher, wie KI die Organisation des Sports besser, schlanker und effizienter machen kann – sei es für das Livepublikum oder für die Zuschauer am Fernsehschirm. Ein Beispiel: Wenn beim Turmspringen mithilfe von KI die Rotationen sofort angezeigt und verglichen werden können, lässt sich viel besser nachvollziehen, warum jemand Gold gewonnen hat und ein anderer nur auf dem vierten Platz gelandet ist. Anders gefragt: Entsprechen Wettkämpfe, wie sie heute ausgetragen werden, noch dem Konsumverhalten nachwachsender Generationen? Der Sport und seine Präsentation müssen sich anpassen. Das wird auch zu Regeländerungen führen, weil die Aufmerksamkeitsspanne der jungen Generation immer kürzer wird. Und je schneller sich die Sportarten anpassen, umso besser. Hand aufs Herz: Wie schwer ist es Ihnen gefallen, ihren Fans im IOC zu widerstehen, die Sie lautstark zu einer weiteren Amtszeit bewegen wollten? Ich habe nie ernsthaft darüber nachgedacht. Es hatte immer mal wieder Versuche gegeben, mich umzustimmen. Bei der IOC-Session in Mumbai ein knappes Jahr vor Paris kam das Thema plötzlich offen auf den Tisch. Und da habe ich intuitiv die Chance gesehen, aus dem Wahlkampf, der dort von einigen Kandidaten schon heftig betrieben wurde, die Luft rauszulassen und auf Zeit zu spielen. Das IOC brauchte Einigkeit. Wir waren mittendrin in der Russlandfrage und kurz nach dem Überfall der Hamas auf Israel. Rund um die anstehenden Spiele in Paris waren die Sicherheitsbedenken groß. Wir konnten kein IOC gebrauchen, in dem Wahlkampf betrieben wird und Entscheidungen nur mit Blick auf die Wahlen gefällt werden. Deswegen habe ich die Frage einer erneuten Kandidatur in der Schwebe gehalten und meine Entscheidung auch erst am Ende der Spiele von Paris bekannt gegeben. Es hat funktioniert. Aus dem Wahlkampf war vorübergehend die Luft raus. Dafür ist er jetzt in vollem Gange. Das wird interessant. Wie wollen Sie ihre freie Zeit denn zukünftig füllen? Ich werde erst mal mindestens vier Wochen schlafen. Und dann werde ich eine Pilgerwanderung auf dem Jakobsweg machen und mich ganz alleine inspirieren lassen. Wenn ich zurück bin, werde ich mal sehen, ob andere Leute Ideen hatten, wie ich mich nützlich machen kann. Wenn niemand eine Idee hat, werde ich mir selbst Gedanken machen müssen. Für eine Sportorganisation werde ich nicht mehr tätig werden.

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