Missstände an Schulen: Schülersprecher über „marodes System“ und die Folgen

Herr Bala, in NRW finden nur 77,5 Prozent aller Unterrichtsstunden gemäß Lehrplan statt. Wie nehmen Schüler diese Ausfälle wahr? Elias Bala: Es gibt einfach keine Verlässlichkeit, das schafft bei vielen Schülerinnen und Schülern große Unsicherheit und befeuert den Leistungsdruck, den viele verspüren. Von dem Klischee, dass Jugendliche sich freuen, wenn der Lehrer nicht zum Unterricht kommt, ist nicht mehr viel geblieben. Heute fragen sich viele stattdessen bange, wie sie so das Pensum an Schulstoff bewältigen sollen. Die Bundesschülerkonferenz hat mehrfach bemängelt, dass es Schulen gibt, an denen die erteilten Schulstunden nicht mehr ausreichen, um den Stoff durchzunehmen, der in der nächsten Klausur abgefragt wird. Auch das gibt es, ja. Ich weiß von Fällen, in denen Schüler die erste Englischklausur schrieben, ohne eine einzige wirkliche Fachstunde Englisch erhalten zu haben. In vielen Fällen werden Unterrichtseinheiten noch schnell in ein paar Schulstunden vor der Klausur gequetscht, um den Lehrplan einzuhalten. Der wurde dem Mangel an Lehrkräften und dem Ausfall ja nun mal nicht angepasst. Und da fühlt man sich dann alles andere als gut vorbereitet. Das klingt danach, als ob vonseiten der Schüler sehr viel Eigeninitiative nötig wäre. Eigentlich müssen Schüler heute ein Stück weit Autodidakten sein, um den Anschluss zu behalten, vor allem in der Oberstufe. Hier gibt es ja kaum noch Vertretungsunterricht bei Stundenausfall, sondern es werden Aufgaben verteilt, die man dann selbstständig bearbeitet. Und man fragt sich natürlich immer: Reicht die Vorbereitung, hat man alles im Blick? Das ist aber nicht Aufgabe von Schülern. Abseits dessen, dass der Missstand grundsätzlich da ist, geht so die Schere beim Thema Bildungsgerechtigkeit natürlich auch immer weiter auseinander. Nicht jeder hat die Möglichkeit, so zu arbeiten, viele haben nicht mal einen geschützten Raum, um in dem Maß zu Hause zu lernen. Hat man da als Schüler überhaupt noch das Gefühl, dass die Verantwortlichen das Bildungssystem im Griff haben? In unseren Augen tun die Organisationsteams an Schulen in vielen Fällen ihr Bestes, um den Mangel zu verwalten. Aber es ist eben so: Der Mangel beherrscht Schule und Bildung, nicht umgekehrt. Und das untergräbt das Vertrauen junger Menschen in das System und die Politik. Fast zehn Prozent des erteilten Unterrichts in NRW wird vertreten. Das Schulministerium hat die Statistik zum Unterrichtsausfall mit dem klaren Hinweise veröffentlicht, dass sie nichts über die Qualität dieses Ersatzunterrichts aussagt. Wir fordern als Schülervertretung auch, dass die Hintergründe der Zahlen transparenter gemacht werden. Wichtig ist ja zum Beispiel auch: Wie viel Vertretungsunterricht ist fachfremd und wer vertritt denn da überhaupt? .responsive23-IYJoazrySFm4lEHi-pie-unterrichtsausfall-in-nrw-23-24 { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-IYJoazrySFm4lEHi-pie-unterrichtsausfall-in-nrw-23-24 { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-IYJoazrySFm4lEHi-pie-unterrichtsausfall-in-nrw-23-24 { padding-top: 142.86%; } } Laut Schulleiterumfrage des Verbandes für Bildung und Erziehung ist NRW bundesweit Spitzenreiter bei der Beschäftigung von Menschen ohne Lehramtsqualifizierung in Schule. Die Quote liegt laut Umfrage bei 85 Prozent. Vermutlich vertreten diese Menschen. Richtig, zu einem großen Teil. Und das ist eben etwas anderes als Unterricht bei einer voll ausgebildeten Lehrkraft. Quereinsteiger und Studierende sind in unseren Augen nicht automatisch eine schlechte Wahl. Sie sind eine kurzfristige Antwort auf den Lehrermangel - aber keinesfalls eine langfristige. Was aber auch zur Wahrheit gehört ist, dass viele dieser Kräfte nicht dauerhaft eingestellt werden und leicht entlassen werden können, in manchen Bundesländern werden sie sogar über die Ferien entlassen und danach wieder eingestellt. Die Lehrkräfte an den Schulen geben alles, währenddessen macht das Land NRW den Beruf mit neuen Teilzeitregelungen unattraktiver. Wenn Sie Schule 2025 in ein paar wenigen Worten zusammenfassen sollen, dann sagen Sie... Schule 2025 ist ein marodes, heruntergewirtschaftetes System. Wir haben an deutschen Schulen einen Investitionsrückstau von fast 55 Milliarden Euro, das sagt eigentlich schon alles. Dabei ist längst klar, dass sich jeder Euro vervielfacht, der in Bildung gesteckt wird. Ein Problem ist auch, dass Lehrkräfte nicht als Investition zählen, sondern als Ausgabe, und daher nicht von einer möglichen Reform der Schuldenbremse betroffen wären. Und hier spreche ich noch gar nicht davon, wie veraltet die Inhalte und Lehrpläne sind. Wie will Schule all das, was jetzt gerade politisch passiert, so auffangen? Die Landesschülervertretungen aus den neuen Bundesländern haben in einem Positionspapier mehr politische Bildung im Unterricht gefordert. Sie sehen in diesem Mangel auch einen Grund für den Rechtsruck bei vielen jungen Menschen. Ich denke auch, dass fehlende politische Bildung hier ein Grund sein kann. Und da ist Schule natürlich viel mehr gefragt. Es gibt Untersuchungen, wonach hier pro Woche lediglich 25 Minuten lang über aktuelle Themen gesprochen wird. Das reicht natürlich nicht, um Schülerinnen und Schüler umfassend über Populismus oder Desinformation aufzuklären. Andererseits sehe ich in Bildung nur eine Teillösung. Viele junge Menschen haben große Ängste angesichts der weltweiten Krisen, da kann Schule auch nicht helfen. Und ich finde es schwierig, was gerade passiert: Viele sehen in der Jugend potenzielle Rechtsextreme, statt potenzielle Demokraten.

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