So reicht der Einfluss des türkischen Präsidenten Erdogan bis nach OWL

Bielefeld. Als Adil Karaismailoglu in einem schwarzen BMW vor einem großen Hochzeitssaal im Süden Bielefelds vorfährt, wird er euphorisch mit Handschlag von einigen Männern im Anzug begrüßt. Sie gehören zur ostwestfälischen Union Internationaler Demokraten, kurz UID. Eine Lobbyorganisation der türkischen AKP um den umstrittenen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Auch Karaismailoglu gehört zur AKP, war bis 2023 sogar mal Transport- und Infrastrukturminister in der Türkei. An diesem Tag im März besuchte er ein gemeinsames Fastenbrechen, auch Iftar genannt, in Bielefeld. Experten sind sich sicher: Besuche wie diese dienen auch dazu, Erdogans Einfluss hierzulande zu stärken. Regelmäßig kommen Politiker nach Deutschland. Vor allem von der AKP, aber auch von der rechtsextremen MHP oder der islamistischen Saadet-Partisi. Dass Vertreter aus den Reihen Erdogans nach NRW kamen, war besonders in den vergangenen Wochen zu beobachten: mal hochrangige Funktionäre, mal (ehemalige) Minister oder Abgeordnete. Sie alle kamen auf Einladung der UID. Bei einer Veranstaltung der UID Dortmund trat sogar der ehemalige Fußballer und Erdogan-Fan Mesut Özil auf. Er gehört mittlerweile zum Vorstand der AKP. Ein Beobachter berichtet über die sogenannten Iftar-Veranstaltungen: &bdquo;Die Themen sind immer dieselben: die Größe der Türkei, die Bedeutung der Auslandstürken für die Heimat und die wichtige Mission der UID.“ Und: &bdquo;Die Botschaften, die bei den Iftar-Veranstaltungen vermittelt werden, bieten keine Lösungen für die realen Probleme der Türken in Deutschland - sie dienen lediglich der politischen Inszenierung.“ UID gilt als &bdquo;Auslandserweiterung“ der türkischen AKP Der NRW-Verfassungsschutz urteilt derweil: &bdquo;Besuche von AKP-Politikern - insbesondere zu herausgehobenen Anlässen - dienen der Platzierung politischer Botschaften.“ Solche Treffen können das Interesse und die Sympathien auch einer potenziellen Wählerschaft steigern. Die UID selbst wurde einst gegründet, um soziale und politische Rechte von Türken in Europa zu stärken. Doch mit der Zeit wurde aus der Organisation laut Verfassungsschützern eine Lobbyorganisation der AKP, für Beobachter eine &bdquo;Auslandserweiterung“ der Partei. Laut Nachrichtendienst in NRW stellt die UID sogar &bdquo;wichtigste Einflussnahmeorganisation der türkischen Diaspora-Politik in NRW“ dar. Mitglieder der UID als Wahlkämpfer für Erdogan Ziel solcher Strukturen ist es laut NRW-Verfassungsschutz, türkische und türkischstämmige Menschen entlang vielfach identitätspolitischer Narrative nachhaltig an die Türkei zu binden. &bdquo;Gleichzeitig wird versucht, Kritik an Entwicklungen in der Türkei zu unterbinden“, erklärt eine Sprecherin. Unter anderem durch Freund-Feind-Narrative werden die Differenzen zwischen Deutschland und der Türkei plakativ herausgestellt. Aus Sicht des Verfassungsschutzes betreibt die türkische Regierung generell eine aktive und oftmals desintegrative Diasporapolitik. Dabei könne sie auf eine Vielzahl fest verankerter Akteure in der NRW-Gesellschaft zurückgreifen. Auffällig ist: Stehen in der Türkei beispielsweise Wahlen an, nehmen Aktivitäten noch weiter zu. In OWL sind beispielsweise Mitglieder der UID als Wahlkämpfer für Erdogan aufgefallen: In der gesamten Region verteilten die Anhänger Flyer in Briefkästen von Personen, die bei den Wahlen in der Türkei stimmberechtigt sind. Ebenso kamen türkische AKP-Politiker nach Deutschland, um die Werbetrommel für ihren Präsidenten Erdogan zu schlagen. Besuchen diese auch noch Moscheen, findet dies überraschend oft in Einrichtungen der islamischen Organisation DITIB statt. 2023 beispielsweise trat ein AKP-Abgeordneter passend zum Wahlkampf bei DITIB in Minden auf. Vorwürfe gegen DITIB in NRW So überraschend finden Experten wie Eren Güvercin das jedoch nicht. Schon lange steht DITIB in der Kritik und ist mit dem Vorwurf konfrontiert, ein Instrument in Erdogans Macht-Apparat in Deutschland zu sein, was der Verband abstreitet. Der Grund: Faktisch untersteht DITIB mit dem türkischen Präsidium für religiöse Angelegenheiten Erdogan selbst. Imame, die in DITIB-Gemeinden tätig sind und von der türkischen Religionsbehörde nach Deutschland geschickt wurden, sind laut Güvercin türkische Staatsbeamte. Tatsächlich lassen Recherchen in sozialen Medien durchaus den Schluss zu, dass es beispielsweise bei UID-Vertretern aus OWL eine gewisse Nähe zu DITIB-Einrichtungen in der Region gibt. Güvercin sind Verbindungen wie diese bestens bekannt. Er berichtet von einer &bdquo;interessanten“ Entwicklung: &bdquo;Bisher sind türkische AKP-Politiker vor allem in Wahlkampfzeiten nach Deutschland gekommen. In diesem Jahr auch während Ramadan. Die UID scheint gemerkt zu haben, dass während dieser Zeit noch mehr Menschen zu erreichen sind.“ Womöglich also genaues Kalkül, um den Einfluss Erdogans noch weiter auszubauen. Erdogan hat großen Einfluss in Deutschland Güvercin beschreibt den Einfluss Erdogans auf die türkische Diaspora in Deutschland derweil als &bdquo;extrem groß“. &bdquo;Deutschland ist ein wichtiges Land, vor allem wegen der Wählerstimmen hier“, sagt er. Um Einfluss zu nehmen, bediene sich Erdogan auch anderen Strukturen. Laut Güvercin spielen dabei auch andere Moscheegemeinden eine Rolle, zum Beispiel die &bdquo;Islamische Gemeinde Milli Görüs“ (IGMG) oder solche aus dem Spektrum der Grauen Wölfe (also türkische Rechtsextreme). &bdquo;Ideologisch gibt es bei solchen Vereinen immerhin klare Anknüpfungspunkte zur AKP“, sagt Güvercin. &bdquo;Auch solche Vereine werden beispielsweise von AKP-Politikern besucht.“ Doch wie groß ist Erdogans Einfluss generell in Deutschland? Laut Güvercin durchaus beachtlich. Das liege auch an anderen Strukturen. Etwa den Generalkonsulaten. &bdquo;In der Regel sind die leitenden Personen dort auf Erdogans Linie“, sagt Güvercin. Der für Ostwestfalen zuständige Generalkonsul aus Münster besucht beispielsweise regelmäßig Kommunalpolitiker. Vor gut einem Jahr beispielsweise den Bielefelder Oberbürgermeister Pit Clausen. Den Tag, so schreibt das Konsulat später, nutze der türkische Vertreter auch, um &bdquo;erfolgreiche Geschäftsleute“ in der Region zu besuchen. Zum Beispiel den OWL-Vorsitzenden der UID. Weitere Einflussnahme durch AKP-nahe Partei? Zurück zu Karaismailoglu und seinem Besuch in Bielefeld. Fotos zeigen, dass der AKP-Politiker in dem Hochzeitssaal vor einer dreistelligen Zuschauerzahl eine Rede hält. Worüber? Unklar. Wahrscheinlich, so meinen Experten wie Güvercin, ist sie aber politisch. Für Experten ebenso wenig überraschend: Auch ein Vertreter des türkischen Generalkonsulats Münster ist zu Gast, spricht vor den Zuschauern. Für Güvercin ist derweil klar: Erdogan wird auch künftig versuchen, seinen Einfluss in Deutschland auszubauen. Vielleicht sogar politisch? Eine recht neue Partei namens Dava (Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch) weist laut dem Experten klare Bezüge zu dem türkischen Präsidenten auf. &bdquo;Führende Personen sind in einschlägigen Strukturen aktiv, haben entsprechende Verbindungen oder bekennen sich zu Erdogan. Zudem sind die politischen Ziele mit denen der AKP kompatibel“, ordnet Güvercin ein. Für ihn ist die Partei ein Instrument Erdogans zur politischen Einflussnahme in Deutschland. Einzelne Vertreter dementierten solche Einschätzungen. Die Dava-Partei hat vor wenigen Monaten einen Landesverband in NRW gegründet. Und: Schon bald sollen erste Ortsverbände der AKP-nahen Partei entstehen. Vielleicht ja auch in Ostwestfalen.

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