Fall Lippstadt

Abtreibungsverbot für Bielefelder Chefarzt: Wie weit reicht kirchliches Arbeitsrecht?

Der Streit zwischen dem Klinikum Lippstadt und dem Mediziner Joachim Volz wirft ein Schlaglicht auf die Sonderrechte kirchlicher Arbeitgeber. Die Gewerkschaft Verdi fordert die Gleichstellung kirchlicher Mitarbeiter.

In Lippstadt kämpft der Bielefelder Gynäkologe Joachim Volz gegen das Abtreibungsverbot des Klinikums Lippstadt. Unterstützt wurde er dabei vor der ersten Gerichtsverhandlung von 2.000 Demonstranten. | © Mike-Dennis Müller

Carolin Nieder-Entgelmeier
22.08.2025 | 22.08.2025, 12:00

Lippstadt/Bielefeld. Als Chefarzt Joachim Volz am 8. August vor dem Arbeitsgericht Hamm gegen das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen im Klinikum Lippstadt kämpft, wird der Bielefelder Gynäkologe von 2.000 Demonstranten begleitet. In dem Krankenhaus gilt seit der Fusion dreier Kliniken katholisches Kirchenrecht. Teil der Demonstration sind auch Vertreter der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), die gleiche Rechte für Mitarbeiter kirchlicher und weltlicher Arbeitgeber fordern. „Der Fall Lippstadt zeigt, wie vielfältig die Nachteile für Beschäftigte kirchlicher Arbeitgeber sind“, erklärt Gewerkschaftssekretär Tom Bergmann von Verdi in OWL.

Chefarzt Volz darf seit der Fusion keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchführen. Diese waren vor der Fusion im damals evangelischen Krankenhaus bei medizinischer Indikation erlaubt. Volz ist mit seiner Klage in erster Instanz gescheitert. Nach Angaben des Gerichts darf ihm das Klinikum Lippstadt als Arbeitgeber Abbrüche untersagen, und zwar nicht nur in dem Krankenhaus, sondern auch in seiner Praxis für Reproduktionsmedizin in Bielefeld. Volz hat Berufung angekündigt.

Nach Angaben von Kirchenrechtler Thomas Schüller, Direktor des Instituts für Kanonisches Recht an der Universität Münster, konnte das Gericht nicht anders urteilen. „Der Fall ist arbeitsrechtlich eindeutig.“ Krankenhäuser in katholischer Trägerschaft verfügen nach Angaben Schüllers wie andere Arbeitgeber auch über ein Direktionsrecht, das Anweisungen an Mitarbeiter erlaubt. Außerdem seien Einrichtungen dieser Art Tendenzbetriebe, die Schwerpunkte setzen dürften. „Darüber hinaus verfügen die katholische Kirche und andere Religionsgemeinschaften in Deutschland über ein Selbstbestimmungsrecht, das es ihnen ermöglicht, interne Angelegenheiten selbst zu regeln.“

Abtreibungsverbot soll auch für Praxis in Bielefeld gelten

Thomas Schüller ist Direktor des Instituts für Kanonisches Recht an der Universität Münster. - © picture alliance/dpa
Thomas Schüller ist Direktor des Instituts für Kanonisches Recht an der Universität Münster. (© picture alliance/dpa)

Verdi sieht das anders. „Die Kirchen haben ein Selbstverwaltungsrecht, das sie inzwischen jedoch als Selbstbestimmungsrecht verinnerlicht haben. Unabhängig davon, gilt grundsätzlich auch für die Kirchen das weltliche Arbeitsrecht“, erklärt Gewerkschaftssekretär Bergmann. Das kirchliche Arbeitsrecht erlaube Sonderregeln, die jedoch Ungleichbehandlungen nur in Ausnahmefällen rechtfertigten.

Bergmann ist vom Urteil des Arbeitsgerichts im Lippstädter Fall überrascht. „Klar ist, dass der Arbeitgeber das Verbot für das Krankenhaus in Lippstadt verhängen darf. Aber warum sollte das Verbot auch für die Praxis in Bielefeld gelten?“ Grundsätzlich dürften Arbeitgeber Nebentätigkeiten untersagen, sagt Bergmann. Doch nur wenn berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt würden, „beispielsweise durch Konkurrenz, Gefährdung der Arbeitsleistung, Verstoß gegen gesetzliche Arbeitszeitregelungen oder Beeinträchtigung der Gesundheit des Arbeitnehmers im Hauptjob“. In Lippstadt habe das Klinikum dem Chefarzt jedoch die zusätzliche Tätigkeit in der eigenen Praxis nicht untersagt.

Tim Bergmann ist Gewerkschaftssekretär bei Verdi in OWL. - © Verdi
Tim Bergmann ist Gewerkschaftssekretär bei Verdi in OWL. (© Verdi)

Kirchliches Arbeitsrecht hat sich verändert

Bergmann hofft, dass Volz in Berufung geht, damit sich weitere Instanzen mit dem Fall befassen. „Es wird sehr spannend, denn auch das kirchliche Arbeitsrecht hat Grenzen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat kirchlichen Arbeitgebern bereits Grenzen gesetzt.“ So urteilte er etwa, dass kirchliche Arbeitgeber nicht pauschal von all ihren Mitarbeitern eine bestimmte Religionszugehörigkeit fordern dürfen und dass die Kündigung von Mitarbeitern wegen einer Wiederheirat nach einer Scheidung verboten ist.

Schüller bestätigt, dass das kirchliche Arbeitsrecht im Wandel ist. „Seit 2023 gilt, dass Mitarbeiter, die in zweiter Ehe oder in einer homosexuellen Partnerschaft leben, nicht mehr mit einer Kündigung rechnen müssen.“ Das habe die Bischofskonferenz mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH entschieden, erklärt Schüller. „Die katholische Kirche mischt sich seitdem zum Glück nicht mehr in das Privatleben ein.“

Verdi: „Mitarbeiter kirchlicher Arbeitgeber haben Nachteile“

Aus Sicht von Verdi reicht diese Änderung aber nicht für eine Gleichstellung kirchlicher Mitarbeiter mit Beschäftigten weltlicher Arbeitgeber aus. „Mitarbeiter kirchlicher Arbeitgeber haben Nachteile“, moniert Bergmann. Zwar orientierten sich Kirchen sowie Caritas und Diakonie in weiten Teilen an den Tarifverträgen und zahlten in manchen Bereichen sogar besser, doch mit Blick auf die Arbeitszeit „sind Beschäftigte oft schlechter gestellt und bei der Mitbestimmung und beim Arbeitskampf deutlich eingeschränkt“. In Krankenhäusern gebe es für Ärzte zudem Vorgaben, ob sie Frauen vollumfänglich versorgen dürften, wie das Abtreibungsverbot in Lippstadt zeige.

Verdi kritisiert das scharf. „Kirchliche Arbeitgeber betreiben Krankenhäuser, Kindergärten, Pflegeheime und viele weitere Einrichtungen, die fast ausschließlich mit öffentlichen Mitteln finanziert werden“, erklärt Bergmann. „Und in solchen öffentlich finanzierten Einrichtungen werden Mitarbeiter benachteiligt. Das passt nicht zusammen.“ Verdi geht davon aus, dass der Gesetzgeber die betroffenen Mitarbeiter stärken kann. Dafür sind nach Angaben Bergmanns Gesetzesänderungen nötig und möglich, um Diskriminierung zu verhindern und den Mitarbeitern eine wirksamere demokratische Teilhabe zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.

Bergmann hofft, dass es der Fall aus Lippstadt bis vor den Europäischen Gerichtshof schafft. „Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland steht mit den europäischen Arbeitnehmerrechten in Konflikt.“