Weihnachtsmann, Christkind und Co.: Darf man Kinder so beschwindeln?

Pro (Eike J. Horstmann) Wenn man jemandem auch lange vor oder nach der Adventszeit Leichtgläubigkeit vorhalten will, wird ihm oder ihr gerne etwas wie &bdquo;Du glaubst doch auch noch an den Weihnachtsmann!“ unter die Nase gerieben – als ob das etwas Schlechtes wäre. Leuchtende Kinderaugen beim Schreiben des Wunschzettels, das aufgeregte Bangen, ob die Liste angekommen ist und dann natürlich die unbändige Freude, wenn der Weihnachtsmann oder das Christkind das heiß ersehnte Geschenk dann tatsächlich gebracht hat: Natürlich fußt das alles auf einer durch und durch frei erfundenen Geschichte. Doch die Freude der vorsätzlich beflunkerten Kinder ist echt und kommt von Herzen – was man von vielen anderen Dingen in der Weihnachtszeit nicht behaupten kann. Wer hat etwa noch nicht bei einer Weihnachtsfeier im Verein oder im Betrieb mit Leuten angestoßen und etwas wie &bdquo;Schön, dass du da bist!“ gesagt – obwohl man den Sportsfreund oder Kollegen am liebsten auf der Rückseite des Mondes wähnen würde? Wer hat noch nicht ein Geschenk in Händen gehalten und sich &bdquo;O Gott, wie fürchterlich!“ gedacht – nur, um im gleichen Augenblick &bdquo;Woher wusstest Du, dass ich mir schon immer Unterhosen mit Blümchenmuster gewünscht habe?“ zu sagen. Und letztlich ist es fast schon gesellschaftlicher Konsens, dass man zu Weihnachten einen Menschen ganz besonders belügt: nämlich sich selbst. Und zwar jedes Jahr aufs neu. Kinderfreude ist das einzig echte, was es in der Weihnachtszeit noch gibt. &bdquo;Dieses Mal kaufe ich die Geschenke rechtzeitig!“ &bdquo;Auf dem Weihnachtsmarkt trinke ich in diesem Jahr aber weniger Glühwein!“ &bdquo;Weihnachtsschokolade ist eh nicht so mein Fall!“ und natürlich &bdquo;Zu den Feiertagen essen wir in diesem Jahr aber wirklich weniger!“ Am Ende sitzen dann gefühlt drei Viertel der Bevölkerung am zweiten Weihnachtsfeiertag völlig erledigt und voll bis an die Unterlippe in der guten Stube und raunen: &bdquo;Nein, das wird kommendes Weihnachten ganz sicher anders!“ Eigentlich müsste man dann laut lachen und zu sich selbst &bdquo;Na klar, Du glaubst ja auch noch an den Weihnachtsmann!“ sagen. Bei so viel Lug und Trug nimmt sich die erfundene Geschichte rund um den beleibten Herrn vom Nordpol schon geradezu nichtig aus. Dabei ist sie, die kindliche Naivität und der Glaube an den gütigen und freundlichen Herrn im roten Mantel so ziemlich das einzig unverfälschte und echte, was es in der Weihnachtszeit überhaupt noch gibt. Und darüber sollte man sich – ganz unverfälscht – freuen dürfen. Contra (Anneke Quasdorf) Um es gleich vorwegzunehmen: Glauben auch meine Kinder an Christkind, Osterhase und die ganze Mischpoke? Ja. Natürlich. Zu uns kommt auch die Zahnfee und vor vier Jahren ist noch ein Wichtel eingezogen, der sich nur im Advent zeigt, und sehnsüchtig erwartet wird. Ich bin also dick im Märchen-Geschäft - und fühle mich von Jahr zu Jahr heuchlerischer und verlogener dabei. Denn im Grunde tue ich doch nichts anderes, als zwei kleinen Menschen, die ich im Alltag zur Ehrlichkeit anhalte, die fettesten Lügen aufzutischen. Das Problem: Natürlich lebt der Glaube meiner Kinder von meinen Erzählungen. Und je älter sie werden, desto mehr muss ich erzählen, fabulieren, ausschmücken. Irgendwie hat sich das alles verselbstständigt und ich komme nicht mehr raus aus dem Geschichten-Netz, das ich selbst gesponnen habe. Denn an der Stelle sind Kinder kompromisslose Gewohnheitstiere: Lieb gewordene Traditionen einfach abzuschaffen und dieses Jahr mal was anders zu machen, käme bei uns nie infrage. Seit Jahren stellen wir zum Beispiel dem Nikolaus die Stiefel vor die Tür - und einen Teller Kekse. Seit Jahren sammele ich die Dinger ein, bevor ich ins Bett gehe, packe sie wieder in die Keksdose zurück und jubele am nächsten Morgen mit, dass &bdquo;Niko“ alles aufgegessen hat. Fand ich früher süß. Jetzt komme ich mir betrügerisch vor bei der Inszenierung des ganzen Tamtams. Abartige, altmodische Droh-Erpressungskultur Hinzu kommt die abartige, altmodische Droh-Erpressungskultur: Sei artig, sonst ... Diesen Quatsch habe ich meinen Kindern nie erzählt - aber scheinbar andere Personen. Und so fragte mich mein Sohn, nachdem er einen Teller zerdeppert hatte, neulich bang, ob das Christkind jetzt noch zu ihm käme. Das sind eigentlich alles gute Gründe, um das ganze Gebilde endlich zu demontieren, abzureißen wie ein Pflaster, kurz und schmerzvoll. Es scheitert daran, dass ich keine wirklich gute Begründung habe für das jahrelange, gut gemeinte Anlügen. Im Grunde hatten wir die Diskussion schon in der Schule. Jahrelang sollte meine Tochter nach Gehör schreiben, einfach drauflos. Wir Eltern sollten erst nicht korrigieren - und dann auf einmal doch. Völlig entrüstet fragte sie mich: Aber warum habt ihr mich denn dann immer glauben lassen, das wäre richtig?! In dem Fall konnte ich die Schuld auf die Schule schieben. Christkind, Osterhase und Co. gehen aber ausschließlich auf meine Kappe. Ein Teil der Wahrheit wäre vermutlich, zu sagen: Weil das alle so machen. Das aber ist genau der eine Satz, den ich selbst bei meinen Kindern als Entschuldigung oder Ausrede nie gelten lasse.

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