Wettbewerbsverzerrung? Kirchliche Kliniken in OWL fürchten um ihre Existenz

Berlin/Bielefeld. Die deutsche Krankenhausgesellschaft ist alarmiert: Die wirtschaftliche Lage der Kliniken in Deutschland ist so dramatisch wie noch nie. Seit Einführung des Fallpauschalensystems 2003 haben noch nie so viele Krankenhäuser Verluste verzeichnet. 80 Prozent gehen für 2024 von einem Defizit aus und rechnen für 2025 mit weiteren Verlusten. Im Kampf um das Überleben der Krankenhäuser kritisieren freigemeinnützige und private Träger eine Wettbewerbsverzerrung im System, weil Kreise und Städte trotz knapper Kassen die immer größer werdenden Defizite kommunaler Kliniken mit Steuergeldern ausgleichen, während sie leer ausgehen. Am Beispiel der Kliniklandschaft in OWL wird die Schieflage in der Finanzierungspraxis deutlich. Die Krankenhäuser werden in Deutschland über zwei Säulen finanziert. Die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen tragen die Betriebskosten, unter anderem für die medizinischen Leistungen. Die Bundesländer tragen die Investitionskosten, kommen dieser gesetzlichen Pflicht aber bereits seit Jahrzehnten nicht auskömmlich nach. Dritte Säule der Finanzierung für kommunale Krankenhäuser Für kommunale Krankenhäuser hat sich nach Angaben der freigemeinnützigen und privaten Klinikträger in den vergangenen Jahren mit dem Ausgleich von Defiziten durch Steuergelder eine dritte Säule der Finanzierung etabliert, obwohl Kommunen im Gegensatz zu den Ländern keinen gesetzlichen Auftrag zur Sicherstellung der Krankenversorgung haben. Untersuchungen des Deutschen Städtetages und des Deutschen Landkreistages zeigen, dass Kommunen für Defizitausgleiche ihrer Krankenhäuser allein im vergangenen Jahr etwa fünf Milliarden Euro an Steuergeldern ausgegeben haben, um Insolvenzen zu verhindern. Eine Entwicklung, die Kommunen nach Angaben von Städtetags-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy nicht länger schultern können. &bdquo;Die Kommunen sind nicht länger in der Lage, für die Krankenhäuser als Ausfallbürgen einzuspringen und sie mit Beträgen in teils dreistelliger Millionenhöhe pro Jahr zu bezuschussen. Das Geld fehlt sonst, um Kitas, Schulen oder den öffentlichen Nahverkehr zu finanzieren.“ Zehn Prozent des Umsatzes kommen aus Steuergeldern Fünf Milliarden Euro pro Jahr entsprechen etwa zehn Prozent des Umsatzes kommunaler Krankenhäuser in Deutschland, auf die etwa 35 Prozent der stationären Versorgung entfallen, denn nach Angaben des Statistischen Bundesamtes erwirtschaften die kommunalen Kliniken insgesamt etwa 50 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Ähnlich hoch sind die Umsätze der Krankenhäuser in privater sowie in freigemeinnütziger Trägerschaft. Daten der Insolvenzgerichte in Deutschland zeigen, dass die meisten Klinikinsolvenzen in den vergangenen zwei Jahren Häuser in freigemeinnütziger Trägerschaft betreffen. Auch in OWL gleichen Kommunen mitunter jährlich Defizite in zweistelliger Millionenhöhe ihrer Krankenhäuser aus oder helfen mit weiteren Formen öffentlicher Beihilfe wie Zuschüssen für Betriebskosten oder Investitionen oder der Gewährung von Darlehen oder Bürgschaften. So beschloss der Kreistag Herford im Dezember 2024, dass der Kreis auf die Rückzahlung von 15 Millionen Euro verzichtet, die er den Kreiskliniken Herford-Bünde vor vier Jahren gewährt hatte. Im Sommer 2024 bewahrte die Stadt Bielefeld das Klinikum Bielefeld mit einer Finanzspritze von 18,9 Millionen Euro vor der Zahlungsunfähigkeit. Und im Sommer 2023 bewilligte der Kreistag Minden-Lübbecke die Übernahme des Defizits der Mühlenkreiskliniken in Höhe von 26,1 Millionen Euro. Kirchliche Kliniken stärker von Insolvenzen bedroht Die Entwicklungen in OWL zeigen, dass auch gewaltige Defizite im zweistelligen Millionenbereich nicht zwingend zu Insolvenzen führen müssen. Anders ist das bei Krankenhäusern in freigemeinnütziger Trägerschaft, wie das Beispiel der St.-Vincenz-Kliniken Paderborn zeigt, die im Sommer 2023 infolge eines Defizits von etwa 21,3 Millionen Euro im Jahr davor einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung stellten. Die Kliniken konnten nach einer Umstrukturierung gerettet werden und in der Trägerschaft der Barmherzigen Schwestern vom hl. Vincenz von Paul bleiben und im Frühjahr 2024 das Insolvenzverfahren beenden. Selbstverständlich sind Klinikrettungen dieser Art aber nicht, wie die Schließung des evangelischen Krankenhauses Holzminden im November 2023 zeigt. Als Träger von 96 Krankenhäusern fürchten der Zweckverband freigemeinnütziger Krankenhäuser Münsterland und Ostwestfalen und der Zweckverband der Krankenhäuser Südwestfalen um die Existenz ihrer Einrichtungen. &bdquo;Die Schmerzgrenze, für die bisher immer klaglos ohne Subventionen und auch ohne Kirchensteuermittel wirtschaftenden kirchlichen Krankenhäuser ist erreicht“, sagt Georg Rüter, Vorstandsvorsitzender des Zweckverbands freigemeinnütziger Krankenhäuser Münsterland und Ostwestfalen. &bdquo;Im Durchschnitt müssen kommunale Krankenhäuser zehn Prozent ihres Umsatzes nicht selbst erwirtschaften, weil es aus dem Steuertopf zugeschossen wird. Das sind Größenordnungen, die aktuell über das Überleben von Kliniken entscheiden.“ Krankenhäuser aller Träger haben Anspruch auf Gleichbehandlung Ein Gutachten der Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf der Universität Potsdam von 2023, das die Spitzenverbände der privaten und der freigemeinnützigen Kliniken in Auftrag gegeben haben, kommt zu dem Ergebnis, dass Krankenhäuser aller Träger Anspruch auf Gleichbehandlung haben. &bdquo;Konkret bedeutet das, dass die Kommunen, die sich freiwillig für einen Defizitausgleich bei kommunalen Krankenhäusern entscheiden, diesen Anspruch auch gegenüber den freigemeinnützigen und privaten Krankenhäusern erfüllen müssen“, erklärt Brosius-Gersdorf. &bdquo;Deshalb stellt die derzeitige Praxis einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes und gegen das europäische Beihilfenrecht dar.“ Rüter fordert ein Ende der Wettbewerbsverzerrung, die sich vor allem in Städten wie Bielefeld oder Kreisen wie Herford zeigt, in dem Krankenhäuser verschiedener Träger Patienten versorgen. &bdquo;Wir fordern die Bundes- und Landespolitik auf, die ausufernde Praxis der Finanzierung durch den Steuerzahler einzustellen. Auch zum Schutz der Trägervielfalt in Deutschland, die für das Gesundheitssystem wichtig ist, weil Patienten dann weiter die Wahl haben.“

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